Nicht im Auto essen. So wollte es das Gesetz der Väter und daran hat man sich gehalten. Denn früher pflegten Brösel von Chips und fallende Butterbrote die Sitze im Auto zu ruinieren. Gegessen und getrunken wurde während Pausen, die ohnehin nötig waren, denn die Lenkkräfte waren hoch, die Bremsen schlecht und die Autos langsam: So bekam jeder, was er brauchte, und die Sitze keinerlei Flecke.
Seitdem ist die Technik jedoch auch beim Leder etwas weiter, und selbst hart heran genommene Ledersitze, auf denen während zehn Jahren vieles transportiert und auch einiges konsumiert wurde, sehen immer noch so aus:
Zugegeben, das sind jetzt keine durchschnittlichen Sitze. Sie befinden sich in einem Mercedes, dessen Neupreis mehr als dreimal so hoch wie der des durchschnittlichen Neuwagens in Deutschland war, und ein knapp fünfstelliger Betrag ging dabei auf topaktuelle, elektronische Extras zurück: Navigationsgerät, Einparkhilfen, Freisprechanlage, Multimediadisplay mit zentralem Bildschirm und jede Menge Sensoren für die Fahrsicherheit. Das alles ist schlagartig vergessen, wenn man auf das Gaspedal tritt – dann brüllt der Kompressor auf, als steckte er noch in einem Vorkriegsrennwagen, und man schaut dabei besser nicht auf den Bordcomputer, der einem genau berechnet, was das Auto braucht, wenn man es artgerecht auf einem steilen Alpenpass benutzt: YOLO vs. 27 Liter Super Plus. Trotzdem sind all diese technischen Helfer da. Und die sind, ganz im Gegensatz zum Leder, das früher als erstes die Spuren der Jahre zeigte, rettungslos veraltet.
Das Auto ist, relativ betrachtet, noch gar nicht so alt, denn der durchschnittliche Wagen in Deutschland hat 9 Jahre auf dem Buckel und das, obwohl da auch Stehzeuge von Opel mit eingerechnet werden. Man kann sich damit immer noch sehen lassen, und die Fahrleistungen sind in jeder Hinsicht ausreichend. Aber die Bordelektronik. Da hapert es nach zehn Jahren gewaltig. Allein die äussere Erscheinungsform mit dem niedrig auflösenden Display und der groben Darstellung von Buchstaben ist gefühlt wie ein Fenster in die 70er Jahre. Kein Anschluss für USB, Speicherkarten, iPhone oder gar Micro-SD-Karten – die beiden letzteren Dinge gab es noch gar nicht, als das Auto entwickelt wurde. In exakt jenem Zeitraum, da das Auto fast unverändert produziert wurde, hat Apple dann sechs Generationen des iPhones entwickelt, auf den Markt gebracht und Leute animiert, schon wieder zu kaufen.
Noch schimmert das Edelholz, noch funkelt der Lack, aber es hat kein EDGE und kein WLAN, kein LTE und auch sonst nichts, wovon die angeblich so wichtige Generation Easy Jet Set erzählt, wenn sie in einer überfüllten Bahn sitzt und dieselbe das mit dem Internet nicht kann. So ein Auto ist kaum aufwärtskompatibel und damit aus Sicht der Computernutzer auch nicht zukunftssicher, weshalb sie gerne in das Schwellenland USA schauen. Amerika ist, was Autos angeht, eine Tabula Rasa: Dort ist man nicht nur Schuld an der Existenz von Opel-Strassensperren, man bewegt die Menschen in überdimensionierten Sardinenbüchsen mit Mayonnaisefederung mit einer Geschwindigkeit durch die Gegend, bei der jeder ordentliche deutsche Kompressor streiken würde. Die Sardinenbüchsen-mit-Mayonnaisefederungs-Industrie ist technisch und war finanziell so kaputt, wie es das Terzett aus NSA, BND und Bundesregierung moralisch ist, und von diesem Niveau aus betrachtet erscheinen die Pläne von Google und Apple für zumindest teilweise selbstfahrende Autos mit Elektroantrieb wie die Zukunft: Da sind sie, behaupten Hipster, die mangels Fachkenntnis ihr eigenes Fahrrad reparieren lassen müssen, die Herausforderer der europäischen und deutschen Autobranche, mit eigenen Mobilitätskonzepten. Selbstfahrende Kisten, in denen man arbeiten und entspannen kann, und vermutlich auch verbunden mit einem cleveren Leasing- oder Sharing-Modell: Man kauft nicht mehr das Auto, man erwirbt stressfreie Mobilität und das Gerät ist da, wo man es braucht.
Diese schöne, neue Welt der Fortbewegung ohne Autobesitz, die vielen vorschwebt, könnte aber eher ein Zwang des Ziels sein, das Auto der Software unterzuordnen. Kaum jemand würde ernsthaft ein derartig teures Gerät für ein Mobilitätskonzept käuflich erwerben, das sich aufgrund der technischen Entwicklung im Digitalen so schnell wie die Vorstellungen von Apple und Google ändern muss. Das wäre wirklich ein Fall für einen Service Provider, der ein stets gewartetes Fahrzeug mit allen Updates hinstellt und dafür sorgt, dass es auch wirklich sicher ist. Und die Veränderung kommt schnell – man muss dazu nur mal in den Kofferraum des Mercedes schauen: Da steckt die High-End-Lösung für das Navigationsgerät von vor zehn Jahren drin.
Wer den Prinzregenten noch kannt Ältere unter den Lesern werden es vielleicht noch kennen: Das ist ein DVD-Laufwerk. Als Mitte der 90er die erste Version dieses Mercedes erschien, kostete so ein Laufwerk noch mehrere tausend Mark, und wenn es heute kaputt gehen sollte, würde man ein billiges Handy an die Windschutzscheibe hängen und sich davon navigieren lassen. Der vor zehn Jahren noch recht teure Kasten selbst ist Sondermüll – so ist die Zeit über die Digitaltechnik drübermarschiert.
Die Beulen mit den 64 Lasern auf dem Dach, die aktuell dafür sorgen, dass so ein Googleauto in Echtzeit die Strassenlage erfassen und das Auto steuern kann, sofern es nicht regnet oder schneit: Diese Beulen erscheinen Journalisten der Technikbranche heute so magisch wie den ersten Hörern der CD die Abkehr von der Schallplatte, und wenn das System dann zum ersten Mal auf einem Serienauto zu sehen ist, wird es als Sensation gelten, wie einst das Autotelefon, die Satellitennavigation und die Einparkhilfe. Die eigentlich spannende Frage ist aber eine andere: Wie lange ist so eine Technik etwas Besonderes, und würde man sich deshalb ein Auto von Google oder Apple kaufen, oder sich auf deren Konzepte einlassen? Die Frage ist nicht ganz unwichtig, denn sowohl Google wie auch Apple haben eine Qualitätssicherung, die für die Bedürfnisse eines Porno TV-Serien ladenden Hipsters bei Starbucks gerade so ausreichen – solange er bereit ist, seine bald zerkratzten, lahm laufenden, von schlechten Akkus betriebenen Geräte bald wieder auszutauschen. Zudem sind beide Firmen dafür berüchtigt, alte Entwicklungen brutal einzustellen und Nutzer mit neuen Anforderungen zu konfrontieren, wenn es ihnen in ihr Geschäftmodell passt. Kauft man heute ein deutsches Fahrzeug, weiss man, dass Service, Ersatzteile und Reparaturen auf vergleichsweise lange Zeiten gewährleistet sind. Möchte man hinter einer Windschutzscheibe bei 200 km/h sitzen, die dort entworfen wurde, wo das Kratzerdisplay der iPhones entstand? Überleben bei hohen Geschwindigkeiten ist nun mal etwas anderes als Meckern wegen EDGE-Übertragung.
Die künstliche Intelligenz von Morgen, die Strassen erkennt und aus Lasersignalen lernt, ist das Plastikmodul von Übermorgen, das zig Zulieferer in China im erbitterten Preiskampf den Autoherstellern anbieten werden. Die ganz grosse Idee eines Autos, das sich immer dorthin fährt, wo man es braucht, und einen so schnell wie möglich ans Ziel bringt, verlangt dagegen eine komplett neue Dateninfrastruktur, Verkehrsüberwachung, Logistik und Sicherheit – und da sitzt man dann spätestens wieder bei den nationalen Gesetzgebern, ihren Vorgaben und der eher geringen Bereitschaft, sich den Wünschen der Firmen beim volkswirtschaftlich lebenswichtigen Bereich der Mobilität unterzuordnen. Und warum? Damit der Strassenverkehr bequemer wird, also die Fortbewegung mit Benzin und/oder giftigen Akkus und anderem hohen Ressourcenverbrauch in Zeiten des Klimawandels. Und die Politik fährt nun mal eher mit deutschen Arbeitsplätzen durch ihr Leben, als mit Lasern von Google, selbst wenn vielen auch die Idee der dafür nötigen Totalüberwachung gefallen würde.
Keine Frage: Google und Apple machen wichtige Grundlagenforschung. Aber die Autoindustrie wird das tun, was sie schon immer getan hat: Technik billig machen, integrieren und selbst an der Spitze der Verwertungskette sitzen bleiben, und alle sieben Jahre ein neues Modell bringen, das zum Glück nicht wie ein iPhone altert und wie Chrome abstürzt.