In einer Welt der reinen ökonomischen Vernunft würde man sich dieser seltsamen Rechtsfrickelei, die da Leistungsschutzrecht oder kurz LSR genannt wird, vielleicht folgendermassen nähern: Wieviel Geld erhält man dadurch, und wieviel bleibt davon übrig, wenn man die Kosten für absurde Rechtsstreitigkeiten um einzelne Wortbröckchen sowie für das Wiedergewinnen der verlorenen Sympathie durch Werbegeschenke, Werbetexte und andere kundenbindende Massnahmen davon abzieht? Was übrig bliebe, wäre dann Gewinn aus vier Jahren Streit, PR und politischer Einflussnahme, was man eigentlich auch noch abziehen müsste. Das wäre dann, naja, grob geschätzt fast so lukrativ wie Stuttgart21.
Ich denke, es ist nicht ganz zufällig so, dass das Gesetz, das heute beschlossen werden soll, eine frappante Ähnlichkeit mit der Beschlusslage für Stuttgart21 hat: Wenn man vorher gewusst hätte, was da kommt, hätte man sich aufgrund des begrenzten Nutzens vermutlich anders entschieden. Aber die Kosten sind nun mal schon da und man möchte wenigstens irgendwie nicht als Verlierer aus der Sache herausgehen. Also macht man das fertig und was daraus am Ende wird, entscheiden ohnehin die Gerichte. So ist nun mal die Politik und das Verhalten der Lobbyisten, aber hier soll es um eine andere Frage gehen: Um den immateriellen Preis, den wir zahlen. Das, was man mit verbilligten Toastern und Studentenabos wird abfedern wollen: Den Schaden für die Beziehung zwischen Medien und ihren Lesern, die eigentlich eine Besondere sein sollte. Oder wenigstens, so hoffen es die Medien, besser als zwischen dem Kunden und seinem Toastbrot und seinem Katzenfutter.
Diese Vorstellung kommt noch aus der Zeit vor dem Internet, als überregionale Zeitungen etwas Besonderes waren, und man bei uns im Haus pro Haushalt ein Abo der Regionalzeitung haben musste. Das ist nur 20 Jahre her, inzwischen sind davon exakt Null übrig geblieben, aber dafür hat jeder Internetanschluss. Und wenn unsere Lokalzeitung einmal an der Tür klemmt, geht sie meist ungelesen in den Mülleimer. Noch schlechter ergeht es all den Zeitungen, die kostenlos beim Studentenwohnheim gegenüber abgeladen werden: Erste Namen. Unbeachtet, ungeliebt, vergessen. In meinem Viertel der Altstadt gab es vor 20 Jahren 4 Zeitungskioske, heute sind es Null. Man kommt wohl nicht ganz um die Erkenntnis herum, dass sich mit dem Netz die Art der Kundenbeziehung zwischen Medien und Nutzern stark gewandelt hat. Es ist unbestreitbar, dass man uns nicht mehr so gerne kaufen mag. Um so wichtiger, das ist die Lektion aus dem Internet, ist es, dass man uns dennoch gut leiden mag.
Wer viel mit Lesern zu tun hat, dem ist durchaus bewusst, dass man dafür weder schleimen muss, noch den Lesern nach dem Mund reden oder sich ihnen und ihrer Existenz anbiedern muss. Mein anderes Blog, die Stützen der Gesellschaft, beschreibt das Leben aus der Perspektive eines reichen, egomanen Nichtstuers vom Tegernsee, was weder marktkonform noch angepasst oder gar respektvoll zu Berlinern oder Österreichern wäre; es blickt auf alles herab, was nicht am Tegernsee ist, und es bemäkelt die urbane Wucherung, nach der diese Zeitung benannt ist. Was passiert, wenn jemand versucht, die Abgabe von Kommentaren bei dieser charakterlich schwachen Unternehmung zu behindern, kann man hier nachlesen: Da toben die Leser, weil sie den Eindruck haben, man nähme ihnen etwas weg. Vieles ist nicht eben freundlich, aber umgekehrt ist die Lektion aus dem Relaunch der Blogs: Sie betrachten sich nicht nur als Leser oder als Klickvieh, sondern als Teil der hier stattfindenden Meinungsbildung. Es ist nicht „mein“ Blog und nicht das Blog der Zeitung, wo mein Text endet, ist es ist der offene Salon der Leser. Wir können sie nicht einfach im Netz zu einem Abo zwingen, aber wir können ihnen etwas geben, in dem sie uns zu einem Teil ihres Lebens machen.
Redet man nun mit Verlagsmitarbeitern diverser Häuser über das LSR, so hört man – vermutlich zutreffend – dass der grosse Gegner Google doch gar keine Sympathie bei den Menschen hätte. Aber wenn man mit den normalen Nutzern redet, sieht das etwas anders aus. Da schwankt die Haltung zwischen Gleichültigkeit und Ablehnung des LSR, und zwar tatsächlich nicht zugunsten der Suchmaschine, sondern aus Sorge – begründeter Sorge, wie man jetzt leider erkennen muss – um das Netz. Was man überhaupt nicht hört ist, dass jemand das LSR toll findet. Und das ist für die das LSR fordernden Medien ein Problem, denn damit hat zwar Google keine Sympathie, aber die LSR-Lobbyisten haben nochmal deutlich weniger. Also eher Antipathie. Und wer viel im Netz unterwegs ist, weiss auch, dass diese resignierende, ablehnende und leicht verächtliche Haltung genau diejenige ist, der man nichts verkaufen kann. Seltsamerweise verstehen Medien die Empörung wegen der GEZ und des Pferdefleisches und der Schummeleien bei S21; dabei ist das LSR bei den Nutzern auch nichts anderes für unseren Ruf, als Stuttgart21 für die Bahn. All das Trommeln und Abwerten der anderen als “Googlelohnschreiber” hat nichts geholfen, es wird einfach nicht beliebt. Und diese Leser da draussen sind nun mal unsere Kunden. Es gibt keine anderen.
Das mag man in der Filterbubble der Verlagsmitarbeiter anders sehen, aber besonders die Mitarbeiter in den Onlineredaktionen haben ihre eigenen, erheblich grösseren und mit Kundschaft gefüllten Filterbubbles. Sie merken durchaus, wie schlecht die Stimmung bei der Kundschaft ist – wenn sie nicht wie der Verfasser dieser Zeilen das LSR seit jeher für so sinnvoll wie Darmgrippe halten. An einem Februartag in Berlin, von Österreichern übertragen. Vor weniger als einem Jahr wurden noch jene Belgier und Franzosen als Kämpfer gegen Google hochgeschrieben, die sich nun mit ein paar Groschen abspeisen lassen und willig, auf dem Rücken liegend mit der Datenkrake kopu kooperieren. Jetzt gibt es in Deutschland ein Gesetz, bei dem es nur Verlierer gibt. Und vielleicht bald auch so eine Einigung, weil sich aus diesem Gesetz sonst nichts herauspressen lässt. Sympathieträger sehen anders aus, und man mag nicht länger neben ihnen stehen. Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung Online nehmen gegen dieses LSR Stellung, der Konflikt ist längst innerhalb der Medien ausgebrochen. Nicht, weil Google so gut ist. Sondern weil die ganze Idee trotz all des Lobes so sagenhaft schlecht angekommen ist. [EDIT1.3.2013, 12:12: Die Süddeutsche nimmt kein Blatt vor den Mund: “Das ist schlecht, denn das Leistungsschutzrecht war von Anfang an keine gute Idee.”]
Jetzt wird es sinnlose Rückzugsgefechte geben, einzelne Politiker machen den Hasenfuss und möchten dagegen stimmen, man wird weiter auf Raubsnippetnutzer im Internet einschlagen und vielleicht den einen oder anderen Blogger abmahnen, und einen Aggregator versenken. Nur aus Leistungschutzrechthaberei. Bilanzkosmetik in den Konzernzentralen. Billige Siege nach dem verlorenen Krieg. Ob die für das Desaster verantwortlichen Politiker je die Pressezuneigung erhalten, die sie sich vielleicht erhofft haben, ist eher unwahrscheinlich. Das Vorhaben wird längst in Onlinemedien als Pressevariante des Hoteliergeschenks gebrandmarkt, und mit einem mittelnetten Brief von Wagner gewinnt man auch keine Wahl.
Ein hässliches Gesetz in einem hässlichen, sonnenarmen Februar. Das ist die Geschichte, die das LSR gemacht hat, und es fühlt sich an, als sei ein Politikermercedes mit Medienvertretern auf dem Beifahrersitz vorbeigefahren und hätte alles mit Matsch vollgespritzt. Wenn man klug ist, geht man in ein Cafe, wärmt sich auf und spricht über andere Dinge, die allen gefallen, bis man den Ärger vergessen hat. Egal wer Wahlen gewinnt, egal ob Google in 10 Jahren noch da ist oder nicht: Leser und Medien müssen irgendwie miteinander auskommen. Das geht nicht über Zwang und, wenn es bessere Medien mit denkenden Lesern sind, schon gar nicht mit PR in eigener Sache und für so einem Gesetz. Es geht eher, indem man sich nicht gleichgültig ist. Man wird nicht beliebter, wenn man Google schlechter macht. Man muss nett sein und zuhören. Sympathie braucht kein Leistungsschutzrecht.
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