Vor ein paar Wochen wurde der Twitternutzer Kolja Bonke dauerhaft von Twitter ausgeschlossen. Ich war kein Follower, ich habe es zuerst gemerkt, als ich mit wenig freundlichen Witzen über diesen Rauswurf informiert wurde. Bonkes Account wurde früher schon einmal wegen unfreundlicher Kommentierung der Folgen der deutschen Asylpolitik gelöscht. Nun war er endgültig draußen. Leute, die ich früher als “Free Speech”-Befürworter kannte, und die schon am eigenen Leib erleben mussten, wie schnell eine dumme Bemerkung üble Konsequenzen haben kann, fühlten sich veranlasst, sich darüber zu freuen.
Ich bin in der Folge von einigen Nutzern gefragt worden, ob ich nicht das tun will, was andere wie Bonke ebenfalls tun: Wechseln zu Gab.ai. Gab.ai erlaubt etwas längere Texte, ist funktional Twitter ebenbürtig, und wurde explizit gegründet, um der freien Rede nach US-Vorstellungen einen Schutzraum vor den Folgen staatlicher Repression zu bieten. Repression, die in Deutschland durch Heiko Maas, seine Ex-Stasi-IM-Bekannte und das Netzdurchsetzungsgesetz so weit gediehen ist, dass der Minister als negatives Beispiel für Meinungsunterdrückung in der New York Times auftaucht. Eine Repression, die der Stiftung von Anetta Kahane kostenlose Werbefläche bei Google gibt, um nach dem Skandal um das von ihr betriebene Prangerprojekt “Neue Rechte” ihre Sicht der Dinge zu verbreiten – denn die Flächen wurden der Stiftung von Google gegeben, weil sie in der von Maas eingerichteten Task Force gegen “Hate Speech” sitzt. Inzwischen ist ein Projekt der Stiftung auch offizieller Partner von Twitter, wenn es um “Beleidigungen” geht.
Es gibt also durchaus Gründe, warum man nicht bei einem Anbieter sein möchte, der einerseits dem Minister willfährig ist, und andererseits mit Frau Kahane kooperiert. Ich persönlich bin sicher kein Freund von Spitzeln, aber es gibt auch Gründe, bei Twitter zu bleiben: Ich habe dort mehrere Kampagnen überlebt, die darauf abzielten, mich blockieren zu lassen. Eine Aktion, betrieben von Radikalfeministinnen, hatte sogar ganz offen den Hashtag ”Blockchallenge”. Ich weiss, dass meine Inhalte von diversen Gruppen und Personen scharf beobachtet und häufig gemeldet werden. Auf der anderen Seite wurde mein Account aber von Twitter eigenständig verifiziert, und ich bin mit fast 12000 Followern nicht gerade unprominent.. Das muss man sich erst einmal erarbeiten, das gibt man trotz schlechter Gesellschaft nicht so leicht auf.
Und im Zweifelsfall könnte ich etwaige Entscheidungen gegen mich auch offensiv angehen. Das gibt es immer wieder, Leute wie Stefanie Sargnagel werden wegen ihrer Prominenz von Strafen freigesprochen die Netzwerke gegen sie verhängt haben. Es reicht, wenn nur der öffentliche Druck zu gross und die Begründung für die Sperre zu schlecht ist. Konzertierte Aktionen zum Ausknipsen von Nutzern gibt es immer wieder, angefangen von Versuchen, Roland Tichy beruflich zu schädigen, über das organisierte Melden der Gruppe #DasNetzwerk bis zum Einrichten von Fake Accounts, deren Inhalte dem um seine Identität Beraubten persönlich schaden sollen . Momentan wehrt sich ein bekannter deutscher Blogger auch juristisch gegen Behauptungen, die eine Gruppe Frauen gegen ihn seit Jahren bei Twitter vortragen. So weit, so unschön. Wenn Twitter schlau ist, haben sie ohnehin eine Liste von Leuten, denen die vertrauen, und bei denen das Personal weiss, aus welcher Ecke die Versuche kommen, sie auszuschließen.
Ich habe also ein nicht unkritisches, aber stabiles Verhältnis zu Twitter gehabt – bis vor ein paar Wochen. Da hat Twitter massiv angefangen, Aussagen und Accounts in Deutschland zurück zu halten – mit einer deutschen Voreinstellung bekam man sie nicht mehr zu sehen. Ich war damals in Italien, mit den dortigen IP-Nummern war alles bestens sichtbar. Es wurden Accounts durch weitgehende Unsichtbarkeitmachung eingeschränkt, die nichts erkennbar Strafbares oder Illegales geschrieben hatten, sondern allenfalls zynisch oder deutlich waren, oder sonst wie legal extremen Missmut zum Ausdruck brachten. Mein persönlicher Eindruck ist – durch nichts belegt natürlich – dass Twitter durch das Ausschalten von Accounts und die Resonanz der empörten Nutzer der Politik zeigen wollte, dass sie auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Man muss die Firma da vielleicht sogar verstehen: Das Editieren ist enorm teuer, Twitter schreibt weiterhin hohe Verluste, und finanziell wäre es besser, wenn die gesetzlichen Regeln nicht allzu teuer in der Umsetzung sind. Allerdings zeigte Twitter da meines Erachtens auch, dass es durchaus zum Overblocking bereit ist. Das ist bei Politikern ein fataler Fehler – jedes Zugeständnis sorgt dafür, dass sie den Eindruck haben, richtig zu handeln.
Heute kamen mir gleich etliche Fälle von Shadowbanning unter, rechts wie links wie antifeministisch. Ich finde es überhaupt nicht lustig, dass Linksextremisten ihre Ausschreitungssteuerung in Hamburg immer noch über Twitter verbreiten, und Leute unsichtbar gemacht werden, die sich hierzulande etwa gegen die Radikalen der Al-Quds-Demo wehren. Dass es obendrein noch einen FDP-Politiker erwischt hat, der eine Äusserung zitiert und sich definitiv nicht zu eigen macht, kann an der Spracherkennung bei Twitter liegen. Ich würde aber als Journalist in diesem Land gern über den real existierenden Antisemitismus reden können, ohne dass mich ein soziales Netzwerk dafür zensiert. Ich weiss sehr genau, was ich tue und schreibe. Ich habe keine Nanny nötig, und auch keine Aussicht auf ein Gesetz, das noch viel mehr Nannytum nötig machen wird. Man kann nicht frei reden, wenn die Rede nicht einmal mehr Zitate erlaubt. Das Problem gab es schon mit dem Bild der napalmverbrannten Kinder aus Vietnam, das bei Facebook zensiert wurde. Jetzt verhindert Twitter, dass ich erfahre, welche Probleme es mit Antisemiten in Berlin gibt. Das ist eine Plattform, die mich zwingt zu überlegen, was ihr Algorithmus zu tun gedenkt. Das ist keine Meinungsfreiheit.
Gab.ai wird von diversen Medien, die den Plänen von Heiko Maas wohlwollend gegenüber stehen, als Plattform von Alt Right Aktivisten bezeichnet – man sollte da bloss nicht hingehen und dem Einfluss deutscher Politiker entkommen. Der Punkt ist aber ein anderer: Ich sehe die Entwicklung von Twitter durch die letzten 3, 4 Jahre. Twitter hat sich weggeduckt, ist politisch gewollte Kooperationen eingegangen, und wird vermutlich auch mitspielen, wenn die SPD versucht, das Internet unter die Kontrolle der Landesmedienanstalten zu stellen, und besonders gute Plätze für Medien zu ergattern, die – wie die Anstalten der ARD – überwiegend systemkonform berichten. Twitter ist kein Medium und keine Plattform, sondern eine Firma, die politischem Druck aus der Mitte und den klar dominierenden, linken Pressure Groups nachgibt, unpopuläre Ansichten auszuschließen, bis hin zum Kollateralschaden bei jenen, die sich für unschuldig halten – und gleich danach Gaststätten denunzieren, die politischen Gegnern Raum geben.
Twitter ist, salopp gesagt, im Vergleich zum mächtigen Facebook deren Fussabstreifer. Twitter steht nicht erkennbar auf und kämpft. Vielleicht haben manche im Management auch ein schlechtes Gewissen, weil sie Trump eine Plattform bieten, und haben kein Problem damit, wenn um so härter gegen das durchgegriffen wird, was im Internet als “rechts” bezeichnet wird. Und selbst, wenn es dabei Zionisten und FDP-Mitglieder, die von Antisemitismus angewidert sind, erwischt. Oder gar Leute, die Zensurbemühungen offensiv befürworten.
Es gibt da also kein Umschalten zu einer Zensur und einer DDR2.0, sondern eine schleichende Veränderung, bei der einseitig fragwürdige Kampagnen toleriert werden, ohne dass es deshalb Konsequenzen gibt. Die Frage ist bei solchen Entwicklungen immer, wo sie noch hinführen werden: Werden es weiter Moralmarketingaktionen wie “Doppeleinhorn” oder “Nohatespeechde” sein, bei denen sich politische Freunde der Regierungsparteien über finanzielle Zuwendungen freuen können, ohne Schaden anzurichten. Oder lernen Politiker und setzen zukünftig erfahrene Staatstrolle ein, die auch bereit sind, mit schmutzigen Tricks zu arbeiten – Ansätze dazu sind bei der SPD schon zu sehen. Und wird sich Twitter vor mich stellen, wenn ich mich wirklich mit Maas anlege, sein Ansehen schädige und sein Staatssekretär Twitter einen Wink geben sollte? Ich komme aus dem Bayern der CSU, da hat man schon viel erlebt, und wundert sich über gar nichts mehr.
Brauche ich also Gab? Nein. Die Frage ist allerdings nicht, ob ich eine Alternative heute brauche, sondern ob ich sie in 1, 2 oder 4 Jahre brauchen werde. Angenommen, das NetzDG scheitert vor den Verfassungsgericht: Wer kann sagen, mit welchen Methoden dann versucht wird, das auszuschalten, was man verhindert sehen möchte? Und wer wird dann die Kriterien aufstellen? Eine Broschüre zum Hass in Internet wurde von deutschen Ministerien empfohlen, entstand aber unter Teilnahme einem linksradikalen Mitglied der Linken, das sich als “antideutsch” bezeichnete und die Opfer der Bombardierung von Dresden bei Twitter verhöhnte. So weit sind wir schon jetzt. Und es ist nie ganz dumm, eine fertige Ausweichmöglichkeit zu haben, um nicht mundtot und vom eignen Netzwerk abgeschnitten zu sein.
Das ist insofern bitter, als Demokratie auf Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit aufbaut, und die Entwicklung der letzten Jahre dazu geführt hat, dass man sich angesichts der erratischen Eingriffe von Twitter genau überlegen muss, was man sagen darf, und was man besser bleiben lässt. Heiko Maas mag mit seinem Gesetz später vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, aber das Gefühl, einer Firma wie Twitter nicht mehr trauen zu können, weil man nie weiss, welcher Spitzel und welcher Apparatschik was tun wird, ist jetzt schon da. Gab.ai bedeutet noch nicht, dass ich mit meinem Account komplett umsteige, sondern zuerst einmal wieder einen verlässlichen Dienst habe – und mit dem im Rücken wieder ohne Sorgen bei Twitter aktiv sein kann. Einige Bekannte schreiben nur noch bei Gab und lassen das als Anreisser bei Twitter laufen: So kann man das auch machen. Es ist nicht optimal, es ist nicht schön, aber den Entwicklungen der letzten Jahre angemessen, und besser als die Abhängigkeit von einem Dienst, der selbst längst nicht mehr frei in seinen Entscheidungen, sondern Gejagter der zensurbefürwortenden Entwicklungen ist.
Was die Nutzerzahlen angeht, ist Twitter natürlich ein Riese im Vergleich zu Gab.ai, aber China hat auch mehr Einwohner als die Niederlande.