In jedem Opernhaus und jedem Konzertsaal steckt heute ungemein viel comptergestützte Technik – meistens allerdings unsichtbar für den Zuschauer.
Mit ungefähr zehn Jahren war ich zum ersten Mal in der Oper: Die Zauberflöte. Der Text ist bekanntlich auf Deutsch, was meine Eltern allerdings nicht davon abhielt, mich vorher mit dem Libretto in eine Ecke zu setzen, auf daß ich mich mit der Handlung vertraut mache. Ergänzt wurde die Vorbereitung durch Kassetten mit kindgerechten Operneinführungen. Wir hatten einen ganzen Regalmeter Reclamheftchen und Opernlibretti im Regal, dazu etliche Opernführer, und für jeden Besuch, bei dem wir das Werk noch nicht kannten, wurden CDs angeschafft. Das war keine verkehrte Strategie: Kunst kommt von Können, und Können hat etwas mit Fleiß zu tun, selbst wenn man eigentlich nur konsumieren will. Die Mühe war es stets wert, vor allem natürlich bei Opern auf Italienisch oder Französisch.
Die Mühe wäre es auch heute sicherlich noch wert, allerdings hat die moderne Computertechnik zumindest das vorbereitende Studium des Librettos und der Handlung längst überflüssig gemacht. Dafür haben wir heute Übertitelungsanlagen, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letze Mal eine Oper oder Aufführung ohne Übertitel gesehen habe. Besonders fortschrittlich sind Häuser von Weltrang wie die Wiener Staatsoper oder die New Yorker Met – dort bekommt jeder Zuhörer sein eigenes kleines Display mit Sprachwahl – ähnlich wie man Flugzeug heutzutage sein eigenes “Bordentertainment” hat (außer man fliegt Iberia, oder das System fährt nicht hoch). Welches System praktischer ist, ist schwer zu sagen: egal ob über der Bühne oder im Stuhlrücken des Vordermannes – es lenkt zwangsläufig von der Aufführung ab und beansprucht Aufmerksamkeit, was doch sehr für die Vorbereitung zu Hause spricht.
In der Komischen Oper in Berlin, deren System ganz neu ist, kann die Technik angeblich sogar jeden Sessel einzeln adressieren, und es können Libretti in bis zu zehn Sprachen hinterlegt werden. Das hängt dann allerdings von der Oper ab, denn hinter den elektronischen Bildschirmen verbirgt sich immer noch viel manuelle Arbeit. Dramaturgen übersetzen das Libretto, mehr oder minder wörtlich, mit den entsprechenden Änderungen der geplanten Inszenierung. Die Anzeige in diesem Souffleusenkasten für den Zuschauer erfolgt ebenfalls per Hand. Der Ablauf der Oper ist in jeder Vorstellung etwas anders: die Musik mal schneller, mal langsamer, mal mit mehr oder mit weniger Pausen, mit enthusiastischem oder sparsamen Szenenapplaus, und das kann einem bislang keine Software der Welt abnehmen. Da der Text zur Musik passen muß, wird irgendwo in einem der Kämmerchen für die Technik von Hand die jeweils nächste Zeile geklickt.
Für den Zuschauer dürfte das eine der größten und sichtbarsten Änderungen sein, aber natürlich gehen die Umbrüche viel weiter. Nicht nur die Brot-und-Spiele-Inszenierungen in Musicals oder auf der Bregenzer Seebühne nutzen komplizierte Apparturen. Eine moderne Bühnentechnik verfügt über computerisierte Controlpanels, Kulissen werden von PC- und netzwerkbasierten System verschoben, Vorhänge heben und senken sich auf Knopfdruck. Dafür gibt es natürlich auch hochspezialisierte Anbieter am Markt, die sogar ihr eigenes Fachmagazin haben. Es handelt sich nämlich um durchaus spezielle Anforderungen. Auch in Zeiten opulenter und komplizierter Bühnenbilder möchte der Zuschauer keine 10 Minuten zwischen den Akten auf die Umbauten warten – die tonnenschweren Teile müssen also möglichste schnell bewegt werden. Das ganze natürlich möglichst geräuschlos – man will schließlich die Musik hören, nicht die Technik. Hydraulik war auch schon vor fünfzig Jahren der Antrieb der Wahl – allerdings scheinen zwischen gestern und heute doch erhebliche Unterschiede zu bestehen. Ganz zu schweigen von jenen Epochen, da noch die Süssigkeitenverkäufer die Geräusche überbrüllten, und man derweilen schauen konnte, mit welcher Kokotte sich der Graf in der Loge gegenüber diesmal blamierte.
Der „Theatral-Maschinist” war damals ein durchaus eigenständiger Beruf. Er war weniger spezialisiert als heute, beinhaltete allerdings auch Dekoration und Beleuchtung. Die Technik wurde mit vorsintflutlichen Materialien mit viel Holz und Seilen ausgeführt, und mit etwas Mechanik und viel Muskelkraf bewegt. Um die Zuschauer hinreichend zu beeindrucken, wurde ein Gewicht eingesetzt, das ausgelöst im freien Fall die Kulissen rasch bewegte. Danach mußte das Gewicht allerdings mit einer Handwinde wieder aufgezogen werden. Damals waren Kulissen von 12×11 Metern wie im Schloß Ludwigsburg, wo die Bühne mit ihrer Maschinerie von etwa 1750 gut erhalten ist, durchaus beeindruckend, aus heutiger Perspektive erscheinen sie allerdings eher niedlich. An der Frankfurter Oper mißt allein das Portal bereits 15×10 Meter, von der Drehbühne und den Dimensionen der Hinterbühne ganz zu schweigen.
Auch aus allen Fragen der Akustik sind Computer und moderne Mathematik und Physik nicht mehr wegzudenken. Wie so oft waren auch hier die ersten Schritte zur Erkenntnis mühsam. Den Wellencharakter von Schall entdeckten die Griechen um 200 vor Christus – daß deren Ausbreitung Luft erfordert fiel hingegen erst Da Vinci um 1500 auf. Raumakustik als wissenschaftliche Disziplin etablierte sich um 1900 – und noch immer werden vielerorts alte Säle renoviert, deren neue Akustik im Vergleich mit dem alten Klang, der aus Erfahrungswerten entstand, nur schauderhaft zu nennen ist. Das rechteckige Konzertsaal-Modell “Schuhschachtel” zum Beispiel klingt im Wiener Musikverein und der Bielefelder Oetker-Halle ganz hervorragend – aber in modernen Kästen oftmals nicht mehr. Ist der Raum zu schlicht, sind die Wände zu glatt, wird der Klang bei der Reflektion nicht hinreichend gestreut ,und das ist nicht gut: Dann überlagert der Hall den ursprünglichen Ton zu stark. Die vielen kitschig-überladenen Dekorationen vergangener Jahrhunderte hatten also durchaus auch eine Funktion, und manche Dinge verstehen wir trotz aller Wissenschaft bis heute nicht. Oder können sie nicht reproduzieren.
Hinzu kommt, daß bestimmte Räume sich mehr oder weniger für bestimmte Musik eignen. Viel wurde über die Staatsoper unter den Linden und ihre Eignung für große romantische Opern mit entsprechener Klangentfaltung diskutiert. Zur Zeit der Erbauung um 1740 war Mozart noch nicht geboren, man hörte Hasse und Pergolesi, die Klarinette hatte sich noch nicht als Standard durchgesetzt und ein Wagner-Orchesterklang hätte den Zuhörer schier erschlagen.
Moderne Hallen lösen das Problem, indem die Wände flexibel beweglich gestaltet werden. Je nach Bedarf können dadurch sowohl die Raumgröße als auch die Reflektionsmuster und Klangstreuung individuell eingestellt werden, auf daß der Klang optimal auf das Werk abgestimmt werde. Noch einen Schritt weiter geht die sogenannte Wellenfeldsynthese.
Schon der Fortschritt von Mono zur Stereoschallquelle war erheblich. Dort liegt eine eine sogenannte Phantomschallquelle mittig von zwei realen Schallquellen, zum Beispiel zwei Boxen. Es blieb allerdings das Problem, daß der Klang nur an einem einzigen Punkt wirklich perfekt war – im Rest des Raumes hingegen suboptimal. Bei der Wellenfeldsynthese werden erheblich mehr als nur zwei Lautsprecher benötigt – 300 sind ein guter Anfang -, mit denen sich sogar andere Räume klanglich virtuell nachbauen lassen, indem alle Lautsprecher einzeln angesteuert werden. Auch der Nachhall eines Raumes läßt sich damit individuell einstellen. Vor allem aber kann man mit der Wellenfeldsynthese den Schall so im Raum verteilen, daß er von verschiedenen Punkten als optimal wahrgenommen wird – der Aufwand ist allerdings natürlich für die heimische Musikanlage nicht realistisch. Entsprechend selten ist die Technik bislang, immerhin wurden aber bereits erste Werke für die besonderen Möglichkeiten dieser Technik komponiert.
Für die wahren Connaisseure hält die Zukunft sicherlich noch den ein oder anderen spannenden Fortschritt bereit, vielleicht auch irgendwann die Wellenfeldsynthese für zuhause. Möglicherweise sind allerdings die wahren Connaisseure auch jene, für die die Technik neben der Musik ohnehin am Ende verblaßt.