Zuerst lässt die Reporterin des Rolling Stone Sabrina Rubin Erdely wissen, wie schmerzhaft die Erfahrungen der letzten Monate waren. Die Untersuchung ihres Beitrags über eine angebliche Gruppenvergewaltigung an der Universität von Virginia sei für sie ein brutales und deprimierendes Erlebnis gewesen. Sie entschuldigt sich dann bei den Lesern des Rolling Stone, den Redakteuren und Kollegen, der Gemeinschaft der Universität und bei allen Opfern von sexuellen Übergriffen, die nun in Folge ihres Beitrags Angst hätten. Dann erklärt sie umfassend, dass die Fehler in ihrem Beitrag darauf zurückzuführen sind, dass sie das angebliche Opfer schützen und nicht erneut traumatisieren wollte – Berichte über Vergewaltigung seien nun mal eine besondere Herausforderung, und sie hoffe, die Geschichte brächte nicht diejenigen Opfer zum Schweigen, deren Geschichte gehört werden muss.
Es gibt auch Leute, bei denen sich Frau Erdely nicht entschuldigt. In ihrem Beitrag über die angebliche Gruppenvergewaltigung behauptete ihre einzige Zeugin, es handle sich um ein Einführungsritual von Studenten der Gemeinschaft Phi Kappa Psi. Ihre eigenen Freunde hätten sie nach dem brutalen Verbrechen, bei dem sie durch einen Glastisch gebrochen und schwer verletzt geflohen sei, davon abgehalten, Anzeige zu erstatten. An der Universität herrsche ein Klima der Vertuschung, angefangen bei den Studenten der Bruderschaft bis hin zu den offiziellen Stellen. Was das angeblich Opfer da beschrieb, war „Rape Culture“, eine grundfalsche, gesamtgesellschaftliche Einstellung gegen die Opfer, die den Tätern ihr Treiben erst ermöglichte. Die Geschichte kam auf dem Höhepunkt der Debatte um sexuelle Gewalt an den Hochschulen, und es gab einen nationalen Aufschrei und internationale Berichte. Vor der Bruderschaft wurde demonstriert, das Gebäue wurde angegriffen, und die Universität liess deren Tätigkeit sofort einstellen.
Wie nun eine Untersuchung ältere Recherchen anderer Medien bestätigt, basiert die ganze Geschichte auf den alleinigen Aussagen der Betroffenen und dem, was Erdely daraus machte. Erdely hat zwar die Freunde des Opfers „zitiert“, indem sie die angeblichen Aussagen aus den Erzählungen ihrer Zeugin nahm, aber die betreffenden Personen nie kontaktiert. Sie hat anderen angeblich Beteiligten auf gleiche Art und Weise Worte in den Mund gelegt, und Universität und Bruderschaft über ihre Vorwürfe nur unzureichend informiert, und ihre Aussagen so verwendet, wie es dem Dreh ihrer Geschichte passte. Sie hätte nur konkret nachfragen müssen, und die Geschichte wäre in sich zusammen gefallen. Zuletzt hat sie nie versucht, mit den angeblichen Tätern in Kontakt zu treten. Tätern, die, wie man nun auch dank der viermonatigen Ermittlungen der Polizei weiss, nicht existierten. Das angebliche Opfer hat eine Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert, die Bruderschaft selbst ist von allen Vorwürfen freigesprochen worden. Und Erdely belässt es bei ihrem Statement und gibt keine Antworten auf Fragen.
Man könnte auch sagen, dass eine Sensationsjournalistin einem Fake, einem Hoax, einer dreisten Erfindung einer fragwürdigen Person aufgesessen ist, und dabei sehr vielen Menschen enorm geschadet hat: Freunden des angeblichen Opfers, der Bruderschaft, den Mitarbeitern der Universität und Leuten, die erfunden wurden, aber von vielen für real gehalten wurden. Die Hexenjagd an der Uni, die Steine gegen das Gebäude, den Druck auf die Mitglieder und die Lügen über die Beteiligten: Das alles hat es wirklich gegeben. Darüber verliert Frau Elderly kein Wort des Bedauerns, es kommt keine Entschuldigung, keine Bitte um Vergebung. Die Opfer ihrer Berichterstattung: Sie tauchen nicht auf. Statt dessen werden andere Opfer sexueller Gewalt angeregt, ihre Geschichte zu erzählen.
Damit ist der grösste amerikanische Medienskandal des letzten Jahres beendet. Beim Rolling Stone gibt es nach dem Debakel weder methodische noch personelle Konsequenzen – man meint, durch die Veröffentlichung des Versagens seien die betreffenden Leute genug bestraft. Und viele andere können auch zufrieden sein: An erster Stelle Journalisten der New York Times, die beim Hype um das Thema Campus Rape die Vorreiter waren, und selbst mit zwei späteren Medienskandalen bestens bei diesem Geschäft mit der Aufmerksamkeit mitmischten: Bei der erfundenen Vergewaltigung der von ihnen geförderten Schauspielerin Lena Dunham, bei der der Verdacht des Buchmarketings in der Rolle eines “Survivors” naheliegt. Und bei dem nach öffentlicher Aufmerksamkeit gierenden Mattress Girl, und damit einer weiteren angeblichen Vergewaltigung. Hier hatte die Presse lange Zeit allein die Sicht eines Opfers gebracht, bis dann jemand mal genauer nachschaute und feststellte, dass die Universität gute Gründe hatte, die Anklage der Frau nicht zu trauen. Zufrieden mit diesem Ausgang kann auch der Guardian sein, dessen Kolumnistin Jessica Valenti den Mob im Internet aufstachelte, nach den ersten kritischen Recherchen behauptete, man müsste dem Opfer glauben und auch nach dieser totalen Pleite genau da weiter macht, wo die Skandalverursacherin Erdely das eigene Versagen abwälzen will: Beim für Feministinnen angenehmen Narrativ all der Opfer von sexueller Gewalt, die nun besonders zu leiden hätten. Immerhin ist die Washington Post, die nicht auf die Propaganda hereingefallen ist, sondern die Fehler als erste recherchierte, so freundlich, schon einmal die juristischen Möglichkeiten gegen Erdely und den Rolling Stone darzulegen. Edit: Die Bruderschaft will klagen.
Davon wird dann vielleicht auch die deutsche taz überrascht sein, die den Skandal zu einem „fehlerhaften Bericht“ verharmloste, und die im Fall des Mattress Girl besonders laut mithelfenden Kollegen von Spiegel Online. Auch dort werden angesichts des Fiaskos die bislang noch schweigenden Opfer in den Mittelpunkt gestellt. In Amerika ist man längst einen Schritt weiter in Richtung Normalität und macht Jagd auf den beliebten Twitteraccount Science Porn, der einen Witz über Mathematik und Nacktheit brachte. Feministische Websites wie Jezebel suchen die Fehler allein beim Rolling Stone und der Autorin, und vergessen zu erwähnen, wie die Geschichte überhaupt erst entstand: Durch den von ihnen beförderten Campus-Rape-Hype wurden erst Leute wie das angebliche Opfer dazu animiert, ihre Geschichten feministischen Gruppen zu erzählen, die das Thema selbst zur öffentlichen Profilierung nutzen und es mitsamt dem erfundenen Opfer wiederum an Medienvertreter wie Erdely beim “Rape Shopping”vermittelten. Der Sündenbock ist mit dem Rolling Stone für die Aktivistinnen gefunden, über eigene Verfehlungen und Beteiligung an der Verfolgung Unschuldiger, oder gar eine Entschuldigung redet man nicht. Statt dessen wird beklagt, man werde nun selbst verfolgt von jenen, die gegen Political Correctness kämpften. Wurde früher noch das Motto “Listen and believe” im Umgang mit Opfern ausgerufen, könnten nun unerfreuliche Fragen gestellt werden, oder, um es mit einer Kommentatorin von Jezebel zu sagen:
Tatsächlich gab es in den letzten Monaten einige Kehrtwenden, und aktuell ist der Guardian wohl das letzte grosse Medium, das sich mit Jessica Valenti noch explizit eine radikale Autorin hält, die Männer schon mal mit Müll vergleicht – sicher nicht pc, aber wenn es eine Frau macht, ist es eine andere Geschichte. Die New York Times dagegen hatte eine bizarre Geschichte, wie Studenten eine Mitarbeiterin von Charlie Hebdo angriffen, weil sie sich „unsafe“ fühlten. Der universitäre Mob, der sich gegen die liberale Professorin Laura Kipnis richtete, weil die sich negativ über den radikalen Feminismus geäussert hatte, erhielt in The Nation eine sehr kritische Würdigung. Die Studentin Suzy Lee Weiss berichtete in einem weithin verbreiteten Beitrag über die Gedankenpolizei an ihrem Campus, die verlangt, dass man Sprache inklusiv nutzt. Dieser Polizei, deren selbst erklärtes Ziel es ist, Traumata und Verletzungen zu verhindern, und deshalb Trigger Warnungen und Schutz vor Kontroversen und „sprachlicher Gewalt“ haben will, wird die psychische Labilität aber auch nicht immer abgenommen. Für die Mitstreiterinnen von Jessica Valenti, die so gern das Opfer in den Mittelpunkt stellen und verlangen, dass ihm geglaubt wird, sind das wenig erfreuliche Zeiten – zumal zumindest in Amerika jetzt Hoffnung besteht, dass man zukünftig wieder genauer hinschaut und nicht jedem Vorwurf einseitig Glauben schenkt.
Möglicherweise ist also vorerst Ruhe an der Campus-Rage-Front. Dafür gibt es längst neue Debatten, sei es Pay Gap oder aktuell in Deutschland die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts – die genau von der schreibenden Pressure Group freudig begrüsst wird, die erst erfundene Vergewaltigungen zu Topthemen macht und dann, wenn sich die Geschichten in Luft auflösen, Angst um die Opfer hat.
Und vielleicht auch ein ganz klein wenig davor, dass die goldenen Zeiten vorbei sind, in denen die aktive Stimmungsmache bei einem Vergewaltigungsvorwurf schon reichte, um bei den Guten. Richtigen und Wahren zu sei, die mit dem Thema Bücher, Magazine und Aufschreie verkaufen.