Tilo Jung. der vor zwei Wochen wegen eines Bildes in einen Shitstorm geriet, kehrt dem Journalismus, wie er ihn bisher betrieb, den Rücken. Sein Platz beim Portal Krautreporter wird demnach frei, und wie es mit dem Youtubeformat Jung und Naiv weitergeht, ist damit offen. Das sagte er bei einer Podiumsdiskussion in Berlin, und die linksalternative tageszeitung hat inzwischen schon einen entsprechend garstigen Nachruf veröffentlicht.
Dem Vernehmen nach hat die ARD dort auch schon angefragt, ob sie diesen Nachruf in ihre Dokumentation über das Fressverhalten der Tüpfelhyänen einbauen dürfen.
Nein, im Ernst, Tilo Jung macht bei der Ansage das, was ihn dem Vernehmen nach schon während der letzten Wochen auszeichnete – eine eher ruhige und gar nicht so schlechte Figur. Kein Heulen wegen der ausbleibenden Überweisungen seines Arbeitgebers Krautreporter, keine Bitten um Spenden, verbunden mit Drohungen, sonst das Projekt einzustellen, wie etwa das Bildblog, keine Angst vor dem Arbeitsvermittler, die manche seiner Jägerinnen umtreibt, die selbst nur zu gern einen guten Job gehabt hätten. Auch kein weiterer sexistischer Witz über etwaige Konkurrenten wie der, den die davor gegen Jung mitjaulende taz-Mitarbeiterin Margarete Stokowski auf der Leipziger Buchmesse absonderte.
Das ist netzbasierter Journalismus heute, und das ist auch der grössere Kontext, in dem diese Entscheidung von Jung zu sehen ist: er kann sich das offensichtlich leisten. Natürlich haben ihm auf den Weg in den Journalismus auch andere geholfen: Sei es Google, sei es Youtube, seien es seine Unterstützer oder all diejenigen, die auch Wochen und Monate nach ihrem Erscheinen noch auf seine Videos verlinkten. Jung hat mit Politikern gesprochen, deren Sekretärinnen andere kaum erreicht hätten, Jung war viel unterwegs und wurde dafür herumgereicht. Das Format und andere Einlassungen zogen auch Kritik auf sich: Allein, er hatte eine Idee, diese Idee hatte ihren Erfolg, und er ist seinen Weg gegangen, solange er wollte.
Das unterscheidet Jung deutlich von dem, was man sonst so in den Medien gewohnt ist. Wir können ja offen darüber reden: Es gibt in diesem Internetjournalismus welche, die erbitterte Kleinkriege vom Zaun brechen, wenn man ihre vulgärfeministische Texte nicht veröffentlicht. Es gibt welche, die von den Medien Chancen bekommen und sie nutzen, um aus dem Internet geklaute Bilder zu monetarisieren. Es gibt welche, die sich nicht um die Kommentare kümmern, sondern lieber bei Twitter die Leser des Mediums öffentlich ausrichten. Es gibt welche, deren Abrechnungen fragwürdig sind und andere, die den einzigen Beitrag, den sie je in der Onlineausgabe geschrieben haben, sofort nutzen, um sich zum Autor der Zeitung zu machen. Freie Mitarbeiter, im Netz angeheuert, erfinden sich als „Blog-Redakteur“ neu. Und wenn sie nicht mehr beschäftigt werden, wird versucht, einen öffentlichen Shitstorm zu inszenieren: Es gab gute Gründe, es mit Autoren aus dem Netz zu versuchen. Und noch mehr gute Gründe, warum derartige Versuche in den meisten Fällen scheiterten.
Es gibt in Deutschland nur ganz wenige Beispiele für den erfolgreichen Wechsel von Internetautoren in die Medien, und die Erfahrungen mit derartigen, pardon, Selbstzerstörungsmechanismen reichen diversen Medien erst einmal: Momentan sieht es eher so aus, als würden die Medien ihre Mittel in die eigenen Leute investieren – und nicht in Risikopotentiale aus dem Netz, für deren Leistung es keine Garantien gibt. Bezeichnend für die eher seltenen Erfolge ist aber, dass sie schon vorab viel Erfahrung im Hochziehen dauerhafter Internetprojekte hatten – ein Hashtag ist halt nicht mehr als eine kurze Empörung.
Es gehört schon einiges dazu, sich in so einer Phase der viele Verlierer erzeugenden Transformation hinzustellen und zu sagen, dass man sich nun lieber einen anderen Arbeitgeber sucht. Sehr wahrscheinlich konnte Jung das tun, weil er sich diesen Partner gar nicht mehr lang suchen muss: Er muss nicht mehr beweisen, dass er etwas zustande bringt. Und der Umstand, dass Facebook bei der Beschickung seiner Nutzer gerade Videos nach vorne bringt, und das klassische Nachrichtengeschäft hinten anstellt, wird seine Möglichkeiten auch eher vergrössern. Die Fans und das Publikum werden ihm sicher erhalten bleiben, egal was die taz jetzt auch schreiben mag. Kundenorientierung ist für Jung normal und kein Akt der Gnade, als den gewisse Netzautoren ihre Tätigkeit gern darstellen. Seine Gegner sind der Meinung, das einzig Richtige zu tun und die Wahrheit zu vertreten. Was macht das dauerhauft in Page Impressions und Werbeumsätzen, in Ansprache der Audience und wie hoch ist die Quote derer, die genau deshalb wiederkommen?
Tilo Jung ist Tilo Jung. Leute wie ihn wird man unabhängig von den Inhalten immer brauchen. Leute, die anpacken und etwas aufziehen, die sich überlegen, was die Zukunft sein könnte und wie man die Nutzer packt. Manchmal geht das schief, manchmal passt wie bei Krautreporter das Umfeld nicht. Es gibt genug andere. Mit Tilo Jung kauft man eine Lösung für das viele Medien umtreibende Desiderat, bei Youtube aufzufallen, ohne dabei die Produktplatzierer vom Format einer Dagibee zu haben. Mit den massenhaft auftretenden Empörten vom Schlage taz-Stokowski, die den einzig wahren und gerechten Sexismus verbreiten, komma dSei fiadarn, hätte meine Oma gesagt. Die Hyänen der Moral bringen zwischendrin mal Klicks. Aber es ist keine Basis für zukünftige Geschäftsmodelle.
Die Krautreporter-Gründer Philipp Schwörbel und Sebastian Esser haben sich bislang nicht öffentlich zum Abgang von Jung geäussert.