Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

„Wir sind das Pack“

Nennt sie endlich Nazis, statt nur die Rechten, die Asylkritiker, die besorgten Bürger. So fordern es Teilnehmer der sozialen Medien sehr laut, wenn man es wagt, genau zu differenzieren. Es ist zwar nicht zutreffend, all jene, die im Netz gern als Nazis tituliert werden, tatsächlich, fundiert, glaubwürdig als Nazis zu bezeichnen. Aber die Forderung nach dem Wort steht im Raum. Sie wird erhoben von Gruppen, die denken, weite Teile der Polizei seien Teil des Naziproblems, so wie hier eine Person, die bei der Friedrich-Ebert-Stiftung über Hate Speech im Netz diskutieren darf.

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Und Asylkritiker, so die weit verbreitete Meinung, seinen automatisch ebenfalls Nazis. Und überhaupt, wude Heidenau schon abgerissen? – fragt eine Mitarbeiterin und Fachreferentin für Hate Speech der Amadeu Antonio Stiftung, finanziert unter anderem durch das Familienministerium.

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Die Methode, anderen Leuten die Stadt abzureissen, wenn sie sich nicht wunschgemäss verhalten, kommt übrigens in der westlichen Zivilisation oft bei den Briten in ihren Kolonien und Mandatsgebieten vor. Bekanntestes Beispiel ist das systematische Vorgehen gegen Araber im Bereich Palästinas während des Aufstandes gegen jüdische Siedler. Die Israelis haben es als Methode und Strafe beibehalten, und nun blicken wir zurück auf neun Jahrzehnte des Niederreissens. Ich glaube, niemand würde ernsthaft behaupten, dass diese Methode den Friedensprozess im Nahen Osten zur Vollendung gebracht und die Verständigung der Völker gefördert hat.

Bis auf den Fahrersitz eines Bulldozers muss man ungeachtet des fragwürdigen Erfolges in einem Rechtsstaat erst einmal kommen, und da bietet es sich natürlich an, dem anderen eine besonders verwerfliche Haltung zu unterstellen – wie eben Nazi und rechter Terror. Das Wort „Terror“ ist angesichts der Gewalttaten und Brandstiftungen der letzten Zeit alles andere als unangemessen. Nur ist, wie man im Fall der ARD-Mitarbeiterin Anna-Mareike Krause sah, so ein Vorwurf der rechten Gesinnung natürlich schnell verbreitet, und da reicht es bei der gebotenen Kürze der Argumentation schon, wenn einem Rechten etwas gefällt, das man sagt. Aber nehmen wir einmal an, man würde dem Druck nachgeben, so wie es manche Leute für linke Gewalttäter jetzt schon tun. Es passiert online bei Vice, die Stimmung ist erhitzt, tägliche Nachrichten von Brandanschlägen verlangen nach klarer Bezeichnung, da wählt man eine Seite.

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Es gibt da ein kleines Problem bei den als Nazi bezeichneten Personen: Sie sind laut ihrer eigener Definition keine Nazis, Oder nur ganz wenige. Es gibt Leute, die finden, dass man sich für die Nation engagieren müssen, sagen sie. Es gibt tatsächlich Leute, die Mordphantasien haben, oder wirklich gewalttätig werden – aber selbst die beziehen solche Worte nur in Ausnahmefällen auf sich. Die meisten sehen sich ganz anders. Ich war während der blauschwarzen Koalition von Haider und Schüssel in Österreich, für eine amerikanisch-jüdische Zeitung. Das wurde landesweit als „Ostküste“ gescholten. Und wie man es als Ostküste wagen kann, einen Haider auch nur in die Nähe des Rechtspopulismus zu rücken. Man nennt diese Fähigkeit, etwas gleichzeitig zu sein und das Gegenteil sein zu wollen, „kognitive Dissonanz“ und man trifft sie immer wieder – etwa, wenn 200 gewaltbereite Autonome aus Sachsen, die in den letzten Monaten mehrfach gegen die Polizei vorgegangen sind, nun von sich sagen, sie hätten versucht, in Heidenau ein von der Polizei ausreichend geschütztes Gebäude ebenfalls zu beschützen. Das ist ein Kennzeichen aller Extremisten: Sie schwanken opportunistisch zwischen Angriff, idealerweise, weil sie sich oder ihre für die Gesellschaft wichtigen Ziele verteidigen, oder dem Gefühl, Opfer zu sein. Aber niemals Nazis. Sie schützen, verteidigen und retten.

Hamasvertreter können einem lupenrein erklären, warum ein Bombenattentat auf einen zivilen Bus trotz allem ein legitimes militärisches Ziel ist. Der Umstand, dass es im Westen anders gesehen wird, ist ihnen völlig egal, weil sie es erstens erklärt haben und zweitens die Bezeichnung Terrorist viel zu pauschal ist. Immerhin hat die Hamas auch Ärzte, Krankenhäuser und ein Sozialwerk, so wie sich moderne Nazis in Deutschland auch um den Mutterschutz sorgen, die Altersarmut und die Erhaltung der Schönheit der deutschen Landschaft. Nazis werden Ihnen gradraus ins Gesicht sagen, dass die Sache mit den Juden Hitlers grösster Fehler war. Sie schreien zwar „Hier marschiert der nationale Widerstand“, aber sie kennen das Mediengeschäft und wissen, dass man sich heute nicht mehr zu sehr festlegen darf – das ist gut für ihren argumentativen Freiraum und Geschichten mit social interest. Es gibt ultraorthodoxe Juden in Israel, die leisten einen Eid, dass ihr Freund Jörg Haider kein Antisemit war. Und ausserdem wollen sie auch nichts anderes als die religiösen Gesetze befolgen, und dass diese Gesetze mitunter den Gesetzen des Staates widersprechen, nehmen Sie mitunter auch bedauernd vor Gericht zur Kenntnis. Sie sind gar nicht extrem, der Rest ist nur extrem verwestlicht. Auch der Islamische Staat schneidet nicht einem gefesselten Menschen den Kopf ab, wenn er nicht glaubt, dass es insgesamt eine begrüssenswerte Tat ist. Niemand findet, dass er zu extrem ist.

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Wann immer man auf solche Leute trifft, geht es um das Gute, das Richtige, und allenfalls um bedauerliche Notwendigkeiten. Wenn Leute sagen, sie sind kein Nazi, aber – dann meinen sie das so, und keine pauschale Verurteilung wird sie vom Gegenteil überzeugen. In Österreich hat man auf den Nazivorwurf mit dem Wort „Vernaderer“ reagiert und die blauschwarze Koalition eindrucksvoll bei der Wahl bestätigt. Es dürfte keinem Ungarn entgangen sein, wie man bei uns in Europa über seine Regierung denkt – sie wählen sie mehrheitlich trotzdem. Sollte die FPÖ, was sich andeutet, als grosse Siegerin bei den kommenden Wahlen in Oberösterreich und Wien abschneiden, liegt es sicher nicht daran, dass der Standard diese Partei zu wenig als bräunlich dargestellt hat. Schwedendemokraten, Le Pen und Front National, Lega Nord unter Matteo Salvini – es ist nicht so, dass ein Wähler nicht merkt, wen er da gerade zur grössten Partei zu machen droht. Stünde hier „Nazi“ wäre es Opium für das linke Gemüt, aber kein Werkzeug, mit dem man an die Stellschrauben der politischen Willensfindung käme.

Die Antwort der Angesprochenen wurde heute in Heidenau deutlich: „Wir sind das Pack“, skandierten Demonstranten, als die Bundeskanzlerin kam, in Anspielung auf die Aussagen von Vizekanzler Gabriel. Da wird die Definitionsmacht von Politik und Netz nicht nur abgelehnt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Die Wortwahl tut ihnen offensichtlich nicht weh, sie hat keinerlei erzieherischen Zweck und definiert keine Grenze. Leute, die so etwas tun, kämpfen nicht mehr um die Bedeutung von Worten, sie debattieren nicht mehr über Verhaltensmuster: Sie zeigen offen, dass die Zeiten der Verständigung vorbei sind. Wie viele das nicht rufen, aber denken, werden die nächsten Wochen zeigen. Sich die Finger in die Ohren stecken und „Nazi“ rufen, das möchte ich nach meinen Erfahrungen in Österreich und Italien anmerken, ist da kein probates Mittel.

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Ebenso wenig wie schlichte Phrasen, wenig durchdachte Geschichten über wirtschaftliche Vorteile, und Behauptungen, das würde sich alles schon irgendwie von selbst einrenken, wenn alle nur fest daran glauben, während eine Prognose nach der nächsten über den Haufen geworfen wird, und Bürgermeister die Eröffnung von Lagern in ihrer Stadt aus der Zeitung erfahren. Natürlich könnte ich anhand meiner Erfahrungen mit FPÖ und Lega Nord erklären, was bei ihnen in der übelsten Tradition der deutschen Geschichte steht, und was uns da noch drohen kann. Bitteschön, in meiner Drittheimat ist es nicht mal mehr möglich, unter Migranten dreissig freiwillige Helfer für ein Fest anzuwerben, ohne dass es einen grösseren Konflikt gibt, und das Niederbrennen oder Bulldozern von möglichen Unterkünften für Flüchtlinge fordern Lega-Politiker selbst – die Unterschiede zur Wortwahl einer Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung mag man selbst suchen. Nazivorwürfe, Politikversagen, Korruption. Twittershitstorms – die Lega Nord hat das alles überlebt. Praktisch jeder, dem ich in den sozialen Netzwerken folge, hat mir nun dargelegt, wie sehr er die Nazis hasst und verachtet und wie wichtig es ist, das zu tun.

Es ist einfach, wie jede Hilflosigkeit. Und es wirkt nicht. Sie sind das Pack und kümmern sich nicht drum, sondern machen einfach weiter, und leben bestens mit Verallgemeinerungen von allen Seiten.