Da will man mal nett sein, und schon gibt es einen Shitstorm.
Ich hätte gar nicht gemerkt, dass momentan die Werbermesse Dmexco stattfindet, hätte sich nicht gestern ein Strahl frisch erbrochenen Hasses in meine kleine Netzecke ergossen. Es gibt auf dieser Messe auf Initiative amerikanischer Teilnehmerinnen einen Frauenraum mit dem Namen „The Girls Lounge“, und farblich gehen einige Elemente in Richtung Pink. Das war fraglos nett gemeint und kam bei manchen nicht schlecht an, aber es gibt da auch noch die anderen, die sich aufregen, weil es pink ist. Und weil sie sich als „Girls“ natürlich herabgewürdigt und nicht ernst genommen fühlen. Manche sind gar nicht dort und regen sich trotzdem auf. Natürlich ist die entsprechende Kommunikation bei Twitter sehr kurz und nicht eben ein Musterbeispiel für argumentativen Tiefgang. Was mich schon etwas wundert, weil speziell in dieser Branche des Lächelns eigentlich bekannt sein sollte, dass Kritik und Anregungen in konzilianter Form besser wirken.
Allerdings gab es letztlich auch einen Shitstorm gegen die Jugendzeitschrift Bravo, weil die es gewagt hat, die gefühlt hundert ältesten Flirt-Tipps auszugraben und neu verpackt zu empfehlen, darunter Banalitäten wie eine gesenkte Stimme und eine dem Gegenüber folgende Gestik. So etwas kann – Menschen, die schon mal Sex hatten, wissen das – wirklich helfen. Die meisten kennen das nonverbale Spiel und können es einordnen, aber die Bravo hatte das Pech, damit auch an Berufserregte zu geraten: Sie haben natürlich nichts gegen Männer, manche ihrer besten Freunde sind Männer, aber sich denen so anbiedern, das darf natürlich nicht sein. Immerhin war es nur ein Sexismusvorwurf und kein Rassismus, wie ihn andere produzieren; die Frontfrau des Aufstandes gegen die Bravo reihte sich gestern in den Chor derer ein, die diesen Gender-Fachschafts-Text nicht brüllend komisch, sondern beachtenswert finden.
Mit so etwas muss man an Universitäten, bei Twitter, in Blogs und bei der taz wohl heutzutage leben – eine kleine, laute, radikale Minderheit, die klassische Rollenmodelle so hasst, wie sie ihr eigenes Fett – oder auch manchmal Magersucht oder andere psychische Probleme – positiv bewertet, und schon beim kleinsten Anlass Gründe konstruiert, warum man laut und öffentlich wütend werden muss. Man muss das nicht suchen, es findet einen. Vorgestern wurde ich aufgefordert, eine Petition für ein Sexualstrafrecht zu unterschreiben, das uns auf das juristische Niveau des Irans bringen würde. Und diese Gruppe höhnt lustvoll, wie viele Männer so dumm sind, für Gespräche mit Programmen, mit erfundenen Nutzerprofilen bei Ashley Madison Geld hinzublättern. Und zu glauben, sie würden da von echten Frauen begehrt werden, die armen Würste.
Ich bin da anderer Ansicht: Es gibt da meines Erachtens einen Zusammenhang. Zumal es im prüden Amerika, wo Ashley Madison am meisten Geld verdiente, nochmal deutlich schwieriger ist, öffentlich zu flirten – dort ist frau inzwischen so weit, dass schon Blicke als sexuelle Belästigung definiert werden, wie es auch im Kosovo im Sinne der Familienehre beim falschen Blick auf Frauen üblich ist. Das Risiko, an so eine Person zu geraten, mag nicht allzu hoch sein – aber bei Ashley Madison ist es gleich Null. Einen grosser Teil der vorsichtigen Annäherung mit all ihren Fallstricken, die einen im realen Netzdasein bedrohen würde – wer weiss schon, ob anzüglichen Mails nicht weitergeleitet und verwendet werden – ist dort obsolet. Es geht um das Flirten und die Anbahnung von Sex. Die knallharte Ansage „No means No“ ist da eindeutig nicht das Thema. Wer dort ist, fasst eine sexuell basierte, aber höfliche Ansprache nicht als Belästigung auf, und ruiniert einem darüber nicht das Studium oder den Beruf.
Das alles kommt nicht ohne Kosten. Diese – bis zum Hack scheinbare – Sicherheit ist finanziell nicht eben günstig, aber es ist ein bescheidener Betrag im Vergleich zu dem, was eine falsch laufende Beziehung im normalen Netz im realen Leben bedeuten kann. Und es bedeutet, dass Männer nicht mit Frauen flirten, sondern nur mit Bots. Aber diese Bots liefern genau die diskrete Aufmerksamkeit, die sie gern haben. Das Gefühl, dass da jemand ist, der ihnen Freundlichkeiten am Rechner freundlich begegnet und sie interessiert betrachtet, Mit gesenkter Stimme, gewissermassen. Aufmerksamkeit ist nun einmal die Grundwährung des Internets, und wertvoll ist sie, wenn sie sonst keiner hat, wenn sie exklusiv ist und die Selbstbestätigung liefert, die man sich wünscht. Das ist schon mal keine schlechte Kombination im Vergleich zur Realität, die Aufmerksamkeit von realen Menschen liefert, aber nach jedem öffentlichen Ausfall die Unsicherheit hinterlässt, dass eine Nonmention über den fettigen Haarwischmob – so ein “Real Life Retweet” in einer obigen Angelegenheit – auf die Verursacher zu münzen ist, denn der Konflikt wird von allen Seiten nicht ganz fair ausgetragen. Wo ist der Vorteil eines aufmerksam-realen Menschen gegenüber einem Bot, wenn der Erstere einen verlacht? Und anders gefragt, wie real sind eigentlich sektiererische Filterbubbles, die jeden Ausfall gruppendynamisch bejubeln?
Inzwischen ist auch offensichtlich, dass aufgrund der geringen Zahl echter Frauen kaum jemand bei Ashley Madison zum erfolgreichen Ehebruch gelangte. Das, was sich zwischen Bots und Nutzern entspann, war also ausreichend für die Nutzer. Heute nun wurde bekannt, dass mit Lovoo eine Dating-App mutmaßlich ähnlich agiert haben soll – wobei Lovoo die Vorwürfe zurückweist: Auch hier ging es um Geld, das für Kommunikation mit den Profilen von – echten oder falschen – Nutzerinnen bezahlt wurde. Das Phänomen dürfte ohnehin weit verbreitet sein, und vermutlich wissen auch viele, dass im Markt der Liebe Bots agieren. In diesen Fällen steht aber dennoch die Frage im Raum, warum Nutzern selbst für eine Illusion Geld ausgeben, wenn es in der Realität und auch sonst im Netz echte Alternativen gäbe. Das mag einfach an der User Experience dieser Alternativen liegen. Wer die Wahl zwischen einer Debatte über den Sexismus der Bravo hat, oder mit Willige_Janine_222 über ihre Sehnsüchte am Abend… da ist das Angebot der Bots gar nicht so schlecht. Die Bots wären sicher nicht so erfolgreich, wäre die Stimmung in den sozialen Netzen nicht so rüde und gäbe es dort nicht – wie etwa bei Tinder – diese brutale Wegwischkultur. Leute gehen auf solche Plattformen, weil sie nette Ansprache und Begierden wollen. Die Bots sind wenigstens freundlich programmiert, mit weniger Geld als ein gutes Essen zufrieden, und machen, so die Plattform nicht gehackt wird, auch keinen Stress danach. Sie sind ganz normal. Das ist im Vergleich zum Netz ihr eigentliches Kernprodukt.
Meines Erachtens ist jedem klar, dass das Bots sind. Natürlich gibt keiner zu, dass er von Bots umworben sein will; die angebliche Suche nach einem Seitensprung ist für viele lediglich der Vorwand für die Annehmlichkeiten, die solche virtuellen Konstrukte mit Bots und gefälschten Profilen danach bieten. Niemand wundert sich, warum Menschen in die Traumwelt der Spiele abtauchen oder ihre Safe Spaces für fettakzeptierende cis_PoC-Senibilisierte aufbauen, in denen sie ihre Pseudowissenschaften leben. Das ist der gleiche Mechanismus der sogenannten „Self Care“ – Nutzer tun sich etwas Gutes. Man sollte sich daran gewöhnen, so wie man sich auch an Telefonsex, Porno, Bildschirmhintergründe mit Meeresrauschen, feministische Blogs, die gerechte Traumwelt der taz, die Bayernsimulation auf dem Oktoberfest und Girls Lounges gewöhnt hat.
Es sind Sehnsuchtsorte, um Wünsche gefahrlos auszuleben, mit grosser Bequemlichkeit und ohne Zwang, über das eigene Treiben nachdenken zu müssen. Ashley Madison und Lovoo mögen vielleicht verschwinden, weil die Illusion für die Nutzer zerbrochen ist. Es wird andere geben, und deren Bots werden noch besser sein. Wer sich an diesem Verhalten von “armen Würsten” stört, sollte mal mit dem Friseur des Vertrauens reden, die Stimme senken und generell mehr auf die Bravo hören, oder eben im Sinne von Herrn Kutschera das Nachsehen bei der Jagd nach dem idealen Partner haben.
Denn wer bei der Sexanbahnung nicht mal mit einem Bot mithalten kann, der stirbt zurecht aus. Das ist für die Welt kein Schaden, und die anderen üben wenigstens noch mit den Bots.