Peter Altmaier gilt als authentisches Twitteraushängeschild der Regierung Merkel, und schreibt auf dieser Plattform am Neujahrstag “Euch allen ein supergutes neues Jahr 2016! Danke für ein tolles twitteinander!“. Als Chef des Kanzleramtes ist er auch Koordinator der Flüchtlingspolitik, und aus einer Gruppe von rund tausend Personen derer, für die er damit ebenfalls politisch verantwortlich ist, wurde gerade in Köln eine in der Bundesrepublik einzigartige Serie von brutalen Übergriffen begangen. Ab dem 4. Januar erfährt auch die Republik, was in Köln, Hamburg und anderen Orten geschah. Altmaier twittert in den folgenden Tagen derweilen über sein Videointerview mit „Jung und Naiv“. Erst am elften Januar, eine Woche nach dem Bekanntwerden, verbreitet er dann sein Interview mit dem Morgenmagazin der ARD: „Keine Toleranz für Übergriffe. Werden Gesetzeslücken schließen und Schuldige bestrafen.“
Mehr hat Altmaier seinen über 86.000 Followern in der Sache nicht zu sagen.
Am 18 . Februar demonstrieren und blockieren hundert Deutsche, meist aus der Nähe des Ortes Clausnitz, die Anfahrt eines Busses mit Flüchtlingen, skandieren „Wir sind das Volk“ und weigern sich, den Aufforderungen und Platzverweisen der Polizei Folge zu leisten. Flüchtlinge beantworten den Protest mit Spucken und Kopf-ab-Gesten, und am Ende ist die Polizei gezwungen, drei der zwanzig Flüchtlinge unter Anwendung von körperlichem Zwang aus dem Bus in das Heim zu bringen. Am 20. Februar wird eine geplante Asylunterkunft in Bautzen Opfer eines Brandanschlags, Einige der Schaulustigen bejubeln den Brand. Altmaier findet mit der Bezeichnung „unmenschlicher, krimineller Mob“ deutliche Worte für die Anwesenden, und sorgt mit den Hashtags Bautzen und Clausnitz auch dafür, dass jeder weiss, wer gemeint ist.
Volker Beck, Innnenpolitiker und Shitstormbedanker bei den Grünen, der schon im Fall des von einem Mitbewohner getöteten Flüchtlings „Khaled“ schwere, und, wie sich dann zeigte, kaum haltbare Vorwürfe gegen die Polizei erhob, greift diese Aussage auf, verbreitet sie, und fügt aber noch Kritik an der sächsischen Polizei hinzu. Peter Altmaier, Kanzleramtschef der Regierung und als Koordinator für die Flüchtlingspolitik politisch verantwortlich, verbreitet diese „Fragezeichen“ des Oppositionspolitikers, der ihn vertraulich “Peter“ nennt, wiederum an seine eigenen Leser.
Im selbst vertwitterten Interview mit Bayern 2 legt Altmaier dann noch einmal nach:
Ein krimeneller Mob soll unter Demokraten keine Chane haben.
Gestern nun wurde bekannt, dass zwei Migranten aus Afganistan im Einkaufszentrum „Sophienhof“ in Kiel drei Mädchen im Alter von 15, 16 und 17 Jahren verfolgten, photographierten und die Bilder offensichtlich weiterschickten, so dass sich bald eine Gruppe von ca. zwei Dutzend jungen Männern einfand, die die Mädchen laut Polizeibericht „belästigten, beobachteten, und verfolgten “. Zwei der Mädchen flohen und wurden später erneut von den beiden Afghanen bedrängt. Beobachter informierten den Sicherheitsdienst, der wiederum die Polizei rief. Diese konnte vier beschuldigte Personen auf das Revier bringen. Dabei, so der Polizeibericht “kam es zu massiven Beleidigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zum Nachteil der eingesetzten Polizeikräfte.“ Auch gegenüber dem Polizeiarzt kam es zu Drohungen. Zwei der Beschuldigten wurden wieder auf freien Fuss gesetzt. Weil die Parallelen mit den Straftaten in Köln augenfällig sind, kam das Thema – im Gegensatz zu den hunderten anderen Fällen, die nur in den lokalen Medien auftauchen – auch in die bundesweite Presse. Am Abend twittert dann Peter Altmaier unter dem Hashtag “Menschenwürde“
Aufgrund der Nennung des Ortes kann man davon ausgehen, dass Altmaier mit seiner eigentlich an Banalität im Rechtsstaat nicht zu überbietenden Aussage den Übergriff in den Sophienhöfen meint, wo es eindeutig an Schutz vor einer grossen Gruppe Männer mangelte, die offensichtlich nicht der Auffassung sind, dass das Recht überall gilt, wo sie in zehnfacher Übermacht auftauchen. Von Altmaier, immerhin verantwortlich für die Flüchtlingspolitik, erfährt aber niemand, was in Kiel geschah. Wer die Opfer sind. Und was die Täter gegen sie und die Staatsgewalt unternommen haben. Da steht nur “rasche Hilfe, Handeln und Schutz“.
Feministinnen nennen das Vertuschen solcher Taten normalerweise “Rape Culture“: Dass eine Gesellschaft sexistisch motivierte Übergriffe und Gewalt als so normal empfindet, dass ihre Repräsentanten die Täter überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nimmt, und die Opfer ohne einen Funken Mitleid und Empathie verschweigt. Allerdings schweigen im Falle von Kiel bislang auch bekanntere deutsche Netzfeministinnen wie Anne Wizorek, Margarete Stokowski und Jasna Strick. Und die grünennahe Böll-Stiftung ist ohnehin ganz anderer Ansicht zu den Übergriffen von Migranten und und der “Legende vom schwarzhaarigen Täter” – sie veranstaltet am kommenden Dienstag eine Podiumsdiskussion zum Thema , die fragt; “Wie genau funktioniert die Indienstnahme von feministischen Argumenten für rassistische Zuschreibungen, auch in feministischen Zirkeln? … Warum gelingt es den liberalen Kräften nicht, die Themenagenda der Politik mehr zu bestimmen? Welche Versäumnisse sollten erinnert werden, damit beim nächsten Vorfall nicht wieder die Rassismuskarte gezückt werden kann?“
Diesen Vowurf wird sich Peter Altmaier sicher nicht anhören müssen. Die im Januar angekündigte „Null Toleranz“ kennt auf seinem Twitteraccount weder verletzte Polizisten noch verfolgte Mädchen oder gar eine zusammentelefonierte Gruppe, die die Mädchen jagt. Altmaier kennt nur den unmenschlichen, kriminellen Mob in Bautzen und Clausnitz, die Fragezeichen der Opposition gegenüber der Polizei in Sachsen, und die Menschenwürde als Hashtag in Kiel. Keine Täter, keine Opfer, daür Menschenwürde und Recht, was hilfreich für den – neben Kanzlerin Merkel – Hauptexponenten der deutschen Politik der offenen Grenzen und der Willkommenskultur ist. Da passt es auch, wenn er das vertwittert, was er im Interview der F.A.Z sagte.
Dieses Vermeiden von Überforderung ist besonders dann kein Problem, wenn von Seiten der Migranten nichts passiert, was Altmaier unter der Devise „Null Toleranz“ erwähnenswert findet.