Natürlich kann man Anhänger und Politiker der AfD als Hassprediger bezeichnen, man muss es nur in den Computer eintippen. Technisch kein Problem. Aber was bringt es?
Diese Personengruppe hat im Internet ihr Medium gefunden, und vieles, was mir tagtäglich beim Recherchieren unterkommt, klingt gerade sehr aufgeputscht, hysterisch und übelmeinend, vulgo Hass. Allerdings glaube ich persönlich nicht, dass man irgendetwas gewinnt, wenn man sich nun medienöffentlich hinstellt, auf diese Leute mit dem Finger zeigt und „Hassprediger“ sagt. Oder Andersdenkende gleich als “intellektuelles Freikorps“ bezeichnet, wie Hans Hütt das gerade bei Zeit Online gemacht hat. Es gibt, wenn wir schon über hysterischen und übelmeinenden Hass reden wollen, nämlich durchaus Unterschiede zwischen paramilitärischen Gruppierungen, die bestialisch Menschen umgebracht haben, und Autoren, die angesichts der aktuellen Migrationspolitik Zweifel vortragen. Und dieser unsägliche Vergleich kommt mit Hütt von einem, der sich erkennbar zu den moralisch “Guten“ und nicht zu den Hasspredigern rechnet. Wie die AfD-Aktivisten im Netz auch.
Diese Schimpfworte – es gibt da auch noch Volksverhetzer, Rassisten, Nazis, Rattenfänger, Faschisten – bräuchten, sollten sie wirklich treffen, dagegen so etwas wie eine rationale, argumentative Basis. Man müsste Leuten, die Bilder wie das Obige bringen, in ihre Geisteswelt nach kriechen, wie das Historiker bei Nationalsozialisten jahrzehntelang und mit guten Ergebnissen gemacht haben. Das war einfach, denn mit dem Wissen um Weltkrieg und Genozid ist von den Verursachern keine oder nur schwache Gegenwehr zu erwarten. NS-Forschung widmet sich einem Kadaver, AfD-Analyse einem höchst lebendigen und bei Hinterfragung ausgesprochen wütenden Soziotop, das nach all der miserablen Presse, den Skandalen und unsäglichen Vertretern momentan die dritstärkste Partei im Lande geworden ist. Die Piraten wurden von einer Welle der medialen Sympathie auf ein ähnliches Niveau getragen. Die AfD hat das trotz Selbstzerfleischung, Flügelkämpfen und massiver Gegenwehr geschafft. Schlichtes Abtun als “Hassprediger“ scheint mir angesichts des fraglos erfolgreichen Phänomens gefährlich unterkomplex zu sein.
Dazu gehört bei mir ein nicht sehr schöner Lernvorgang. Im Sommer erzählte mir eine Verkäuferin am Tegernsee, dass sich die Beschwerden über sehr forsch auf Frauen zugehende Asylbewerber häuften. Sie sagte das mit anderen, weniger freundlichen Worten, aber im Kern lief es darauf hinaus, dass sie in Strandnähe oft wenig erbauliche Geschichten hörte. Damals hatte es wegen einer deutlich übertriebenen Anzeige in Holzkirchen lokale Aufregung und bundesweites Aufsehen gegeben, und natürlich schreibt man solche Gerüchte nicht brühwarm auf. Man zieht diskrete Erkundigungen ein. Die Antwort mitten in der Badesaison von denen, die es wissen sollten, lautete: Alles nur Gerüchte, da ist nichts dran. Jetzt, im Winter, die Touristen sind fern der Strände, wird hier auch offiziell zugegeben, dass es durchaus schwierige Szenen gab und man deutlich erklären musste, „dass vieles, auch wenn es nett gemeint ist, hier nicht erwünscht ist“. Sage noch einer, Bayern könnten sich nicht höflich und gesittet ausdrücken, wenn es kompliziert wird.
Vor einem halben Jahr hätte ich meine Quelle nach den medial gängigen Kriterien der Migrationsdebatte als Hasspredigerin bezeichnen können. Wer solche haltlosen Gerüchte bei Facebook verbreitet, kann bei uns durchaus Probleme mit Polizei und Justiz bekommen – gerade jetzt wird das beispielsweise im Kontext mit einer Unterkunft in Grünwald bei München explizit von staatlicher Seite betont. Damals hörte ich Gerüchte, die laut kompetenten Stellen falsch waren. Heute weiss ich, dass es aus legitimen Gründen kein Interesse an einer öffentlichen Darstellung gab, und man versuchte, die Probleme diskret zu lösen. Ich weiss aber vor allem, dass die Verkäuferin keine Hasspredigerin war. Sie hat mir Informationen zugesteckt – im Wissen, dass ich Journalist bin – die ich damals nicht bestätigen konnte und für eine Nachwirkung der Holzkirchner Unruhen hielt. Sie hatte recht. Nach Köln ist es übrigens auch bei uns vorbei mit der Zurückhaltung, selbst wenn es überregional bekannte Feste betrifft.
Die AfD-Anhänger, die ich im Internet erlebe, halten sich für so etwas wie meine Verkäuferin. Sie mögen nicht fundiert über die realen Vorgänge Bescheid wissen, und vieles war vor einem halben Jahr noch wüste Unterstellung. Hätte sich aber ein Journalist im Oktober hingestellt und behauptet, es käme an Silvester zu Massensexübergriffen ais einer Gruppe tausend Flüchtlinge heraus, die die Polizei nicht stoppen kann, davor würden sich schon Terroristen von der Balkanroute in Paris in die Luft sprengen, ein Attentäter würde dort erschossen werden, der mit sieben Identitäten und einem üppigen Vorstrafenregister als Schutzsuchender in Deutschland lebte, die Hälfte der Bewohner einer Notunterkunft hätte mehrere Ausweise, um sich Leistungen zu erschleichen, die Polizei in Kiel verzichtete auf die Verfolgung mancher Straftaten, und in Heimen würde eine Zelle ein Attentat auf Berliner Besuchermagnete planen – der Journalist wäre seine Stelle los gewesen. Man hätte ihn im Oktober als Hassprediger verjagt, er hätte nie mehr eine Stelle bekommen. Heute sind wir deutlich schlauer. Diejenigen, die im Oktober tatsächlich solche Horrorszenarien im Internet gegen die schönen Geschichten vom integrationswillige Facharbeiter setzten, fühlen sich nicht als Hassprediger. Sie denken, dass sie mit ihren Befürchtungen recht hatten. Sie haben nicht den Eindruck, dass wir Journalisten ihnen noch etwas erzählen können. Sie sind überzeugt, dass sie die Realität vor uns erkannt haben.
Und sie sind überzeugt, dass sie auch weiterhin recht bekommen werden. In der Euphorie, der sich manche Medien und Anstalten hingaben, wurden Erwartungen geweckt, die jetzt schon erkennbar nicht eintreten werden: Dass es keine Steuererhöhungen gibt, dass es ein Gewinngeschäft wird, dass die Flüchtlinge besser ausgebildet als die Deutschen seien, dass es kein Risiko gäbe und sich alles schon irgendwie fügen werde – die Versprechungen klangen ähnlich gut wie die Verheissungen der Atomkraft in der frühen Bundesrepublik. Auch damals gab es welche, die es anders sahen, und die ihre Gesundheit riskierten, um Atomkraftwerke zu verhindern. An dem Tag, als Fukushima explodierte, sass ich als Wackersdorfveteran vor dem Bildschirm und dachte höhnisch zurück an meine Lehrer, die uns auf Staatsbefehl eintrichterten, so etwas würde in den nächsten zehntausend Jahren garantiert nie passieren. Linken Aktivisten ist dieser „Wir haben es Euch ja schon immer gesagt“-Hass auf Institutionen und Medien durchaus nicht fremd. Diese Form der wütenden Selbstgerechtigkeit las man auch bei der Finanzkrise und dem NSA-Skandal. In dieser Stimmung – die richtige Einschätzung gegen alle Nebelkerzen von Medien und Politik verteidigt zu haben – sind die AfD-Anhänger. Sie sehen sich zuerst einmal als Künder der Wahrheit. Sie haben es in den sozialen Netzwerken schon gesagt, als andere noch von Rentenzahlern sprachen.
Und aus dem Gefühl heraus, dass ihre Wahrheit bis aufs Messer bekämpft wird und man sie als – beliebige Beleidigung – bezeichnet, reagieren sie mit Hass. Sie reagieren nur. Sie agieren nach ihrem Empfinden nicht. In ihren Augen haben Medien und Politik versucht, sie auszugrenzen und als Verschwörungstheoretiker hinzustellen. Tatsächlich berichten diverse grosse Medien auffallend oft über Fälle wie “Lisa“, oder lassen lieber das „Partnerblog“ der Kölnrelativiererin Anne Wizorek zu Wort kommen, als dass sie sich mit der Frage beschäftigen, ob nicht doch etwas dran ist an der Unsicherheit, die inzwischen weite Teile der Bevölkerung ergreift. Eine Unsicherheit, die auch entsteht, wenn wie hier in der Süddeutschen Zeitung nach Übergriffen in der Münchner U-Bahn versucht wird, sofort Zweifel an den Taten anzubringen, und vor der Instrumentalisierung durch Rechte zu warnen.
Das ist wieder so ein Fall, der der AfD auf ganzer Linie in die Hände spielt. Die SZ bringt den Fall erst, als er international in den Medien ist, bezweifelt den Beweis und lässt sich von der Polizei, wie wir inzwischen wissen, nicht zutreffend informieren. Und die Bevölkerung muss nachher aus der Lokalpresse erfahren, dass die mutmasslichen Täter – zwei davon bereits abgelehnte Asylbewerber – nicht verhört wurden, und inzwischen untergetaucht sind. Unter normalen Bedingungen wäre das ein Anlass für ein „Mea culpa“ von betont flüchtlingsfreundlich berichtenden Medien, um Vertrauen aufzubauen und zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen. Aber das würde ja den Rechten in die Hände arbeiten. Also beisst man die Zähne zusammen und ignoriert die Kritik, die dann von der “Wir haben es ja gleich gesagt”-AfD aufgegriffen wird.
Ich denke aber, dass jeder, der die Lage und Stimmung vor Ort auf dem flachen Land in den Gasthäusern oder Turnhallen kennt, genau weiss, dass die Lage auf vielen Ebenen, unter Asylbewerbern und Einheimischen. ausser Kontrolle geraten ist. Die Politik ist so gescheitert, dass eine zerstrittene und unerfahrene Truppe in der Gunst des Souveräns unaufhaltsam durchmarschieren kann. Sie als Hassprediger zu bezeichnen und zu erwarten, dass sie verschwinden, funktioniert nicht. Sie bei Facebook und Twitter zu löschen funktioniert auch nicht. Die Ursache ist nicht, dass die AfD gerissen agiert, im Netz ihre eigenen Medien und Filterblasen hat, und mit Memes und Katzenbildern umgehen kann. Die Ursache ist, dass die Politik der Bundeskanzlerin und die Agenda der sie stützenden Medien angesichts der erlebten Realität der Menschen bei vielen noch schlechter als die AfD ankommt.
Dass die AfD trotzdem nur zwölf Prozent wählen wollen, ist ein gutes Zeichen für die Zivilisation eines Landes, das im Streit um eine wichtige Frage erheblich zivilisiertere Argumente als wirkungslose Hassprediger- und Freikorpsvorwürfe verdient hat.