In der Medienbranche wächst das Unbehagen über die Marktmacht der digitalen Gatekeeper Apple, Google, Amazon und Facebook. Aber mit Jammerarien und ordnungspolitischen Appellen ist die alte Ordnung nicht wieder herzustellen.
Im Jahre 1981, also gewissermaßen im elektronischen Eozän, veröffentlichte Dietrich H. Ratzke einen Buchbeitrag mit dem programmatischen Titel „Fernlesen mit Bildschirmtext: Konkurrenz für Zeitungen?” Der Beitrag des Neue-Medien-Beauftragten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erschien in dem Buch „Neue Medien, alte Politik” und wagte einen Blick in die elektronische Zeitungszukunft vor dem Hintergrund eines geplanten Feldversuchs der Deutschen Bundespost mit sogenanntem Bildschirmtext (Btx). Ratzke ging der Frage nach, wie sich eine Verlagerung von Serviceinhalten wie z.B. Kinoprogrammen, Börsenkursen, Fahrplänen und dergleichen mehr ins neue Bildschirmmedium auf die Kaufbereitschaft der Zeitungskundschaft auswirken würde. Und auch die Gefährdung des Geschäfts mit den Rubrikenanzeigen hat der Verlagsexperte klar gesehen. Seine Analyse kam daher zu dem Schluss: „Bildschirmtext kann Zeitungen und Fachzeitschriften zwar nicht substituieren, aber sehr leicht ruinieren.”
Wie wir heute wissen, hat die elektronische Entwicklung einen etwas anderen Weg eingeschlagen. Aber wenn man statt „Bildschirmtext” einfach „Internet” liest, erscheinen die damaligen Fragestellungen und Problemlagen erstaunlich aktuell und zeitgemäß. Freilich, es ist auch nicht wie damals erwartet die Deutsche Bundespost der große Gegenspieler der Verlage auf dem elektronischen Sektor geworden, da haben es die Medienhäuser heute mehr mit globalen Schwergewichten wie Google, Apple und Amazon zu tun. Aber an der Grundtonart von Jammerarien über das Geschäftsgebaren von Monopolisten hat sich nichts Wesentliches geändert. Aktuelles Beispiel: die unangekündigte Preiserhöhung, die Apple vorige Woche in seinem App-Store vornahm. Über Nacht haben sich damit europaweit auch die Preise der dort mobil dargebotenen Zeitungen und Zeitschriften um rund zehn Prozent erhöht. Entsprechend groß ist die Verärgerung auf Verlagsseite: „Das Verhalten ist nicht erklärbar und absolut verantwortungslos”, heißt es dazu vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin. „Die nicht angekündigten deutlichen Preisveränderungen von Apple für die Angebote im App-Store und iTunes-Store wirken sich als inakzeptabler Eingriff in die Preishoheit der Verlage aus, der ihrem wachsenden Mobile-Geschäft schadet und sich über die Kunden-Interessen hinwegsetzt.”
Im „Spiegel”-Redaktionsblog wird das Verhalten des US-Unternehmens unter der Überschrift „Die Arroganz der Monopolisten” mal so ganz grundsätzlich skandalisiert. Und ich bin versucht zu kommentieren, willkommen in meiner Welt, liebe Spiegel-Leute. Mein Gasanbieter macht das nämlich ganz genauso. Oder nehmen wir, um in der Branche zu bleiben, den namhaften Fachverlag, für den ich jahrelang tätig war und der mich für die lukrative Zusatzverwertung meiner zugelieferten Inhalte auf einer Bezahlplattform mit symbolischen Brosamen abgespeist hat. Nein, ich will da jetzt nicht nachtreten, aber mir scheint, so mancher Marktteilnehmer bekommt jetzt mal selber genau die bittere Medizin verabreicht, die er an anderer Stelle selber großzügig ausgeteilt hat. Oder wie es Rupert Murdoch, der alte Zyniker, mal so treffend ausgedrückt hat: „Monopole sind etwas schreckliches – solange bis man selbst eines hat.” Aber ich will nicht ungerecht sein, das Redaktionsblog stellt schon die richtigen Fragen. Etwa: „Was geht es Apple an, wieviel der Spiegel von seinen Lesern für die Lektüre seiner Inhalte verlangt? Wer gibt der Firma das Recht, den Preis zu bestimmen?” Die Antwort hätte der Verfasser übrigens im eigenen Hause finden können, denn irgendjemand aus der Geschäftsleitung des Nachrichtenmagazins muss die entsprechende vertragliche Vereinbarung mit Apple ja wohl unterzeichnet haben. So weit, dass das Technologieunternehmen aus Cupertino das Heft auf eigene Faust und ungefragt auf seine mobile Plattform hieven und kapitalisieren kann, reicht die Marktmacht des kapitalstarken Computerherstellers beim besten Willen nicht.
Das ganze Gezeter wäre auch nur halb so bemerkenswert, hätten nicht Vertreter der Verlagsseite wie zum Beispiel Springer-Chef Mathias Döpfner Apple anlässlich der Präsentation des iPads die Palmwedel geschwenkt bis zur Peinlichkeitsgrenze: „Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet”, ließ sich Döpfner seinerzeit vernehmen. Aber die erste Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. So kommentierte Marco Kitzmann schon vor fast zwei Jahren: „Wer sich dafür entschieden hat, im Vergnügungspark eines anderen zu spielen, weil er nicht den unternehmerischen Mumm hatte, seinen eigenen zu eröffnen, muss damit leben, dass nicht er die Hausordnung bestimmt.”
Was nicht heißt, dass das Unbehagen auf Verlegerseite völlig unberechtigt wäre. Medienunternehmen (das gilt für TV-Sender, Plattenlabels und Buchverlage gleichermaßen) sehen sich auf ihrem Weg in die digitale Zukunft neuen Türhütern gegenüber, deren schiere Größe und Marktmacht die der alten Gatekeeper Postvertrieb, Telekom, Kabelnetzbetreiber und stationärer Einzalhandel weit übersteigt. „Aus dem Quartett der dominierenden Vier – Apple, Amazon, Facebook, Google – ist ein quasi allmächtiges Oligopol geworden. Was ihnen nicht gefällt, sortieren sie aus. Sie sind Zensoren aus eigener Kraft”, schreibt das „Spiegel”-Blog. Ins gleiche Horn hatte der Wirtschaftsteil der „Zeit” schon im Sommer gestoßen mit dem Aufmacherthema „Vier Sherrifs zensieren die Welt”. Zuletzt hat der „Spiegel” der Datenkrake Google mal wieder ein Titelthema gewidmet – und den Suchmaschinen-Konzern unter Generalverdacht gestellt, seine Suchergebnisse nicht mehr neutral zu präsentieren, sondern die Rangfolge und Relevanz der Treffer zunehmend nach Maßgabe der eigenen wirtschaftlichen Interessen festzulegen.
So richtig beobachtet und berichtenswert das grundsätzlich auch sein mag: Über den Generalverdacht, dass die eigene medienpolitische Agenda oft genug die redaktionelle Feder führt, sind freilich auch die ehrwürdigen Holz- und Rundfunkmedien nicht völlig erhaben. Ob es um den Streit über die Tagesschau-App der ARD geht oder um das geplante Leistungsschutzrecht, mit Hilfe dessen die Verlage an die Erlöse von Suchmaschinenbetreibern und Aggregatoren heranwollen, das Bemühen um halbwegs neutrale Darstellung ist bei solchen heiklen Themen oft nicht mal ansatzweise erkennbar. Medienkonzerne sind immer ganz groß darin, ihr Geschäft als systemerhaltend für die Demokratie zu preisen und sich von schnöden Schraubenfabriken abzugrenzen. O-Ton „Spiegel”-Blog: „Medienhäuser produzieren nun mal keine Schrauben oder Angry-Birds-Fortsetzungen. Sie liefern Informationen, Zusammenhänge, Nachrichten. Sie sind ein relevanter Baustein jeder funktionierenden Demokratie. Ihr Grundkapital ist ihre Glaubwürdigkeit, die sich wiederum aus Unabhängigkeit speist.” Aber wenn von den neuen Mitspielern im Markt mehr Transparenz gefordert wird, wie es mit dem Einfluss der eigenen wirtschaftlichen Interessen auf die präsentierten Informationen steht, dann müssen sich die traditionellen Medienunternehmen an diesem Anspruch ebenfalls messen lassen. Da braucht es weniger staatstragende Sonntagsreden, sondern eine offensivere Offenlegung eigener Interessenslagen und Involvements.
Im „Spiegel”-Titel zum Thema Google kommt übrigens John Malone ausführlich zu Wort. Dass der legendäre Cowboy der Kabelfernsehnetze, der aufgrund seiner berüchtigten Verhandlungstaktiken auch gerne mit Darth Vader verglichen wurde, jetzt angesichts der Marktmacht von Google regulatorische Eingriffe in den Markt fordert, liefert schon ein sehr deutliches Signal dafür, wie sehr sich die Zeiten und Vorzeichen geändert haben: „Für mich ist das eine sehr interessante Debatte, denn über Jahrzehnte war ich in den USA jemand, der genau solche Sorgen auslöste. Ich galt als Gatekeeper, der darüber entscheidet, was wie prominent in die Netze kommt.” Und heute, möchte man ergänzen, stehen da noch ganz andere Türhüter vor dem Gesetz.