Bundesjustizminister Heiko Maas hat gerade die unerfreulichsten Wochen seiner politischen Karriere hinter sich. Hatte er sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes noch als Gegner der Vorratsdatenspeicherung gezeigt, mit dem so etwas nicht zu machen sei, hat ihn sein Parteichef Sigmar Gabriel in Zusammenarbeit mit der Union dazu gebracht, diese Auffassung zu revidieren und doch ein Gesetz zur „Höchstspeicherfrist“ von Verbindungsdaten vorzulegen. Nur unter massivem Druck stimmte der Parteikonvent der SPD zu, und das auch nur mit einer nicht gerade überzeugenden Mehrheit. In der öffentlichen Wahrnehmung erschien Maas wie der Befehlsempfänger eines Chefs, der seine Zukunft bereits hinter sich hat, und in einer Partei, die ausser ihrer Vergangenheit wenig auf dem Weg zum nächsten Projekt Achtzehn als Wegzehrung mitnehmen kann.
Da ist es natürlich wunderbar, wenn man sich auf einem jüdischen Sportfest in Berlin sehen lassen und die bei diesen Anlässen üblichen freundlichen Worte sagen kann. Schliesslich steht man für ein anderes Deutschland als das der Grossväter, aufgeschlossen, tolerant und überzeugend rechtsstaatlich, und auf die Sicherheit der Gäste achtet man natürlich auch. So eine Maccabiade ist eine feine Gelegenheit, die Vergangenheit abzustreifen und mit netten Wortmeldungen bei Twitter zu zeigen, dass alles prima ist. Das deutsch-jüdische Verhältnis, die Sicherheit, die Freiheit und dass Deutschland nie wieder zurück in Diktatur, Willkürherrschaft und Unterdrückung fallen wird – das alles sollten die Bilder sagen. Danach wurde Maas deutlich stiller, um dann gestern Abend ganz zu schweigen. Obwohl bei Twitter viele auf seine Wortmeldung warteten.
Denn neben seinen netten Worten bei der Maccabiade muss Maas auch mit Generalbundesanwalt Range reden. Als Justizminister ist er der Dienstaufseher von Range. Das ist wichtig für unseren demokratischen Rechtsstaat, denn der Generalbundesanwalt macht auch die erstinstanzliche Strafverfolgungen in Fragen der inneren Sicherheit, wie etwa Spionage, Landesverrat und Terrorismus. In diesen Fragen arbeitet der Generalbundesanwalt mit dem Amt für Verfassungsschutz zusammen, das dem Innenministerium unterstellt. Insofern liegt es natürlich nahe, dass der Bundesjustizminister informiert ist und etwas zu sagen hat, wenn der Generalbundesanwalt bei solchen schweren Delikten tätig wird. Der Innenminister wird schliesslich auch immer laut, wen sein Verfasungsschutz Terroristen schnappt. Wir sind in einer Demokratie, und Minister sind dem Gemeinwohl verpflichtet, und nicht der Vertuschung oder gar Mauscheleien.
Das – für Maas recht grosse – Problem ist nun, dass nicht nur Range eine üppige Sensationsermittlung hat. Maas hat auch die neue Vorratsdatenspeicherung durchgedrückt. Eine Vorratsdatenspeicherung, zu der er und andere dem Volk erzählt haben, dass sie nichts zu befürchten hätten – sie käme gegen uns alle ausschliesslich bei schwersten Delikten zum Einsatz. Terrorbekämpfung. Sexuelle Gewalt. Mord. Verschwörung. Spionage. Landesverrat. Lauter Dinge, bei denen jeder sofort an den Islamischen Staat, Kinderschänder, Nazischergen, KGB-Leute und geldgierige Beamte denkt, die Geheimnisse an die Chinesen verkaufen. Schrecklichste Dinge, die man nur aus Krimis und Filmen kennt, aber nie persönlich erlebt hat. Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Und mit der Vorratsdatenspeicherung hätte man auch vieles davon verhindern können.
Bekannte Freunde und Förderer dieser Überwachungsmassnahme – Generalbundesanwalt Range und der Chef des ansonsten gerade skandalerschütterten Bundesamtes für Verfassungsschutz Maassen – jedoch haben gestern mal gezeigt, wie schnell man nach ihrer Ansicht zum Ermittlungsziel für solche schwersten Straftaten werden kann: Ermittelt wird gegen den Gründer und einen Autor des Blogs Netzpolitik,org, weil sie geleakte Unterlagen des Verfasungsschutzes veröffentlicht haben. Darin geht es um den Versuch, soziale Netzwerke zu überwachen und zu infiltrieren. Die Dokumente sind geheim, und Ermittlungen gegen die Whistleblower sind normal. Dass aber die sie veröffentlichenden Journalisten nun auch verdächtigt werden, Landesverrat begangen zu haben, ist in diesem Rechtsstaat schon etwas länger nicht mehr vorgekomnen – in anderen Fällen hat sich der Staat dabei eine blutige Nase geholt.
Der entscheidende Unterschied zu früher ist jedoch, dass bei dieser neuen und harten Linie des Generalbundesanwalts die Vorratsdatenspeicherung zukünftig anwendbar wäre. Es handelt sich bei diesen an sich läppischen und inhaltlich schon länger bekannten Dokumenten und ihre Veröffentlichung schon um den Verdacht einer der relevanten, schwersten Straftaten. Das trifft nun hier aber nicht irgendwelche Gestalten, die Millionen von den Russen für die neuesten Rüstungsvorhaben bekommen, sondern zwei bekannte Blogger, die lediglich die Öffentlichkeit über das Treiben eines Amtes informieren, das die Rechtsstaatlichkeit und Freiheit gewährleisten soll. So schnell kommt man dann in den Genuss, mit seinen Verbindungsdaten den Behörden bekannt zu sein. Behörden, die mit solchen Klagewünschen dafür sorgen, dass Behörden auf solche Daten von jenen zugreifen zu können, die sie kritisch beobachten.
So schnell kann es eben gehen: Die Vorratsdatenspeicherung wird unter dem Verdacht des „Landesverrats“ ein Mittel der Behörden zur Bekämpfung ihrer Kritiker. Das ist genau das Szenario der sich verselbstständigenden Dienste, vor dem die Gegner der Vorratsdatenspeicherung immer gewarnt haben, und es ist genau das, was die Erben Noskes in der SPD immer bestritten haben. Jetzt ist es da, und Heiko Maas, der sonst so plauderfreudige Twitterer, schweigt sich über das Treiben seinen ermittelnden Untergebenen und das Eintreffen der schlimmsten Befürchtungen wegen seines Gesetzes aus. Wollen Generalbundesanwalt und Verfassungsschutz einfach mal schauen, wie weit sie gehen können, und ob sich die Öffentlichkeit einschüchtern lässt? Oder haben sie verstanden, dass Maas jetzt nicht mehr zurück kann und mit einem Gesetz in den Bundestag muss, das man nicht nur wegen „schwerster Straftaten, sondern wegen ein paar Unterlagen gegen Leute anwenden kann, die Journalisten des Jahres und Grimmepreisträger sind?
Früher hätte ein sozialdemokratischer Justizminister sein Schweigen nach so einem Debakel, nach so einer öffentlichen Desavouierung durch untergebene Ämter vermutlich geutzt, um eine wohlformulierte Entlassungsbitte zu formulieren. Wie Justizminister Heiko Maas mit dieser Machtdemonstration gegenüber einem von der Verfassung geschützten, aber hier vom Verfassungsschutz angezeigten Medium umgeht, wird sich zeigen. Es ist ein Skandal, und es ist leider erst ein Vorgeschmack auf die Möglichkeiten, zu denen Maas genau diese Ämter ermächtigen will.
Den Betroffenen von Überwachung und Verfolgung – und man täusche sich bitte nicht, dieser Fall entscheidet langfristig darüber, was wir entweder von hier aus oder nur noch aus der Botschaft von Ecuador veröffentlichen können, und was Netznutzer ins Visier der Behörden rückt – bleibt als kleiner Trost die Genugtuung, dass in diesem Fall die SPD der erste Handlanger ist, der von seinen Kumpanen verraten wird. Noch nicht einmal in so einem läppischen Fall hat Maas den nötigen Einfluss, Generalbundesanwalt Range zu bremsen. Für Berichte und Interna über die Rolle des BND bei der Kooperation mit der NSA und dem Versagen des Verfassungsschutzes beim NSU-Terror lässt das nichts Gutes erwarten. Und sollten die Netzpolitik.org-Macher wirklich vom politischen Beamten Range unter der Grossen Koalition vor Gericht gebracht werden, sollten deutsche Sozialdemokraten in Zukunft auch nicht mehr behaupten, sie hätten etwas aus der deutschen Geschichte gelernt.
Jenseits von Noske, natürlich.