Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Unbedingt die Kommentare lesen

Der Österreicher als ein solcher, das lernt man in Bayern in der Schule, trat mit den sog. Ungarnstürmen des 9. Jahrhunderts in das Licht unserer strahlenden Geschichte, und seitdem hat sich da auch nichts verbessert.

Aber mal abgesehen davon ist das noch lang kein Grund, als Grüne Jugend in den berlinslawischen Grenzmarken Deutschlands die freie, gleiche, demokratische Wahl des Bundespräsidenten durch das ganze Volk mit einem Patt zwischen den Kandidaten von Grünen und FPÖ mit diesen Worten zu beurteilen:

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Besonders peinlich ist die gestrige xenophobe und hetzerische Einlassung nach dem heutigen Sieg des grünen Kandidaten Alexander van der Bellen, der laut Eigenaussage eigentlich gern die Gräben zwischen den Lagern zuschütten würde.

So schnell also ist man hierzulande kollektivschuldig ein Naziland – für Österreicher dürfte da auch der Umstand interessant sein, dass auf Deutschlands zweitgrösster Nachrichtenplattform die Rede davon ist, dass Gewalt gegen das, was als “Nazis“ gilt, “durchaus denkbar“ ist. Eigentlich geht es die Deutschen ja nichts an, was ein anderes Volk demokratisch so tut, aber das hat die Urgrossväter der Grünen Jugend bei den Polen und dem Danziger Korridor auch nicht interessiert ohne jeden Zweifel darf das allgemeine politische Klima wieder als frisch vergiftet gelten. Denn der Anwurf wird von zig Nachwuchspolitikern verbreitet, die vermutlich alle für sich in Anspruch nehmen, politisch klüger als eine Tüte Crystal Meth zu sein. Gerade so, als ob man jetzt erst entdeckt hätte, dass in Österreich ein Stimmungsumschwung stattfindet, weg von den skandalerschütterten und verfilzten Staatsparteien SPÖ und ÖVP, die jahrzehntelang das Land unter sich aufteilten – inklusive vieler echter Nazis.

Dabei konnte es jeder kommen sehen, der sich etwas mit Internet und Politik beschäftigt. Die wichtigste und vermutlich auch beste Debattenplattform in Österreich bietet seit jeher die Zeitung “Der Standard“, das publizistische Herzstück des anderen, des linksliberalen Österreich. Gegründet mit personeller Hilfe aus dem linken Magazin Falter, und mit einer ausserordentlich fähigen Onlinemannschaft versehen, hat es die nach gedruckter Auflage kleine Zeitung zu einer Grossmacht im Internet gebracht. Der Kommentarbereich des Standard ist so etwas wie der digitale Salon der österreichischen Linken, mit einem Schwerpunkt auf das “Rote Wien“: Eben jene jungen, offenen und aufgeklärten Menschen schrieben dort, die gerade dafür sorgten, dass van der Bellen nach der krachenden Niederlage in der ersten Runde mit Hofer gleichziehen konnte.

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Zumindest war das früher so. Im Standardforum wurden de facto die Proteste gegen die blauschwarze Regierung von Haider und Schüssel koordiniert, die Creme des Widerstandes sorgte unter den Beiträgen für Gegenöffentlichkeit, und das mit viel Schmäh, Charme und Witz. Der Standard bedankte sich, indem er mit der Rubrik #User den Lesern eine eigene Plattform schenkte, auf der sie ihre eigenen Sichtweisen unter den Redakteuren – wenngleich auch von ihnen betreut – verbreiten können. Man kann beklagen, dass der Standard hier auch erkennbar filternd eingreift und vor allem Autoren zu Wort kommen lässt, die auf der Linie des Blattes oder links davon liegen. Ungeachtet dessen zeigt der Standard aber vorbildlich, wie Interaktion mit den Lesern zum digitalen Erfolg einer Printmarke beitragen kann. (Und wenn ich offen bin: Ich selbst habe von den Standardleuten viel über Communitypflege gelernt)

Die Sache ist nur: Man sollte die Kommentare wirklich lesen. Gemeinhin gilt besonders unter linken Autoren die feste Überzeugung, dass man Kommentare nie lesen sollte, das seien alles Irre, Nazis und widerliche Mobber – beim Standard gab es dazu früher keinen Anlass, denn die Zeitung und ihre Haltung sorgten dafür, dass sich Autoren und Kommentare in einer ideologischen Filterbubble bewegten. Es schrieb das andere Österreich, das moderne, aufgeschlossene Wien, nicht die Bierdimpfl aus Tirol, oder gar Burgenländer und Kärntner, die man als aufgeschlossener Wiener heute immer noch diskriminieren darf wie früher den Balkan.

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Das andere Östereich schreibt heute immer noch, der Standard ist alles andere als ein Forum der FPÖ. Aber in den letzten Jahren der Machtteilung zwischen SPÖ und ÖVP mehrten sich dort die kritischen Stimmen, und speziell Kanzler Faymann wurde von den altgedienten Kommentatoren seit Beginn der Flüchtlingskrise als Merkels Handlanger misstrauisch beäugt. Man konnte in den Foren des Standard recht unverblümt lesen, dass die Leser Angst vor der wirtschaftlichen Entwicklung haben, die nicht im mindesten so rosig wie in Deutschland ist: Österreich stagniert, hat eine hohe Arbeitslosenquote und wegen der Finanzkrise und der Verwicklung seiner Banken enorme Risiken zu schultern. Es gab beim Standard, wie in Deutschland auch, überoptimistische Beiträge zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt – und darunter offene Befürchtungen, dass sich das auf die Beschäftigung und das Gehalt der Einheimischen auswirkt. Derartige Kommentare hätte es früher beim Standard kaum gegeben und wenn doch, hätte sie die Phalanx der Rechtlinksgläubigen niedergemacht. Die Zeiten sind vorbei. Es sind einfach zu viele, und sie vertreten ihre kritische Meinung durchaus zivilisiert und ausgewogen.

Wer verstehen will, was in Österreich passiert ist, kann dort lernen: Das, was mitunter als “Blaufärbung“ des Kommentarbereichs bezeichnet wird, ist erkennbar Ausdruck der sich ändernden Einstellung von Debattierenden. Anlässe, die auch der Standard zur Kenntnis nehmen musste, gab es speziell in Wien genug: Der Skandal um muslimische Kindergärten, brutale Konflikte zwischen migrantischen Jugendgangs, der Anstieg der Drogendealertätigkeit mit der Flüchtlingskrise, eine brutale Gruppenvergewaltigung, dann noch ein Mord am Brunnenmarkt wie aus einem Horrorfilm, dazu das für Österreich und Wien typische Versagen der Behörden. Der Standard ist längst nicht mehr der Hort der Liberalen, die sich ein besseres Österreich wünschen, sondern eher ein Platz für Zyniker, die von den Parteien und ihren Vertretern insgesamt enttäuscht sind. Und oft genug sagen, dass sie den Hofer wählen, weil die anderen Parteien die vorangegangenen Wahlschlappen noch immer nicht verstanden haben.

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Wer hier mit der Logik der Grünen Jugend Nazis am Werk sieht, verkennt den Umstand, dass eher schlecht gebildete Rechte die Boulevardzeitung Krone kaufen, und Bürgerliche bei der “Presse“ umsorgt werden. Es gibt in Österreich eine strukturelle und durch Versagen und Skandale verursachte Schwäche der Parteien, die bislang die Macht unter sich aufteilten, und die Grünen sind in Wien Teil des Systems. Sie stehen für eine Politik, die nicht nur bei ihren Gegnern, sondern auch bei vielen ihrer bisherigen Befürworter nicht mehr wählbar erscheint. Das äussert sich nicht wie bei der AfD mit Wut im Stillen, sondern ganz offen auch dort, wo man solche Meinungen am wenigsten erwarten würde. Der Standard gibt dem ehemaligen Trotzkisten Robert Misik eine Internetkolumne, die seit jeher extrem FPÖ-kritisch ist – darunter macht man sich in den Kommentaren über ihn lustig. Das ist der Zustand im Zentralorgan des Lagers, das pro forma mit SPÖ, Grünen und NEOS als fortschrittlich gelten könnte.

Wenn dann als Bemühung in letzter Sekunde auch noch Frauen mobilisiert werden sollen – der Standard hat mit “die Standard“ auch ein Angebot, das sich speziell an Frauen richtet – stösst das auch nicht auf ungeteilte Zustimmung bei den Lesern. Der Standard hat in diesem historischen Konflikt zwischen den Lagern für van der Bellen wirklich getan, was er konnte, und darüber die ungeteilte Zustimmung seiner ureigensten Leser verloren.

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Ich bin Bayer und für uns sind Österreicher entlaufene Sklaven, die zurück in unsere Leibeigenschaft gehören, wie schon im 10. Jahrhundert. Aber bis es so weit ist, würde ich deutschen Auguren der Wahl in Österreich wirklich nahe legen, die durchaus differenzierten und reflektierten Kommentare beim Standard zu lesen. Wenn massenweise Leute von der Linken öffentlich bekunden, dass sie mit van der Bellen wenig anfangen können und die herrschenden Parteien einen Dämpfer brauchen, erklärt das einiges über die sehr speziellen Verhältnisse im Nachbarland, das die Asylkrise zu allen anderen Krisen auch noch obendrauf bekam. Sehr viele Österreicher haben sich entschieden, Hofer ihre Stimme zu geben, und selbst bei linken Zeitungen kann man unter den Beiträgen lesen, warum sie das tun. Diese Leute schrieben das, damit ihre Wahlentscheidung nicht unverstanden bleibt.

Wir Journalisten haben beruflich aufgrund der Sprachbarrieren keine Angst vor Migranten als Konkurrenten und vor ihrer Zuwanderung in Sozialsysteme, die wir mit der Künstlersozialkasse kaum finanzieren. Wir könnten uns informieren und sollten das auch tun. Es ist möglich. Allerdings habe ich diesen Beitrag zu schreiben begonnen, bevor ich bei SPON diesen Teaser sah.

austrib

Man kann es sich mit den Erklärungsmodellen natürlich auch so einfach machen. Und damit eine Situation herbei hetzen, in der kommende Wahlerfolge der Rechten eine Art Beschäftigungsgarantie für solche Mahner sind, die bei der Grünen Jugend sicher gut ankommen .