Schuld sind angeblich die normalen Bürger: In der Debatte um die Einführung der staatlich unterstützten Zensur sozialer Netzwerke, die aktuell von Überwachungsjustizminister Heiko Maas (SPD) und seinem Gesetzentwurf vorangetrieben wird, ist immer wieder vom mangelnden Respekt der Netznutzer vor Leib und Leben anderer die Rede. Gern werden im Internet verbreitete Mordaufrufe als Beispiele genannt, bei denen dem Staat keine Alternative bleibe, als reglementierend einzugreifen. Außerdem sei das Internet ein rechtsfreier Raum, in dem Akteure ihren Hass anonym gegen andere richten könnten, und Worten, so die allgemeine Vermutung, würden Taten folgen. Das neue Gesetzesvorhaben sei daher als eine Art Gefahrenabwehr zu betrachten, um das Internet sicher und demokratisch zu machen.
Tatsächlich gibt es rechtsfreie Räume im Internet. Personen, die teilweise der Linken nahestehen, gründeten Anfang des Jahrtausends die jenseits des Geltungsbereichs der deutschen Gesetze betriebene Plattform Indymedia. Deren Unterseite “linksunten” hat sich inzwischen zum wichtigsten Kanal und sozialen Medium der autonomen Szene und ihrer Bekennerschreiben nach Straftaten und anderen Verstößen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung entwickelt. Betroffen von den illegalen Aktionen, die dort breiten Raum einnehmen, sind neben Rechtsextremisten auch Behörden, Polizei, öffentliche Veranstaltungen und Feiern, und auch Parteien von der AfD bis zur SPD, die den “Aktivisten” als zu überwindendes Übel auf dem Weg zur Weltrevolution erscheinen. Momentan wird vor allem die AfD attackiert – etwa auch von Bündnis NIKA, dessen Beteiligte mitunter auch schon Fördergelder bekamen.
Am 5. März erschien allerdings ein Bekennerschreiben, das sich mit der Kleinpartei des AfD-Gründers Bernd Lucke beschäftige. Die “Antifa Berlin” ist laut Selbstbezichtigung in die Berliner Geschäftsstelle eingedrungen, verwüstete sie mit Feuerlöschern, und raubte aus dem Büro Unterlagen. Darunter waren auch die persönlichen und privaten Daten der Parteimitglieder in Berlin, und die Täter erklärten den Lesern, warum sie es für richtig und notwendig halten, Luckes Partei und ihre Mitglieder auf diese Art zu bekämpfen. Lucke selbst wandte sich deshalb empört bei Twitter an die Spitzen der Berliner Regierung. Klaus Lederer, der als Kultursenator für die Linke in der Regierung sitzt, reagierte darauf so:
Linksextreme Kriminelle in Berlin müssen sich angesichts der Einstellung eines gewählten Politikers und Regierungsmitglieds eher mit Sarkasmus und Emojis auseinandersetzen, denn mit dem geschlossenen Protest der demokratischen Parteien. Der Fall bietet genau das Szenario, das in der Hatespeechdebatte immer bemüht wird: Extremisten stacheln sich seit Jahren in einem rechtsfreien Raum im Internet zu Straftaten auf, und benutzen das Netz, um die Adressen der Mitglieder einer Partei bei einer linksextremen Seite zu veröffentlichen und sie der Gefahr weiterer Anschläge auszusetzen. Hier ist ein seit vielen Jahren bekanntes Beispiel eines Projekts, wo auf Hass, Hetze und Fake News in Worten Taten gegen Menschen folgen. Praktischerweise für den linken Terror in Deutschland ist das Gesetz von Heiko Maas aber so konstruiert, dass es gerade für Indymedia keinerlei Konsequenzen hat.
Eher könnte Youtube betroffen sein, wenn es gegen Hatespeech geht – etwa, wenn Politikern unterstellt wird, ihr Verhalten sei mit dem Verdacht psychischer Erkrankung in Verbindung zu bringen. Ein derartiges Video hat die Piratenfraktion in Schleswig-Holstein online gestellt, und die Person, die sich so äußert, ist Ralf Stegner, Parteigenosse von Heiko Maas.
Seitdem sich andeutet, dass die Piraten trotz fähiger und weitgehend skandalfreier Arbeit in Schleswig-Holstein eher schlechte Chancen haben, erneut in den Landtag gewählt zu werden, sind bei der SPD offensichtlich einige Dämme im Umgang mit der früher bedrohlichen Konkurrenz gebrochen.
Speziell Ralf Stegner – bekannt durch seinen peinlichen, später gelöschten Vergleich der Facebook-Managerin Sheryl Sandberg mit der mutmasslichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe, für den er sich öffentlich zu entschuldigen hatte – führt bei Twitter eine Art Privatkrieg gegen die Piraten, deren Vertreter er ungeniert persönlich beleidigt:
Das einzig bedauerliche an seinem Ausscheiden aus dem Landtag ist, dass der Herr wieder als Richter tätig werden darf. Arme Angeklagte. https://t.co/Gczbz706BD
— Ralf Stegner (@Ralf_Stegner) February 22, 2017
Aber auch SPD-nahe Kreise sind nicht erst seit den Boykottdrohungen gegen Xing gut dabei, wenn es darum geht, den Kampf gegen politische Gegner im Netz anzustacheln. Ein frisches Beispiel bot die Gewerkschaft Ver.di mit ihren deutschlandweit 2,2 Millionen Mitgliedern, die in Niedersachsen eine Handreichung zum Umgang mit Rechtspopolisten in Betrieben ins Netz gestellt hat. Darin werden typische Kennzeichen von Rechtspopulisten erklärt und Vorschläge formuliert, wie man sie innerbetrieblich bekämpft. Das fängt bei der Vorsicht an, falls eine Person eine “Hausmacht” hat, zieht sich über das Ausschnüffeln von Überzeugungen und Mitgliedschaften hin und gipfelt im Vorschlag, die betreffenden Personen durch “Outing” im Betrieb und in der Öffentlichkeit zu beschädigen, oder ihre Versetzung zu erreichen.
Für weitere Informationen sollte sich der Gewerkschaftler laut Broschüre unter anderem an das “Netz gegen Nazis” wenden – eine von der Amadeu Antonio Stiftung unter Leitung der Ex-Stasi-IM Anetta Kahane betriebene Website, die massiv mit Mitteln des Familienministeriums finanziert wird. Die Stiftung selbst ist Mitglied in der Task Force gegen Hatespeech des Justizministers. Inzwischen ist die Bröschüre jedoch aus dem Netz verschwunden – die Gewerkschaftsführung stellt in einer Mitteilung klar, dass sie sich von den niedersächsischen Erstellern distanziert.
Ebenfalls SPD-nah ist der erneute Ausrutscher nach dem Ärger rund um die Verhöhnung von Beatrix von Storch als “Tierwesen”: Der Verein D64 wurde bei der Generalsekretären Katarina Barley vorstellig, um einen Hackathon durchzuführen. Dabei sollten Programme zur Unterstüzung der SPD im Wahlkampf entwickelt werden. Die Veranstalter suchten aus 180 Bewerbern 40 heraus, und ein Team entwickelte dabei den Schulzzug, der wiederum auf der Schulztools-Webseite des Chefs von D64 veröffentlicht wurde
Was bei diesem Spiel entstand, war den Verantwortlichen klar, denn es steht, beschrieben vom D64-Vorsitzenden, im SPD-Organ Vorwärts. Katarina Barley vertwitterte mehrfach die Ergebnisse, die von einer Jury ausgewählt wurden, und lobte die Ideen überschwänglich:
Hammer!!!! was 40 Netzverrückte in nicht mal 24 Stunden auf die Beine gestellt haben. Ihr seid #MEGA! #SPDHack #Schulzzug #btw17 https://t.co/ljerK61b8O
— Katarina Barley (@katarinabarley) March 5, 2017
Offensichtlich sahen es weder die – angeblich anonymen und dank Schutz durch die SPD “rechtsfreien” – Programmierer noch Barley als problematisch an, dass es bei diesem eher banalen Spiel eine der Aufgaben ist, politische Gegner mit dem fahrenden Schulzzug zu beseitigen: Neben Donald Trump und Vladimir Putin war auch die AfD-Vorsitzende Frauke Petry im Weg, und kann mit vollem Tempo des Zugs beiseite geräumt werden. Ähnlich geschmacklose Spiele tauchen immer wieder als Werbung extremistischer Gruppen auf – die Macher des Schulzzugs sahen sich jedoch erst nach Protesten genötigt, das Niederfahren von Personen auf dem Weg zum Kanzleramt zu entfernen. Katarina Barley hüllt sich nach der vorherigen Begeisterung über ihre Helfer nun in Schweigen.
Allerdings neigt auch die AfD nicht eben zum zimperlichen Umgang mit dem politischen Gegner. Bei Facebook findet sich ein schöner Vergleich zwischen dem offiziellen – und schön ausgeleuchteten – Bild von Martin Schulz und dem, was die AfD zeigt: Plötzlich ist Schulz viel breiter, die Gesichtspartien wurden in anderen Verhältnissen dargestellt, auf dass Schulz deutlich weniger sympathisch wirken möchte: Angesichts des Rechts am eigenen Bild steht der Verdacht im Raum, dass die AfD es bei ihren Werbeaktionen im Internet auch nicht mit dem genau nimmt, was man unter normalen Bürgern so Anstand nennt.
Ein Emoji angesichts von Terror und Kriminalität, ein Killerspiel durch verdeckt arbeitende Parteienhelfer, ein Leitfaden zum Mobbing, Hatespeech mit persönlichen Beleidigungen und gefälschte Bilder: Es wäre zu wünschen, dass Heiko Maas sein Gesetz so erweitert, dass es weniger die sozialen Netzwerke betrifft, die unschuldig sind, wenn sie von politischen Akteuren missbraucht werden. Auch Parteien und Gewerkschaften haben als Organisationen genug Mitglieder, um als soziale Netzwerke zu gelten, und um sie zu schmerzhaften Millionenstrafen verurteilen zu können. Denn im Gegensatz zu Facebook und Twitter sind sie selbst die Urheber für das Gift des Hasses, das zu bekämpfen Heiko Maas vorgibt.