Na, klingt dieses Angebot nicht verlockend? Sie lassen sich einen kleinen schwarzen Kasten ins Auto einbauen, der Ihr gesamtes Fahrverhalten aufzeichnet: wie schwungvoll oder verzagt Sie in die Kurven gehen, ob Sie ordentlich Gas geben, ob Sie behutsam oder abrupt bremsen – selbst ob Sie tagsüber oder nachts unterwegs sind, bleibt Ihrem ständigen elektronischen Beifahrer nicht verborgen. Aha, diese Vorstellung, dass Ihnen am Lenkrad ständig jemand zuguckt und das alles auch noch speichert und auswertet, finden Sie nicht so prickelnd? Nun, wie wäre es, wenn Ihnen die Autoversicherung im Gegenzug für den Einbau des kleinen Kästchens bei der Prämie etwas entgegenkommt? Ach so, dann sieht das doch schon anders aus, nicht wahr? Ja, hm, da müsste man doch mal verschärft drüber nachdenken.
Im Moment sind diese Überlegungen hierzulande noch hypothetisch, aber in anderen Ländern sind solche „Pay as you drive“-Tarifmodelle schon längst am Markt. Die kleinen schwarzen Beifahrer hinter dem Armaturenbrett funken ihre aufgezeichneten Fahrdaten an die Zentralrechner der Versicherungen, wo sie ausgewertet werden und je nach festgestelltem Fahrstil die Prämie beeinflussen: Wer riskanter fährt, zahlt mehr, wer gemäßigter unterwegs ist, profitiert mit niedrigerem Beitrag. Das Thema bleibt auch deutschen PKW-Piloten dauerhaft wohl nicht erspart. Einem Bericht der „ADAC Motorwelt“ zufolge versucht ein großes Mobilfunk-Unternehmen seit Monaten, den deutschen Autoversicherern die Black Box samt der Zentralrechneranbindung und Datenauswertung zur Tariffindung anzudienen. Kürzlich hatte sich auch der Bundestag für die Einführung von digitalen Fahrtenschreibern in privaten Kraftfahrzeugen ausgesprochen. Bei Unfällen könnten aufgezeichnete Messwerte wie Beschleunigung und Lenkwinkel Aufschluss über den Hergang geben.
Die Versicherer zeigen sich derweil „abwartend interessiert“, wie ein Sprecher des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft gegenüber der „ADAC Motorwelt“ verlauten ließ. Das deutsche Prämiensystem sei so differenziert, dass der Markt ein solches Produkt im Augenblick nicht verlange. Ein Versicherungsunternehmen aus Süddeutschland hat sein Black-Box-Projekt nach zwei Testläufen erst mal auf Eis gelegt. Es gebe da noch „viele Baustellen“, von den Kosten für die Geräte und die Auswertung über die Zuverlässigkeit der Boxen und die Frage, wie ein Versicherungstarif aussehen soll bis hin zum Datenschutz und der Akzeptanz beim Kunden. Glaubt man einer Umfrage der Marktforschungsagentur Puls, hält sich die Ablehnung eines Aufzeichnungsgeräts im Auto in Grenzen: Die Mehrheit der Befragten, nämlich 45 Prozent, befürworten digitale Unfalldatenspeicher im Pkw, ablehnend haben sich lediglich 36 Prozent der Befragten geäußert, und 19 Prozent sind in der Frage noch unentschieden.
Umpf. Das gilt es erst mal sacken zu lassen, auch wenn einem im ersten Moment der Aluhut hochgeht. Gut, die Umfrage kann natürlich erstunken und erlogen sein oder mit so manipulativen Fragen gearbeitet haben, dass gar nichts anderes herauskommen konnte als eine Mehrheit für Big Brother als Beifahrer. Aber wir sollten uns da nichts vormachen: Wenn irgendwo ein kleiner Rabatt-Vorteil winkt als Gegenleistung dafür, dass der Kunde seine Hose noch ein bisschen weiter herunterlässt, dann werden sich immer welche finden, die das für eine super Idee halten. Ich kann mir auch bildhaft vorstellen, was das zum Teil für Leute sind: oberlehrerhafte Opelfahrer (die mit 115 km/h auf der linken Autobahnspur herumkriechen in dem Bewusstsein, also ich bin ja total vernünftig unterwegs und gefährde keinen), Gewinnspielteilnehmer und beflissene Paybackpunktesammler, die wahrscheinlich auch noch ihren Urin in Plastikbeuteln bei der Krankenkasse zur Analyse einschicken würden, wenn es dafür ein paar Euro Nachlass bei der Monatsprämie gäbe.
Heißt das nun, dass wir den Begriff der Privatheit auf den Müllhaufen der Geschichte kippen können, wie es die Post-Privacy-Propheten aus der Wüste rufen? Eine gewisse Diskrepanz zwischen Denken und Handeln ist im Datenschutz-Diskurs jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. „Ganz offensichtlich sind Beteuerungen über die Sorge um die eigenen Daten Lippenbekenntnisse“, schreibt Postprivatier Michael Seemann. Oder, um es mal utilitaristischer zu interpretieren: vielleicht auch der Versuch, den Marktwert des eigenen Datenrohmaterials zu erhöhen. Nach dem Motto, wenn ich mich schon nackig mache, dann muss es sich auch lohnen. Und wenn es nur die paar Euro Payback-Jahresrückzahlung sind oder eine verbilligte Versicherungsprämie als Gegenleistung für Datenpreisgabe.
Der Gedanke, die Mitmenschen mit Hilfe der Versicherungsbeiträge zu vernünftigen Wohlverhalten zu konditionieren, wird sogar in befreundeten und post-privacy-kritischen Bloggerkreisen ventiliert, wo ich dergleichen nicht unbedingt erwartet hätte: So machte Kollege Don Alphonso dieser Tage im Zug die erschütternde Beobachtung, dass im Bordbistro jemand um 11 Uhr vormittags über das Boulevardblatt hinweg „ein Bier und dann noch eines“ bestellte. Sein Fazit: „Ich würde dem ja die Krankenkassenbeiträge raufsetzen, dass er sich nicht mal mehr eine Dose leisten kann.“ So nachvollziehbar ich als Nicht-Biertrinker diesen Impuls auch finde: Als jemand, der mit einem nicht mehr ganz fabrikneuen Cabrio italienischer Provenienz gern Alpenpässe rauf- und runterheizt, würde ich mich mit solchen Äußerungen ein wenig bedeckt halten. Könnte ja sein, dass sonst ein eingefleischter Zugfahrer im ICE-Bordbistro nach dem zweiten Bier auf die Idee kommt: „Boah, dem verwöhnten Söhnchen, das so einen heißen Reifen fährt, würde ich die Kfz-Versicherungsbeiträge derart rauf setzen, dass er seine Karre verkaufen muss und künftig nur noch Rad fährt“. Und wer weiß, wie die Risikobewertung der Krankenkasse die positiven Effekte des Radfahrens für das Herz- und Kreislaufsystem in der Tarifgestaltung mit der erhöhten Verletzungswahrscheinlichkeit verrechnen würde.
Kurzum: Bei solchen datengetriebenen Strip-Pokerspielchen gegen die Versicherungen dürfen wir uns hier und da vielleicht über einen kleinen Zugewinn in Form von Prämienvergünstigung freuen. Aber wahrscheinlich gewinnt am Ende aufs Ganze gesehen halt doch eher die Spielbank als der einzelne Mitspieler. Das sagt jedenfalls meine auf Intuition und Erfahrung gestützte Risikobewertung.