Proximity. Nähe. So lautet das Schlüsselwort für die magische Wirkung der Internetcommunities. Gerade wieder gelesen bei Ben Silbermann, CEO vor Fototauschbörse Pinterest, auf der sich vor allem Frauen gegenseitig ihre Bildwelten vorführen. Gewiss hat er dabei recht. Ein Klick, simsalabim, Sesam öffne und so weiter: Schon nehme ich am Leben meiner Online-Freunde teil. Weiß, welche Fotos sie mögen, oder durch welche Clouds sie gerade am liebsten schweben. Wie bei einem Fernsehprogramm kann ich mich bei ihnen ud ihrem Privatleben reinschalten. Wenn ich wollte, könnte ich das ganze Wochenende nichts anderes machen, als mich von den Status-Updates auf Facebook berieseln zu lassen: Geschäfte, Bücher, kleine Gehässigkeiten, manchmal auch eine Trennung, oder eine Beziehung ändert sich in Richtung “it’s difficult”.
Wenn ich nicht alsbald abstumpfen würde. Genau wie bei allen anderen Medien, die sich in meinen Aufmerksamkeitsvektor schieben. Nicht zu vergessen die digitalen Werbebanner, die auf den Webseiten blinken und ihren Schließen-Button dezent außerhalb des Bildschirms platzieren. Aber geschenkt: mein mangelndes Interesse an kommerziellen Infos ist ja vorprogrammiert und schrumpft stetig weiter, je breiter sich das ungebetene Angebot macht.
Ignoranz wird also für mich zum Instrument, um die Informationen herauszufiltern, die mich wirklich interessieren.
Was passiert aber, wenn die Informationen nicht aus den Marketingabteilungen global agierender Unternehmen abgefeuert werden, sondern aus dem eigenen Freundeskreis kommen?
Früher hätte ich einen Luftsprung gemacht: Endlich hat es der Freund geschafft und seine eigene Galerie eröffnet. Super, die Kollektion ist fertig! Toll, ein Buch ist auf den Markt gebracht! Eigentlich genial, normalerweise bin ich die Erste, die bei den vielen grandiosen Wegen in die Selbstständigkeit mitfiebert.
Doch ich habe mich verändert. Facebook hat mich verändert. Ein unangenehmer Automatismus schleicht sich in mein Verhalten ein: Jeden Tag türmen sich neue Meldungen in der Liste „Notifications” auf. Sie warten darauf abgerufen, kommentiert und weiter verbreitet zu werden. Doch ich schalte auf stumpf und klicke müde auf das kleine Kreuz, das die Nachricht auf den Facebook-Friedhof verbannen wird.
Ein Mal noch versucht mich das Programm aufzurütteln. Es fragt mich, ob ich also jemals wieder etwas von dieser Person hören möchte? Was für eine Frage! Natürlich will ich das, ich bin entrüstet, was bildet sich Facebook ein? Das sind doch meine Freunde. Da kappe ich doch nicht die Verbindung. Wäre ja noch schöner. So will man doch selbst auch nicht behandelt werden. Wenn jemand aus meiner Facebook-Blog-Gruppe aussteigen würde, wäre ich aufs Übelste beleidigt. Gekränkt. Vor den Kopf gestoßen. In die gefühlte Einsamkeit verbannt. So behandelt man keinen Freund!
Also bleibe ich in der Informationsschleife. Bis die nächste Nachricht kommt, derer ich mich wieder mit grausamer Ignoranz entledige. Ich bin nicht nett, das merke ich selbst. Ich weise meine Freunde ab. Mit jedem Klick aufs Neue.
Was tut also der Mensch, um sein schlechtes Gewissen zu kontrollieren? Er sucht Erklärungen, um sich zu entschuldigen. Im süßen Mantel der Selbstgerechtigkeit beginnt man, den Sender der Information zu verurteilen. Leise klingelt der Vorwurf an, dass der/die sich doch immer schrecklich wichtig machen muss. Abwehrmechanismen kombiniert mit dem Verdacht auf Selbstinszenierung keimen auf: Immer diese Aufmerksamkeits-Junkies, unerträglich. Haben die nichts besseres zu tun, als von ihren photogeshoppten Profilfotos auf die Welt herab zu grinsen, als blühe um sie herum das pure Glück und sonst nirgends?
Wenn Nähe also das wundersame Ergebnis digitaler Verbindungen ist, so mag das vor allem für neue Verbindungen gelten. Oder für solche mit Menschen, die man nur aus der Ferne kennt. Bei denen ist es ja nicht schlimm, wenn man auf der digitalen Autobahn nicht zurückwinkt. Aber für echte Freundschaften, die sich parallel zum wahren Leben natürlich auch im Netz tummeln, scheint das Gegenteil zuzutreffen: statt näher zu rücken, entfernt man sich.
Was obendrein noch vonstattengeht, ohne dass der andere behelligt wird, dass etwas die Freundschaft belastet. Es fand ja kein gegenseitiger Austausch statt. Der Sender kann sich gar nicht bewusst werden, wie, und vor allem von wem, die gesendete Information aufgenommen wird.
Am besten sollte man Freundschafts-Garantiekarten herum schicken. An alle, die man man meint, im letzten Jahr mit Ignoranz gekränkt zu haben. Das wäre vielleicht hilfreich. Man würde sich verzeihen und schon wäre die eigene Welt wieder in Harmonie.
Wobei es natürlich ein Problem gibt: Wetten, dass die digitalen Freundschafts-Grußkarten im Facebook-Sog genauso untergehen werden wie alle andere? Ich tippe auf: ja.