Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Mit der falschen Überwachung in der falschen Staatskrise

Die Attentatsserie in Paris war noch nicht vorbei, da gab es schon die ersten Wortmeldungen, man dürfte das Grauen auf keinen Fall „missbrauchen“, um gegen Flüchtlinge Stimmung zu machen. Das ist eine durchaus korrekte Aussage. Eine nicht minder durchaus korrekte Aussage ist aber auch, dass Deutschland illegale Einwanderung stoppen sollte – das ist nicht nur ein Gebot des Anstands, sondern tatsächlich auch per Gesetz so geregelt, und wird ohne Zweifel von der grossen Mehrheit in diesem Lande so gesehen – sonst würden die Gesetze anders lauten. Diese Aussage in Zusammenhang mit den Anschlägen hat der bayerische Finanzminister Söder getätigt, und obwohl der Hinweis auf eine geltende Gesetzeslage nun mal das Normalste ist – wünschen wir uns nicht alle Politiker, die sich an Gesetze halten? – erntete er dafür einen Shitstorm. Der „Missbrauch“ der Anschläge beginnt für die Anhänger der Willkommenskultur nun mal sehr früh, hier eben: Beim Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen des Staates.

Daran hat sich bisher auch nichts verändert. In Paris wurde der Pass eines syrischen Flüchtlings bei einem Attentäter gefunden, und ein „Nahostexperte“ des Spiegels weist gleich darauf hin, dass das zur Strategie des IS gehören könnte, Flüchtlinge in Verruf zu bringen. Das ist inzwischen im Netz so etwas wie der allgemeine Tenor, und die Ableitung ist auch schon klar: Wer über den Zusammenhang zwischen der Balkanroute und dem Terror reden will, unterstützt nur das Kalkül des Islamischen Staates. In den Augen dieser Leute sitze ich, der ich mich vor meiner Zeit bei der FAZ sehr lange mit Judentum, Israel und Terror beschäftigt habe, jetzt also in die Rolle des Collaborateurs des Terrors und seiner gewieften Medienstrategie – während es völlig in Ordnung ist, in solchen Tweets den Zusammenhang von Terror und Kritik an der ungesteuerten Migration herzustellen:

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Da ist dann auch die Gleichsetzung zwischen Terroristen und mir, weil ich beispielsweise gern in Jaffa am Strand liege. Jede halbe Stunde fliegt dort, gut sichtbar, ein Aufklärungsflugzeug, um jede Infiltration von Seeseite her abzufangen. Das ist nötig, weil Israel bereits mehrmals mit Angriffen von Seeseite aus zu tun hatte – Angriffe, deren Struktur durchaus dem ähnelt, was gerade in Frankreich passierte. Kleine Gruppen, die wegen der Grenzbefestigungen zu Land nie nach Israel hätten einreisen können, mogelten sich mit kleinen Schlauchbooten über das Meer an Land und brachten wahllos Menschen um, bis sie auf die israelische Art gestoppt wurden. Natürlich hat Israel zu den besetzten Gebieten eine Mauer und hält auch Hilfsbedürftige ab. Weil man dort erlebt hat, dass sich unter diese Leute auch die Terroristen mischten. Das war lange Zeit eine beliebte Strategie. Es gibt keine absolute Sicherheit, aber man kann trotzdem etwas tun.

Am Strand von Jaffa© AP Photo/Ariel SchalitAm Strand von Jaffa

Gegen die Annahme, so etwas könnte bei uns auch passieren, stehen aber die eindeutigen Aussagen der Geheimdienste, Sicherheitskräfte und des Bundesinnenministers, die unisono behaupteten, es gäbe keine Erkenntnisse über das Einschleusen von Terroristen. Auf der einen Seite steht also der Beitrag eines „ARD-Terrorismus-Experten“, der unter Bezug auf den Verfassungsschutzpräsidenten Schindler sagt:

Kämpfer des “Islamischen Staates” (IS) oder anderer islamistischer Terrororganisationen sind gar nicht darauf angewiesen, diese beschwerlichen, langwierigen und gefahrvollen Routen auf sich zu nehmen – sie steigen einfach in ein normales Flugzeug.

Und auf der anderen Seite der inzwischen bestätigte Bericht der österreichischen Presse, dass zumindest einer der Attentäter, überführt durch Fingerabdrücke, als Flüchtling getarnt kam.

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Es lohnt sich wirklich, diesen unsentimentalen und propagandafreien Beitrag aus Wien zu lesen – nicht nur, weil darin die Einschätzung der deutschen Behörden widerlegt wird. Der Inhalt ist enorm peinlich für die Deutschen, weil man gestern schon wusste, wann der Mann in Griechenland angekommen ist, welche Fähre er nahm, durch welchen Metalldetektor er in Serbien gehen musste, und wann er sich in Kroatien aufgehalten hat.Das war nach der ungarischen Grenzschliessung zu Serbien, als Kroatien die Ankommenden möglichst schnell über die noch offene Grenze nach Ungarn brachte. Ungarn – europaweit gescholten wegen seiner Versuche, Flüchtlinge nach Recht und Gesetz zu registrieren – leitete damals die Flüchtlinge direkt und unregistriert nach Österreich Richtung Deutschland weiter, wo es keine Obergrenzen für das Asylrecht gibt und das die Kanzlerin nicht mehr für ihr Land hält, wenn man nicht mehr ein freundliches Gesicht zeigen darf. Der Mann kam zur Wahl in Wien an, bei der ein Rechtsruck für die FPÖ befürchtet wurde, und die Österreicher brachten damals aus Angst vor steigenden Asylzahlen so viele Leute zur Grenze, dass unser eigenes System weitgehend zusammenbrach. Wer dort war – und ich war dort – der weiss, dass man die Leute oft unregistriert weiter geschickt hat. In München, in Rosenheim, überall traf man Flüchtlinge, teilweise verloren gegangen, ausgestiegen oder auf eigene Faust reisend und desorientiert. Es ist wenig überraschend, dass man angesichts des Staatsversagens über den Weg des Attentäters in Deutschland noch nichts weiss – im Gegensatz zu den Balkanländern, die von deutschen Politikern und Medien wegen der entsetzlichen Zustände und Inkompetenz gerügt wurden. Niemand weiss, wie viele Flüchtlinge sich in Deutschland aufhalten, und wie viele in andere Länder weiter gereist sind – aber einer davon sprengte sich in Paris in die Luft. Und stieg nicht einfach vorher in ein Flugzeug.

Warum? Vielleicht, weil Grundrechte in Europa angesichts des Staatsversagens nicht mehr für alle, sondern nur noch für manche gelten. Man kann entlang der Flüchtlingsroute aus Syrien ohne Visum in den Schengenraum einreisen – das geht am Flughafen, mit dem Auto oder am Hafen nicht. Wer mit dem Flugzeug kommt, wird überprüft. Das führte dazu, dass zwei der letzten Attentäter beinahe von ihren Taten abgehalten wurden. Mehdi Nemmouche, der mutmasslich den Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel verübte, reiste zwar verdeckt – und keinesfalls „einfach“ – über Malaysia, Thailand, Singapur und Frankfurt in Europa ein, wurde aber in Deutschland als Gefährder identifiziert, und konnte den Anschlag nur wegen einer Behördenpanne ausführen. Auch Ayoub El Kahzani, der Attentäter des Thalyszuges, wurde frühzeitig identifiziert, und die spanischen Behörden gaben ihr Wissen an die Franzosen weiter. Dass beide Anschläge stattfinden konnten, lag nicht an der funktionierenden Grenzkontrolle, sondern am Behördenversagen im nächsten Schritt. Seitdem wurden die Kontrollen verschärft, und es gibt Erfolge bei der Jagd nach IS-Terroristen, wenn sie mit dem Flugzeug ankommen. Wer mit dem Flugzeug reist, wird vielfältig registriert, während des Fluges überwacht, trifft allein an der Grenze auf den gut ausgerüsteten Sicherheitsapparat der Flughäfen, und wird dort sehr genau geprüft.

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Völlig unabhängig davon, ob Terroristen mit diesem gefundenen Pass etwas demonstrieren und die Bevölkerung in die Irre führen wollen: Der Weg über die Balkanroute ist erprobt, es gibt dafür in der arabischen Vorstellung eine Einladung aus Deutschland, alle Länder bringen die Flüchtlinge schnell weiter, und scharfe Sicherheitskontrollen gibt es weder bei der Einreise, noch bei der Ankunft. Für seine Terrorismusbefürchtung wurde Viktor Orban dagegen als Hetzer beschimpft. Wer als Flüchtling aussteigt, seine Unterkunft verlässt und weiterfährt, wird in Deutschland nicht behindert. Keine elektronische Überwachung, keine Vorratsdatenspeicherung greift hier: Es sind hunderttausende aus arabischen Ländern mit Prepaidkarten in Deutschland unterwegs. Die Werkzeuge, mit denen man jedem einheimischen Seriensauger eine Killerdrohne schicken könnte, greifen dort nicht. Die Grundrechtseinschränkungen in Deutschland und Frankreich treffen jene, die brav daheim am Rechner mit einer stationären IP sitzen, oder ein identifizierbares Handy haben, aber nicht jene, die bei jedem Grenzübertritt eine neue Simkarte kaufen und dann letztlich von Belgien aus zum Attentat nach Frankreich fahren.

Die Bundeskanzlerin hat eindeutig verkündet, wir könnten eine dreitausend Kilometer lange Grenze nicht schützen – während allgemein bekannt ist, dass wir Flughäfen und die Bewegung im Internet sehr wohl und mit grossem Aufwand überwachen können. Der Islamische Staat will offensichtlich seine Leute nach Europa bringen, und wie die Attentäter von Mumbai muss er dazu eine Grenze überwinden. Beim vergleichbaren Anschlag von Mumbai nahmen sie ein Boot, um unentdeckt eindringen zu können, und warum sollten sie im Mittelmeer anders agieren? Gleichzeitig weigert sich die deutsche Regierung mit der SPD, an den Grenzen Transitzonen einzurichten, um zumindest das Chaos etwas zu regulieren und zu wissen, wer in das Land kommt. Terroristen versuchen immer, ein möglichst niedriges Profil zu haben – bis zum letzten Moment. Gegen dieses niedrige Profil richtet sich die Überwachung, soweit sie das eben kann. Dass die Überwachung beim Missbrauch der Flüchtlingskrise für dieses niedrige Profil versagte, wissen wir jetzt. Es gibt diesen Anschlag, den syrischen Pass, die Fingerabdrücke und jemanden, dessen Spur sich in Kroatien verliert, bis er in Frankreich auftaucht. Dazwischen sind wir mit unserer brandneuen, nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo ohne Rücksicht auf die Verfassung eingeführten Vorratsdatenspeicherung. Und was hat es uns gebracht?

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Wir haben die falsche Überwachung für eine Situation, der hier keiner gewachsen ist, und an der kein echter Flüchtling ursächlich schuld ist, weil der Staat selbst die Kontrolle über sie im vollen Bewusstsein aufgegeben hat. „Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff“, sagte Frau Merkel kurz vor den Anschlägen. Ein Attentäter kam an diesem Abend trotzdem von Griechenland nach Paris. Die Flüchtlinge geraten unter Verdacht, weil die deutsche Einschätzung falsch war und niemand weiss, wie sehr der IS dieses Versagen ausgenutzt hat. Wir haben die Vorratsdatenspeicherung und keine Erkenntnisse über Terroristen. Das ist alles, was wir wissen.