Seit vergangener Woche hat der Onlinejournalismus in Deutschland ein Symbol. Es ist greifbar, flauschig und doch keine Katze. Es ist ein Kapuzenpullover. (Wie es dazu kam ist hier und hier nachzulesen.) Hoodies sind gemütlich, manchmal sogar mit Fleece gefüttert. Sie bieten mit einer Bauchtasche Zuflucht für kalte Hände und Dinge des täglichen Bedarfs wie Ladekabel und Kekse. Dank ihrer Kapuze kann man mit nassem Haar das Haus verlassen, gar ungekämmt, oder die ersten grauen Haare, die der Journalistenberuf mit sich bringt, darunter verstecken. Doch wofür steht das Hoodie tatsächlich? Ist es die Anlehnung an die Jugendlichkeit des Kapuzenhandtuchs, das für Babys das erste Kleidungsstück mit angenähter Kopfbedeckung ist? Sind Menschen, die Hoodies tragen, besonders lässig? Sind sie überarbeitet und müde? Brauchen sie einen Pullover mit dem Schriftzug ihres Unternehmens, um sich der Überidentifikation ganz hinzugeben? (Auch am Montagmorgen nach der #Hoodiejournalismus-Solidaritätswelle gab es im Onlineshop der SZ lediglich einen Regenschirm, aber keine Pullover.)
Das Outfit für die Identitätskrise
Das Hoodie steht stellvertretend für die Suche des Onlinejournalismus nach sich selbst. Denn seien wir ehrlich: Als Symbol der Revolution, der Einzigartigkeit oder der Zukunft taugt ein Hoodie nicht. Der Kapuzenpullover ist ein Kleidungsstück des Mainstreams: unauffällig, variabel und von jedermann tragbar. Sein Einsatzgebiet reicht von der Gartenarbeit, über eine Demoteilnahme bis zum Schlafanzug. Hoodies sind günstig, teurer, wenn ein Markenlogo auf die Brust gestickt ist, oder sogar ein It-Piece, wenn sie von der französischen Designerin Isabel Marant entworfen wurden. Der einzige Hauch Rebellentum, der dem Hoodie innewohnt, ist seine Geschlechtslosigkeit. Der Pullover mit der Kapuze ist ein echtes Unisex-Kleidungsstück, das Körperformen ignoriert. Brüste und Bäuche jeder Größe kleidet es gleichermaßen gut. Kaum jemand kommt in Versuchung das Hoodie bauchfrei zu tragen und drei Größen zu groß ist es ein prima Kleid. Am Ende der modischen Betrachtung des Hoodies steht die Erkenntnis, das es vor allem eines nicht ist: etwas Besonderes. Es ist kein Kleidungsstück, für das man Selbstbewusstsein braucht, wenn man es an der Frühlingssonne spazieren trägt. Es ist der ideale Überwurf für eine Identitätskrise.
Das Outfit fürs Rudel
Das Überstreifen des Hoodies für ein Selfie diente zunächst der virtuellen Aufnahme in eine Gemeinschaft. Es symbolisiert die Suche nach Nähe und Orientierung. Identität entsteht jedoch nicht nur durch abgrenzende Symbole, wie es am Beispiel des Hoodies geschehen sollte (Das Hoodie ist für die Gruppenidentität so etwas wie ein Fußballtrikot derselben Mannschaft.). Die Identität einer Gruppe muss vor allem aufgeladen werden mit Werten, die das gemeinsame Verständnis über die Gruppe prägen. Für Onlinejournalistinnen und -journalisten könnten sich diese Werte in Antworten auf die Frage „Was ist uns wichtig?“ ausdrücken. Die Sozialpsychologie sieht zudem Rituale als bedeutsam für eine gemeinsame Identität, was im Falle von Onlinejournalisten übersetzt werden kann in: „Wie arbeiten wir?“. Ein Solidaritäts-Tumblr ersetzt jedoch, wie Christoph Kappes anmerkte, keine inhaltliche Auseinandersetzung mit insgesamt drei möglichen Themen: der Kritik an SZ-Onlinechef Plöchinger, Werten und Arbeitsformen im Onlinejournalismus oder dem Kleidungsstück selbst. Der Journalist Andrej Reisin legte in seinem Beitrag für publikative.org den Finger in die Wunde: Die alltägliche Arbeit vieler Onlinejournalisten bestehe viel weniger aus Recherche und Schreiben, sondern vielfach aus dem „Produzieren“ fremder Texte für den Onlineauftritt. Journalistische Erfolge und Relevanz enstehe noch immer vorrangig in den Printredaktionen, so Reisin.
In seinen Beschreibungen klingt der Arbeitsalltag des Onlinejournalisten nach einer permanenten Kränkung. Neutraler beschrieben könnte es auch schlicht ein verändertes Berufsbild darstellen, das von Journalisten ein erweiterte Fähigkeiten wie technische Kompetenz oder Bildredaktion verlangt. Wie Onlinejournalisten auf ihre tatsächlichen Tätigkeiten blicken, könnte also in der Debatte um den #Hoodiejournalismus noch herausgearbeitet werden. Ich vermute jedoch, dass es dabei zu keinem gemeinsamem Rollenverständnis kommen würde, denn Onlinejournalisten bilden wiederum eigene Berufsbilder, wie zum Beispiel Datenjournalisten, Social-Media-Redakteure, Community-Manager oder Spezialisten für Live-Ticker. Auch hier gibt es übrigens Hackordnungen: Fragen Sie mal jemanden, der nur schreibt oder produziert, ob er die Beantwortung von Leserkommentaren für eine ehrenvolle Tätigkeit hält.
Das Outfit des Ausschlusses
Die künstlich erzeugte Uniformität via Hoodie, die kein Qualitätsmerkmal von Journalismus sein kann, hat dabei zufällig und doch eindrucksvoll eines der Kernprobleme von Journalismus herausgearbeitet, die seine Zukunft mehr mitbestimmen könnte als das Netz. Der Zugang zu Journalismus als Beruf ist nach wie vor eine Klassenfrage, seine große Schwäche der Mangel an Diversität (Dazu auch Yasmina Banaszczuk). Die Durchmischung von Redaktionen mit „Onlinern“ und gelernten Zeitungsredakteuren ist klug, denn die Zielgruppen lesen schon lange medienübergreifend. In Sachen Geschlechterquote sieht es in vielen Redaktionen nicht besser aus als in DAX-Konzernen. Die größten Probleme jedoch hat der journalistische Beruf dabei, sich interkulturell und für sogenannte „Arbeiterkinder“ zu öffnen. Das „Zentrum für mediale Integration“, angesiedelt an der Universität Dortmund, hat erhoben, dass maximal vier Prozent des Medienpersonals Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind. Zudem entscheidet in Deutschland noch immer die Herkunft über Bildungschancen: Von 100 Akademiker-Kindern studieren 77; von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund nehmen nur 23 ein Studium an einer Hochschule auf (Link). Doch ein Studienabschluss ist in den meisten Redaktionen oder Journalistenschulen Voraussetzung für eine weitere Ausbildung. Quereinsteiger sind selten.
Journalisten müssen modisch unter Frankfurter Bankern nicht länger auffallen. Sie mischen sich geräuschlos unter die Nerds beim Kongress des Chaos Computer Clubs. Selbst ein paar gut angezogene Vertreter der journalistischen Gattung gibt es mittlerweile, die es mit der digitalen Avantgarde der Modeblogs aufnehmen können. Viel wichtiger als der Hype um das harmlose Hoodie ist es jedoch zu fragen, ob es eine Solidarisierung gäbe mit Kopftuchjournalismus, mit strassbesetzten Acryfingernägeln und Menschen ohne Abitur. Denn für diese Menschen ist der Blick in die Zeitung, in die Online-Nachrichten oder politische Talkshows anders als für Hoodieträger. Letztere finden dort Journalisten und Menschen jenseits der Kleiderfrage, die für sie sprechen können.
Viel wichtiger also als nett gemeinte Hashtags und warme Pullis sind: Echte Einladungen, um die Redaktionen dieses Landes zu bereichern. Egal ob fürs Fernsehen, die Wochenzeitung oder für den nächsten Live-Ticker zur Krim-Krise. Denn welche Qualität kann Journalismus haben, wenn er nur für eine Bildungselite spricht?