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Blogs kennen keine Krise

Der Medienwandel macht weiterhin Zeitungen zu schaffen, doch wie steht es um Blogs? Während die einen das Ende der Self-Made-Medien vorhersagen, sprechen die anderen vom "Jahr der Blogs". Denn über die Erfolgskritierien lässt sich trefflich streiten.

Der Medienwandel macht weiterhin Zeitungen zu schaffen, doch wie steht es um Blogs? Während die einen das Ende der Self-Made-Medien vorhersagen, sprechen die anderen vom “Jahr der Blogs”. Denn über die Erfolgskritierien lässt sich trefflich streiten.

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Abgenutzt und unscharf steht es da, auf dem Titelblatt einer Zeitung, dem Einband eines dünnen Buches, in einer Tickermeldung und einem Tweet. Die Krise ist das Unwort der letzten Jahre. Wie eine unaufhaltsame Seuche kann sie jedes andere Wort in ihren Schatten stellen, um es unter ihren zarten fünf Buchstaben ins Aus zu drücken: den Euro, die Zeitung, die Männlichkeit. Nun auch die Blogs. In mein E-Mail-Postfach flattert die Einladung in eine Gruppe, die sich „Blog Revival Gang“ nennt, die ich genervt in den Papierkorb schiebe. Ich erinnere mich nicht an eine Blütezeit von Blogs, nicht daran, einen Tag ohne sie zu sein, ich habe das Schreiben im Netz seit 2007 nie aufgegeben. Allein die freie Zeit, die ich als Studentin noch hatte, ist weniger geworden.

Diese Zeit fehlt nicht nur um zu schreiben, sie fehlt mir auch um zu lesen. Meinen Tick, jedes Buch zu bestellen, das interessant klingt, habe ich heftig verflucht als ich kurz vor Weihnachten von der fünften Etage mit Aufzug in ein anderes fünftes Stockwerk zog, in das man nur über exakt 100 Treppenstufen gelangt. Wenn ich nun in meiner kleinen Bibliothek Wäsche aufhänge, streife ich sehnsüchtig durch die prall gefüllten Reihen mit ungelesenen Romanen, mit Sachbüchern, die ich sporadisch bemühe, und zerfledderten Gedichtbändern. Setze ich mich an mein Laptop, begrüßt mich ein üppiges (1000+) im Feedreader; eigentlich öffne ich ihn nur alle paar Tage, um „Mark all as read“ zu klicken.

Das Sprechen von der Krise der Blogs hängt noch immer dem treuherzigen Konkurrenzstreben nach, das glaubt, Blogs würden professionellen Journalismus irgendwann ablösen. Diese Sichtweise erfasst jedoch weder die Natur von Journalismus, noch lässt sie der Praxis des Bloggens die Freiheit, die sein Charakteristikum ist. Blogs zählen schon heute zum professionellen Journalismus, sie sind fester Bestandteil von Unternehmenskommunikation und politischer Öffentlichkeitsarbeit. In diesen Bereichen haben sie eine emanzipative Rolle für die traditionelle Berichterstattung eingenommen. Blogs erlauben mehr Freiheit in der Form, mehr Nähe zu den Leserinnen und Lesern, zu Kundinnen und Kunden, zu Wählerinnen und Wählern. Sie erlauben mehr Subjektivität an Stellen, die zuvor über das Medium eine klare Grenze zwischen Sender und Empfänger eingefordert haben. Das Blog soll als Medium vor allem Vertrautheit schaffen und Gespräche stiften. In Blogs werden Diskussionen eröffnet, Fragen formuliert und Gedanken unvollendet publiziert. Blogs haben keine Freigabeschlaufe, sie machen verwundbar, sind wunderbar. Sie wirken im Regime der Leistungsgesellschaft fehl am Platz.

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Dass genau in diesem Jahr die Renaissance der Blogs ausgerufen wurde, ist kurz vor einem Bundestagswahlkampf kein Zufall. Private Blogs greifen selbstverständlich politische Fragestellungen des Alltags auf, thematisch spezialisierte Angebote erörtern komplexe Zusammenhänge, Blogs bieten gesellschaftspolitischen Diskursen und sozialen Bewegungen eine Plattform, nehmen Korrektivfunktionen ein. Damit bieten sie Einblicke in die Diskussionsstände einer politisch interessierten Öffentlichkeit. Sie zeigen jedoch – wie soziale Medien insgesamt – nur kleine Ausschnitte der wahlwilligen Bevölkerung. Denn bloggen zu können ist zum einen ein Privileg, das Ressourcen wie Bildung, Zeit und Netzzugang erfordert. Es setzt die Entscheidung voraus, sich mitteilen zu wollen. Andere Menschen mit den eigenen Texten zu erreichen, erfordert wiederum ein Netzwerk und das Wissen darüber, wie Aufmerksamkeit gewonnen werden kann.

Doch vielen Bloggerinnen und Bloggern geht es nicht um eine hohe Reichweite oder darum ihr Blog zu einer festen Einkommensquelle zu entwickeln. Die Beweggründe an einem Ort im Netz öffentlich zu schreiben sind vielfältig. Die Gratifikationen, die Autorinnen und Autoren aus ihren Blogs ziehen ebenso. Von einer Krise der Blogs kann daher nur gesprochen werden, wenn die digitale Textsammlung erst dann als echtes Blog gilt, wenn es kommerzielle Erfolge aufweist, über andere Blogs und Medien hinweg meinungsbildend ist und wachsende Lesezahlen verzeichnet. Es sind die Kriterien, die auch eine gedruckte Zeitung erfolgreich machen. Diese Sichtweise auf blühende Bloglandschaften ist lustlos, ja konservativ. Denn Blogs sollen Konventionen brechen, sie nicht replizieren.

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Aus technologischer Sicht wäre es für Onlinemedien keine Notwendigkeit, zwischen regulären Artikeln und Blogs ihrer Redakteure und Autoren zu unterscheiden. Die Einführung von Blogs war zunächst das Signalisieren von Modernität und die Öffnung hin zum Internet. Heute bedeuten sie eine Hierarchiestufe. Spiegel Online nennt die regelmäßigen Autorenreihen Kolumnen, beim Freitag können Redakteure frei bloggen, in ihrem Profil wird nach dem Relaunch vor ein paar Monaten auf der Website jedoch nicht mehr zwischen Artikeln, die gedruckt wurden und Blogs unterschieden. Der Verleger Jakob Augstein schrieb also beim Freitag zunächst ein Blog, jetzt heißen diese Dialoge mit der Leserschaft “Beiträge”, es gibt eine eine Gartenkolumne für die gedruckte Ausgabe (die auch online erscheint), bei Spiegel Online verfasst Augstein die Online-Kolumne „Im Zweifel links“. Live-Blogs werden getickert – von der Bundespräsidentenwahl bis zu Samstagabendunterhaltungssendungen –  dann gibt es temporäre Blogs, deren Stilllegung schon bei Start fest steht, oder die jährlich zu einem Ereignis reaktiviert werden, die das Buchmessenblog der FAZ, und sicher noch ein paar andere Formen, die ich an dieser Stelle vergessen habe. Ist diese Verwirrung schon eine Krise?

Um den Medienwandel und die Entwicklung von zwischenmenschlicher Kommunikation über digitale Kanäle besser zu verstehen, können Begriffsschärfungen hilfreich sein. Dazu können Fragen diskutiert werden wie: Muss im journalistischen Kontext überhaupt von Blogs gesprochen werden? Wie viel Blog steckt in den Dialogangeboten von Unternehmen und Organisationen? Sind bezahlte Produktberichte noch Blogbeiträge? Wie verändert sich das Bloggen, wenn es zum Teil eines Berufes wird, von dem eine Person ökonomisch abhängig ist? Kann Bloggen politischer Widerstand sein?

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Als Leserin unterscheide ich zwischen journalistischen Texten und Blogs – völlig wertfrei. Denn ich begreife Blogs als ein anderes Genre: mit Blogs, wenn sie mir gefallen, gehe ich eine längerfristige Beziehung ein. Mit ihren Autorinnen und Autoren, mit Menschen, die zu Texten diskutieren. Ein Blog entwickelt seine Spannung in der Forterzählung, dem hingegen sind Beiträge in professionellen Medien meist abgeschlossene Stücke; selbst wenn ich mir die wiederkehrenden Namen der Schreibenden merke, die Person dahinter wird mir kaum zugänglich. Mit einem Blog schließe ich ein emotionales Abonnement. Denn ich lese sie, weil sie beispielsweise Nischenthemen behandeln, über die ich an anderen Orten nur selten lesen kann. Ich lese sie, weil sie mich intellektuell anregen, Begeisterung auslösen für Ideen, Gedanken, sie in politischen Diskussionen Menschen aufeinander treffen lassen. Bloggen ist mehr als schreiben und lesen lassen. Die Blogs, die von mehreren Personen gemeinsam geschrieben werden, zeigen das: sie können ein Ort sein für Freundinnen und Freunde, und solche, die es werden wollen.

Bloggen kann eine Freiheitspraxis sein. Als ein Gespräch mit anderen oder mit sich selbst sind Blogs krisenfest, denn sie sind an nichts gebunden. Nicht einmal ans Netz.

 

 

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Ich möchte an dieser Stelle noch drei neue Blogs vorstellen, bei denen einige Autorinnen und Autoren mitschreiben, die ich alle über den Freitag, für den ich von 2008 bis 2010 gearbeitet habe, kennengelernt oder besser kennengelernt habe. Erst online, dann auch dort draußen in der anderen Welt. Das Netz ist weniger flüchtig als gern geschrieben wird. 

Wir Wostkinder, ein neues FAZ-Blog, geschrieben von Katrin Rönicke und Marco Herack.

kleinerdrei, ein Blog von acht Autorinnen und Autoren mit dem Untertitel “Was uns am Herzen liegt”,

und 1000 Zeichen, für das schnelle Lesevergnügen.

Vielleicht finden Sie Gefallen an einem der drei oder gleich allen – oder Sie verlinken in den Kommentaren Ihre Leseempfehlungen.