Das war ein sehr aufregender Monat in der Medienzukunft.
Früher kam einmal im Jahr die Drückerkolonne vorbei, und versuchte, einem irgendwelche Abos zu vermitteln. Dann kam die Phase der Probeabos und Werbegeschenke, mit denen man wöchentlich konfrontiert wurde. Und heute vergeht kein Tag, da mich nicht jemand auffordert, seine publizistischen Leistungen finanziell zu unterstützen. Ich weiss nicht, wie oft ich in den letzten Wochen Vorschaltseiten bei taz und Neuem Deutschland weggeklickt habe, die mich darauf hingewiesen haben, dass Journalismus kostet und ihre Werbeabteilungen offensichtlich schlecht arbeiten. Und sobald ich auf Twitter gehe, möchte hier jemand per Patreon gefördert werden und da ein Crowdfunding, und überall sehe ich einen Flattr-Button und Amazon-Wunschlisten. Sinnstiftende Projekte drohen zu schliessen, wenn ich mich nicht beteilige, und alle arbeiten doch für einen guten Zweck, weil es die Guten sind.
Zu sagen, dass es in letzter Zeit ziemlich Überhand genommen hat, wäre eine deutliche Untertreibung. Gestern habe ich mir mal das Programm der Internetkonferenz Re Publica angeschaut, deren Referenten früher recht oft diejenigen waren, die ihr normales Leben nicht geregelt kriegten: Auch heute noch ist da eine hohe Quote von Leuten an den Mikrophonen, die ihr Dasein nicht gerade als Erfolgsgeschichte verkaufen können. „Arm bleiben mit politischem Aktivismus, der nur wenige wirklich bewegt“ könnte eine ganze Subkategorie heissen. Und alle reden sie im Netz von den erfolgreichen Crowfundings und niemand mag so recht darüber reden, dass viele Versuche gescheitert sind. Einfach, weil die Kombination aus vielen Angeboten und finanziell relativ schlecht aufgestellter Kundschaft wenig tragfähig ist.
Und – da kann ich auch bei mir selbst anfangen – weil das Publikum inzwischen reichlich zynisch ist. Die taz etwa geht mit schon seit zwei Jahrzehnten auf die Nerven – seit der Zeit, da ich noch Bürgerradio machte und gezwungen werden sollte, deren Propaganda auch noch einzusprechen und zu senden. Im Gesellschafterkreis des Radios war ein pensionierter, grünalternativer Lehrer wie aus dem Bilderbuch, der in seinem spanischen Bauernhaus sass und die Redaktion per FAX mit Anweisungen schikanierte, was aus der taz vorzulesen und zu senden sei: taz bringst Du, oder Du bist raus. Das waren die Ansagen, und dahinter standen viele Ausrufezeichen. Das sind die echten Fans: Übergewichtige, staatsfinanzierte Bartträger, die nicht mehr nach Wackersdorf fahren, sondern nach Spanien fliegen und von dort aus befehlen, was zu verbreiten ist. Und zwar nicht für das Geld, das Generaldirektor Haffeloher verspricht.
Der Haffeloher aus Kir Royal, gespielt von Mario Adorf, gilt nicht umsonst als eine der Sternstunden der deutschen TV-Unterhaltung. Er war damals schon ein universelles Rollenmodell. Wenn man die Sache mit dem Geld, der Villa und dem Ferrari weglässt, den Pool und die Luxusrestaurants, und das alles durch billige Kekse und zusammengewürfelte Einrichtung ersetzt, hat man in etwa das Klima, das all die guten, linken Projekte schon früher aufwiesen. Damals konnte eben nicht jeder selbst ein Blog aufmachen und sein eigenes Glück versuchen: Damals war man abhängig von denen, die die linke Infrastruktur besassen. Heute ist man einen Schritt weiter, die Kosten für ein Onlinemagazin, eine Radiosendung, ein Video gehen gegen Null – deshalb gibt es auch weitaus mehr, die es versuchen. Und die wiederum stossen dann, nach der geöffneten Tür den Netzes, gleich auf die nächste Wand: Den Umstand, dass sie Geld für den aktivistischen Lebensunterhalt brauchen, und damit Leute, die zahlen. Zwischen Baby Schimmerlos und den Generaldirektor Haffeloher schiebt sich als vermittelnde Ebene wenigstens noch die Chefin der Zeitung. Im Netz ist man direkt dabei.
Im Netz gibt es deshalb beim Funding solche Ansagen – und das ist noch die freundlichste Variante:
Liebe @EditionF_com, ich verdopple mein Invest, wenn ihr in Zukunft auch im generischen Femininum oder anderen inklusiveren Formen schreibt!
Ihr kriegt doppelt so viel, wenn ihr schreibt, wie ich das will. Das ist schon eine ganze und sehr nette Menge nach den letzten Wochen, wo es angesichts der Streitereien um Tilo Jung und Luise Pusch auch um die Frage ging, wie man ihre Medien Krautreporter und Emma finanziell austrocknet, weil sie nicht den Wünschen entsprechend reagieren. Für einen, der das Bürgerradio überstanden hat, sind solche „guten“ und „richtigen“ Aktionen nichts Neues. Wir können gern in den Kommentaren diskutieren, aber ich bin heilfroh, dass es zwischen denen, die im Netz plärren, denen, die die Zeitung finanzieren und jenen, die entscheiden, was gebracht wird, keinerlei Verbindung gibt. Was man halt so als „journalistische Unabhängigkeit“ bezeichnet.
Trotzdem wird im Netz versucht, eine Verbindung zu erzwingen: Diverse selbst ernannte Netzgrössen – genau solche übrigens, die versucht haben, sich über Nutzer und Netzaktivitäten zu finanzieren – wurden hier auch schon mit bislang stets unerfüllten Wünschen nach Gegendarstellungen vorstellig. Man muss sich das bewusst machen: Es ist heute üblich geworden, bei unerwünschten Meinungen im Netz den Anwalt in Gang zu setzen. Keine Woche vergeht ohne Entlassungsforderung, weil Texte nicht linientreu sind, andere Ansichten verbreiten oder kritisch Stellung beziehen, und wenn das nicht geht, werden Leser und Autoren schon mal als „Abschaum“ und „Schaben“ bezeichnet. Andere Meinungen interessieren da nicht, und Aufrufe, sie nicht zu lesen, zu verlinken und zu verbreiten, gelten auch unter Leuten normal, die sich als Internettheoretiker bezeichnen. Es heisst längst nicht mehr „Verstaatlicht Springer“. Sondern „lasst den verhungern, der mir mal mit Argumenten widersprochen hat“. Folglich funktioniert dann Finanzierung nur, wenn man genug eigene Gefolgschaft hat. Die ist dann aber im tragfähigen Umgang erstaunlicherweise nicht so sehr auf der linken, richtigen Seite, sondern bei den Pirinccis. KenFMs und Ulfkottes dieser Welt. Was auch damit zu tun haben mag, dass die thematische und ideologische Zersplitterung und Selbstbekriegung der Linken sehr viel weiter fortgeschritten ist. Parolen wie „Ausländer raus“ sind nun mal verbindender als die heiß debattierte Frage, ab welchem Argument man einem anderen Linken unterstellen darf, er wäre ein Querfrontler, ein Reaktionär oder ein Nazi. Oder Ungeziefer.
Werbung hat natürlich Nachteile. Werbung ist kommerziell und kann vom Kunden der Medien nicht gesteuert werden – wer, so die Grundüberlegung des Crowdfundings, möchte schon freiwillig helfen, die Bildzeitung zu finanzieren? Schöner ist es doch, das Geld denen direkt zu geben, die es wirklich für sich und ihre Aufgabe nutzen, für die klugen Inhalte und guten Debatten im Netz. In der Praxis wurde daraus ein ziemlich hässlicher und mit unschönen Mitteln öffentlich ausgetragener Verteilungskrieg: Aus der ab und zu mal zurückgezogenen Werbekampagne der Firmen wurde ein Belauern von Konkurrenten um die Zuwendung der Nutzer, denen vorgeschrieben wird, was sie für gut, verzeihlich oder inakzeptabel zu finden haben. Überraschungen oder abweichende Standpunkte sind dabei so wenig erwünscht wie bei den Konsumenten der Boulevardmedien – die Leser selbst sorgen dafür, dass ihnen ein „angenehmes publizistisches Umfeld“ garantiert wird. Gleichzeitig gibt es aber auch nur wenige Alternativen zum ideologisch verminten Territorium: Der Mainstream wird ohnehin schon von existierenden Angeboten abgedeckt.
Und dann ist da noch der Umstand, dass Gebildete und sozial Bessergestellte in Deutschland das Medium Soziales Internet eher meiden. Die Zielgruppe, die einen wirklich finanzieren könnte, hat eine zwar erschreckend, aber nicht überraschend schlechte Meinung vom Internet. Und so trifft man sich eben auf Konferenzen, um sich das Netz, die Zukunft und die Gesellschaft zu erklären, und hadert danach mit der Reisekostenabrechnung und dem leeren Konto. Aber „zuscheissen“ und zum „Knescht“ machen wie der Haffeloher können sie natürlich trotzdem. Nicht mit Geld oder einer Villa, sondern mit sozialer Kontrolle und Denkanweisungen, die direkt und öffentlich kommuniziert werden.
Und solange das so ist, wird das vermutlich auch nie ein Massenmarkt. Natürlich geht es den Medien heute schlecht und die Nutzer suchen Alternativen. Aber wir sehen diese Revolution nun schon seit zehn Jahren, und die ernüchternden Ergebnisse jedes Jahr wieder auf den üblichen Konferenzen. Dort wird dann über Totholz – also Zeitungen – gelacht und nicht überlegt, warum das Internet gerade mal für den Pappbecher zum Geldsammeln bei höchst unerfreulichen Leuten reicht.