Schneidet man das Thema Frauen in der Informatik an – früher in WG-Küchen, heute auf Empfängen – bekommt man einen wunderbaren Strauß an Meinungen dargereicht, ob es nun tatsächlich ein Problem gibt und wenn, wie man dieses in Griff bekommen könne. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Vorlesungen im klassischen MINT-Fach Informatik zu Beginn der Zweitausender Jahre, in denen man zum Abzählen der weiblichen Kommilitonen keine zwei Hände brauchte. Das entsprach einer Quote von etwa zehn bis fünfzehn Prozent an meiner Universität, kurz: die Sitze waren überwiegend von männlichen Studierenden okkupiert. Dass der Bitkom im vergangenen Wintersemester 2014/2015 einen Rekordwert für die Einschreibung von Informatik-Studentinnen verzeichnet, ist erfreulich, jedoch war selbst im vergangenen Wintersemester immer noch nur etwa jeder fünfte Studienanfänger in der Informatik eine Frau.
Ganz anders stellt sich die Situation in arabischen Ländern wie Tunesien und Marokko dar. Während unserer Projektaufenthalte bei nordafrikanischen Partneruniversitäten traf unsere fast ausschließlich männliche Equipe um das Jahr 2010 herum zumindest stets auf Gruppen von Studenten und Mitarbeitern mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis. Dies sei normal, sagte man uns, und lachend hinter vorgehaltener Hand weiter: Die Männer säßen lieber in Teesalons, während die Frauen das Geld für die Familie verdienten. Der Tee, muss man zur Verteidigung der Männer Arabiens sagen, schmeckt dort wirklich phantastisch. Dass es andere Länder gibt, in denen der Frauenanteil in der Informatik höher ist als hier, legt auch der Münchner Statistikbericht von 2009 nahe: In den Universitäten der bayerischen Landeshauptstadt lag der Frauenanteil bei ausländischen Studienanfängern der Informatik im Wintersemester 2008/2009 bei 26,5 %, der Anteil von deutschen Studentinnen jedoch nur bei 14 % [Münchner Statistik, 4. Quartalsheft, 2009, S. 22]. Diese Studie könnte nun Kritiker widerlegen, die in den Kommentarspalten von Zeitungsartikeln mutmaßen, die Frau an sich interessiert sich nicht gleichermaßen für Technik wie der Mann: Anderswo beginnen schließlich mehr Frauen ein Studium als hier.
Warum das so ist, weiß niemand genau. Oben genannte Menschen, die glauben, Frauen seien einfach nicht interessiert, stellen ihren Töchtern eher Puppenhäuser ins Kinderzimmer, ihren Söhnen hingegen blinkende Raumschiffe und Lego Technik. Die Akademie der Technikwissenschaften und die Körber-Stiftung stellen im Rahmen des MINT Nachwuchsbarometers 2014 fest: »Mädchen werden bei Technik von Eltern und Lehrern benachteiligt.« Es gibt manche, die seit Jahren fordern, man solle auch Mädchen die Möglichkeit geben, mit Raumschiffen zu spielen und so ihre Liebe zu Technik fördern: Raumschiffe sind cooler als Puppen! Auch Prof. Müller-Quade sagt aktuell im Interview mit dieser Zeitung, dass einer der drei großen Irrtümer sei, dass Frauen sich generell nicht für Informatik interessieren würden.
Ich habe mit einem Freund darüber gesprochen, der versucht, der Situation an den Universitäten und Hochschulen entgegenzuwirken. Er sieht noch ein weiteres Problem. Als er nach dem Abitur überlegte, was er studieren möchte, hatte er bei der Vorstellung, ein Psychologiestudium zu beginnen, eine Überzahl unsympathischer Powerfrauen vor Augen und die Sorge, Männer studieren nicht Psychologie. Einer der wenigen Andersartigen zu sein, hat nicht selten zur Folge, dass man auffällt und unter Beobachtung steht. Das gleiche Problem haben hierzulande Frauen, die sich für ein Studienfach der MINT-Richtung interessieren: Sie fallen auf. Durch den deutlichen Männerüberschuss sagt man Informatikern nach, keine Gelegenheit auszulassen, die Nähe zum anderen Geschlecht zu suchen. Ein selbstironisches Bonmot bekommt man schon im ersten Semester zu hören – es kann je nach Studienfach leicht variieren: “Mit Karohemd und Samenstau, ich studier’ Maschinenbau!” Das Stereotyp des von allen sozialen Fähigkeiten verlassenen Informatikers machen es einer an Technik interessierten Frau zusätzlich schwer und rufen potentiell unangenehme Situation hervor. Aber auch während des Lehrbetriebs sind die Augen auf die Frau gerichtet: Fragt sie nach, heißt es “War ja klar, dass die nichts versteht“. Der Freund sagt heute, er hätte sich selten so getäuscht; alle Vorurteile fielen zusammen, als er ein Psychologie-Nebenfachstudium absolvierte. Studienanfängern diese Sorgen zu nehmen ist eine seiner Motivationen, den Status Quo zu verändern.
Eine Freundin berichtete hingegen von der Situation, dass sie einen Aufgabenzettel beim Übungsleiter einer Informatikvorlesung abgab und dieser erstaunt entgegnete: »Du rechnest die Zettel?« Sie hat ihr Studium sehr erfolgreich abgeschlossen und sagt, dass sie von dieser Situation abgesehen sich nie beobachtet und deswegen unwohl gefühlt hat. Sie selbst ist hingegen befremdet von der Übermotivation einer Frauenbeauftragten, mit der sie nach einer Bewerbung in Kontakt kam. Diese rief sie einige Tage nach einem Bewerbungsgespräch an, um ihr mitzuteilen, dass sie eine Absage bekommen würde, sie sich in ihrer Funktion als Frauenbeauftragte jedoch für einen anderen Ausgang des Bewerbungsverfahrens einsetzen könnte.
Sowieso gibt es in diesem Bereich noch eine andere Seite als Universitäten und die (nicht) studierenden Frauen, nämlich jene der Unternehmen. Die Diskussion über die Frauenquote wird bereits seit einiger Zeit geführt, einige DAX-Unternehmen haben bereits öffentlich angekündigt, dass ein gewisser Prozentsatz ihrer Vorstandsposten mit Frauen besetzt werden soll. Wenn dann jedoch eine Frau ihren Vorstandsposten abgibt, wie etwa vor einem Jahr Angela Titzrath, die bis dahin Personalchefin der Deutschen Post gewesen ist, haben die Mitglieder der beiden verfeindeten Lager, die entweder für oder wider die Quote sind, neue Munition: Die einen sehen sich bestätigt, dass der weibliche Vorstand seinen Posten nur aufgrund seines Geschlechts bekommen hat und dann der Aufgabe nicht gewachsen war, die anderen werfen den Männern im Vorstand ein Komplott vor, der schließlich in der Beseitigung der unliebsamen Kollegin mündet. Denn, so weiter, die Bemühungen um Gleichberechtigung sind wie die Corporate Social Responsibility-Strategie einiger Unternehmen bestenfalls eine Farce, der Öffentlichkeit und der populistisch agierenden Politik Genüge zu tun.
Dass bissige Frauenbeauftragte und eine verkrampfte Frauenförderung seltsame Blüten treiben, bestätigte mir auch ein dritter Freund, Manager in einem großen Konzern. Während er das Budget für Bonuszahlungen auf seine Mitarbeiter verteilte, kamen sanfte Nachfragen aus, ob er die Mitarbeiterinnen b ei der Bonusverteilung wirklich angemessen berücksichtigt. Bei diesen Nachfragen spielten die jeweiligen Arbeitsleistungen und -ergebnisse jedoch keine Rolle, er vermutet, es ging um eine Quote. Zwischen diesen beiden Fronten verläuft eine Grenze, die keinen Übertritt duldet. Der Aktionismus auf Seiten der Befürworter von Frauenförderung trifft in Form von eifrigen Frauenbeauftragten, deren Mission die rücksichtslose Durchsetzung der eigenen und der Interessen des weiblichen Geschlechts ist auf in konservativ gewachsenen Strukturen integrierte, meist männliche Manager. Um aus dieser Position einen offenen Dialog zu führen, bedarf es auf beiden Seiten großer Anstrengung, Unvoreingenommenheit und die Bereitschaft, falsch verstandene Sätze und Statements zu ignorieren, die immer entstehen, wenn zwei Seiten unterschiedliche Sprachen sprechen; es bedarf interkultureller Kompetenz.
Für die Verbesserung der Gesamtsituation wäre hilfreich, wenn es mehr Frauen in den technischen Studiengängen gibt. Warum gibt es keine männlichen Frauenbeauftragten? Ein Weg, den Anteil der Frauen in den Studiengängen zu erhöhen, könnte die Einrichtung spezieller Studiengänge für Frauen sein, die einige der oben genannten Hinderungsgründe aus dem Weg räumen und so den Einstieg erleichtern. Ein gutes Modell, um die Akzeptanz dieser Studiengänge zu erhöhen, stellt die Zusammenführung des normalen und des Frauenstudiengangs in höheren Semestern dar. Ob dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, wissen wir in ein paar Jahren. (Ausprobieren ist übrigens ein akzeptierter wissenschaftlicher Ansatz.) Gerade gegen die generelle Einführung von Studiengängen für Frauen wird in zahlreichen Kommentarspalten gewettert. Wer jedoch in deren Einrichtung einen Deckmantel erkennen mag, unter dem das Niveau der Ausbildung gezielt gesenkt werden soll, hat vielleicht einfach Angst, dass herauskommt, wie lange er selbst schon im Teehaus sitzt, abgehängt von den Fähigkeiten seiner Kolleginnen. Ein Kulturwandel ist nötig. Dazu gehört auch, dass Mädchen endlich mit Raumschiffen spielen.