Entgegen anderslautenden Aussagen deutscher sog. “Netzpolitiker” der grossen Koalition wird es vorerst keinen ständigen “Ausschuss Internet und Digitale Agenda” (AIDA) des deutschen Bundestages geben. Hintergrund sind Kompetenzfragen der Ministerien, weil Alexander Dobrindt die Auffassung vertritt, “Internetminister” zu sein, und andere Minister auch bei relevanten Fragen mitreden wollen. Einem Fachausschuss sollte ein Ministerium gegenüber stehen, beim Internet sind es dagegen gleich fünf, die sich verantwortlich fühlen: Infrastruktur, Wirtschaft, Kultur, Inneres und Justiz. Und die sind da in Sachen Zuständigkeit, wie man in Bayern sagt, wia da Hund mim Knocha. Und weil man sich nicht einig ist, gibt es eben gar nichts: Das ist Politik im Zeitalter des Shitstorms.
Beiseite: ROFLCOPTER
Pardon wo war ich, ach so, ja, das ist natürlich eine bittere, parteiübergreifende Niederlage für die Damen und Herren Netzpolitiker, wenn sie erst frohe Nachrichten ins Netz posaunten und schon mal nachdachten, wer da welchen Posten im Ausschuss bekommt, und dann kriegen sie von den Rivalitäten in der Regierung erst mal einen Abschuss statt einem Ausschuss. Fehlstart, höhnen Presse und Internet unisono, und es ist sicher eine Pleite für die Beteiligten. Aber für das Neuland Internet?
Für mich ist das so, als wäre es Anno Domini 1492, und ich sässe in der Karibik. Eines schönen Tages tauchen vor der Küste der Insel ein paar Segelboote auf, und ich höre erstaunt, dass man dort an Bord von “Neuland” spricht. Das ist Unsinn, ich bin schon lange hier und es geht mir prima, und ich habe auch keinen gerufen, mein Land zu entdecken. Aber von den Schiffen dröhnt es schon herüber, Fahnen werden gehisst, Büchsen werden gespannt, Priester singen, dass sie mich katholisch machen werden, und die ersten Hofnarren fragen die Kapitäne auch schon, wer in diesem Neuland eigentlich Vizekönig werden soll, um dann das Land aufzuteilen, Siedlungen zu errichten, Privilegien zu verteilen und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Das alles muss jetzt gemacht werden, das ist Zivilisation, denken sie, und dass man hier ab und zu Damen und Herren im Eva-und Adamskostüm sieht, passt dort drüben manchen auch nicht. Und meine Rechte sollen in Zukunft von der heiligen Inquisition vertreten werden. Sie kommen näher und näher, und ich kann schon die Löcher in den verfaulten Zähne der sich für mich zuständig haltenden Figuren sehen. Das ist kein schöner Anblick.
Und dann taucht am Horizont ein weiteres Schiff auf, gibt Signale, und gerade, als das erste Flintenweib, der erste Beilschwinger und der mit ihnen befreundete Speichellecker des grossen Monopolhandels an Land gehen wollen – werden sie von der Heimat zurückgepfiffen. Weil sich in der unfähigen Bürokratie am spanischen Hof ein paar Granden in die Haare gekommen sind. Weil jeder darauf achtet, dass er so viel wie möglich von den Eroberungen bekommt. Und keinem anderen das Schwarze in seinen Pockennarben gönnt, geschweige den den Eiter seiner Syphilis. Das muss jetzt erst mal geklärt werden, in einem langwierigen Gerichtsverfahren. Und deshalb fahren jetzt alle wieder heim.
Das ist natürlich eine schwere Niederlage der spanischen Politik im Neuland. Aber für das Neuland ist das eine gute Sache. Wer – wie ich – das Vergnügen hatte, die direkten Folgen der Verwicklung der bayerischen Laptop-und-Lederhosen-Politik in den Aufstieg und Untergang des Internetstandortes “Munich Area” zu erleben, diesen versuchten Globalisierungsraubzug der New Economy, der im High Performance Verpulvering von Staatsgeldern und im Niedergang eines hastig hochgezogenen Neuen Marktes endete, der ist für den Rest seines Lebens immun gegen die Heilsversprechen politischer Gremien. Diese Politik da hat uns in der Folge dafür aberwitzige Projekte wie die unsichere DE-Mail gebracht, die Gesundheitskarte und den biometrischen Personalausweis, Überwachungsgesetze, die unsere Verfassung brachen, und die Weitergabe unserer Daten an die USA. Das Letzte, was ich von denen jetzt sehen will, ist ein plüschiges Ausschuss-Hinterzimmer, in dem man sich schon einig wird und nur denen Zutritt verschafft, die in den eigens dafür gegründeten Verbänden sitzen: Dann gibt es eben eine Vorratsdatenspeicherung, mit der alle leben können, Wirtschaftsförderung mit der Giesskanne, Staatsaufträge für ein Placebo-Schlandnet, ganz viele Technologieparkeröffnungen und gegenseitiges Ordenandiebrusthängen.
Die beste Leistung der letzten, abgewählten Regierung hatte übrigens auch etwas mit dem Internet zu tun: Die Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung. Das war nur möglich, weil es keinen Ausschuss gab, der da vermittelt hätte, sondern ein übles Zuständigkeitswirrwarr zwischen der EU, dem Kontrollfreakund Friedrich und der Justizministerin von der FDP, deren politisches Überleben auch davon abhing, dass sie diese Begehrlichkeiten bis zur Bundestagswahl verschleppte, blockierte und abwehrte. Das war nicht schön, aber das Ergebnis war prima. In diesem Fall sieht man, was die Berliner Ministerialbürokratie wert ist, wenn sie nur mit genug konfliktträchtigen Egos gesättigt wird. Und mit Alexander Dobrindt haben wir da nun einen ganz besonderen Herrn, der mal in Bayern ganz grosser Wadlbeisser war, und in Berlin ganz klein in einem kastrierten Ministerium gelandet ist. Er muss sich um das Problemthema Maut kümmern, und bräuchte jede Menge guter Presse. Ihm gegenüber sitzt Sigmar Gabriel, der nach der Schlappe seiner Partei auch dringend Erfolge braucht. Das ist eine ministerielle Popcorngarantie, und einen Vorgeschmack gab es schon jetzt, weil die CSU wirklich lieber den Herzensausschuss der eigenen Staatssekretärin Doro Bär absaufen sieht, als einen Kompromiss einzugehen.
Man hat in den letzten Wochen gesehen, wie die relevanten Politiker, darunter auch die Netzpolitiker dieses Landes den Jahrhundertskandal der NSA und deren Treiben in Deutschland ins Leere haben laufen lassen – einfach, weil sie jetzt zusammen an die Regierungströge kommen wollen. Genauso nachlässig würden sie, wenn ihr Interesse das gleiche wäre, auch die anderen Themen behandeln, und das wäre eine Katastrophe für die Bürgerrechte in diesem Land. Ohne Internetausschuss haben sie jetzt alle Gelegenheiten, die Kleinkariertheiten ihrer Ressorts, die Trägheit ihrer Apparate und die Defizite ihrer Charaktere aufeinander krachen zu lassen. Garniert mit teilweise unfassbarer Inkompetenz und Unwissen kann es gut sein, dass sich zwar sehr viele Leute in vier Jahren bis auf die Knochen blamiert haben, aber sonst wenig Schaden angerichtet wird. Und die Netzpolitiker können dann zwischen den Minen und Granattrichtern der Grabenkämpfe zeigen, ob sie wirklich ihre Stimmen wert sind.
Fast 100 Tage waren nötig, diese neue Regierung zu erschaffen. In diesen 100 Tagen haben sie nichts geschafft, ausser diesen Ausschuss selbst zu versenken und ihre eigenen Leute zu brüskieren. Ein Auftakt nach Mass. Wenn sich Dobrindt und Gabriel jetzt noch vier Jahre lang im Bereich der Netzpolitik jeden nur denkbaren Schmerz antun, am besten mit vorherigem Staatssekretärcatchen ihrer Häuser zwischen Doro Bär und Brigitte Zypries, und die anderen ihnen dabei helfen, dann möchte ich hier im Neuland meine Kokosnuss auf sie erheben, einen Maiskolben für das Popcorn rösten, zu Weihnachten gesegnete Schlagringe wünschen und darauf hoffen, dass es 1496 vielleicht mal wieder eine Partei gibt, die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter ernst nimmt. Und nicht als Beute, Verhandlungsmasse oder wertlosen Plunder für einen Ausschuss behandelt.
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