Früher sah politischer Aktivismus so aus: Die eine Seite, meist rechts, konservativ, wirtschaftsfreundlich und vernarrt in die innere Sicherheit, hatte eine Idee wie anlasslose Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, oder einfach nur Ärger wegen frecher Wortmeldungen im Internet, das deshalb auf die eine oder andere Art zensiert werden sollte, während die Daten der Nutzer der Industrie vorgeworfen wurden. Wir – und dazu darf ich mich auch zählen – demonstrierten vor den Toren des BND in Bad Aibling, schrieben Beiträge über die Nebenwirkungen von TTIP und die Auswüchse des NSA-Skandals. Wir unterstützen Initiativen wie den CCC oder Digital Courage und spendeten, wenn Ämter mauerten, oder erfolgreiche Prozesse gegen Überwachung geführt wurden. Wir erklärten, warum das Prostitutionsschutzgesetz datenschutzrechtlich wahnwitzig ist, dass die Franzosen trotz Totalüberwachung Terroristen unbehelligt lassen, und warum Videoüberwachung nachweislich sogar in London wenig bringt.
Datenschützer sehen sich in einem Ruf, ähnlich gut wie Robbenbabyschützer, und tun auch viel dafür, dass die andere Seite ungefähr den Ruf eines Robbenbabytotschlägers bekommt, und ich bedaure da auch nichts. Daten werden für uns alle noch immens wichtig, und wenn wir heute noch über dummes Targeting der Werbung lachen, werden wir möglicherweise bald vor einem Netz stehen, in dem ein angeblicher Bug in einem Algorithmus darüber entscheidet, ob wir eine Seite wie G20-Doku bei Twitter verlinken können, oder nicht. Anonyme Konzerne entscheiden nach Druck von Ministern, wer sichtbar bleibt, oder unsichtbar wird. Wir sind in einer umfassenden Transformation, und wenn wir heute nicht schreien, stopfen sie uns vielleicht morgen schon den Mund. Wir sind die Guten, und es dürfte eigentlich gar nicht sein, dass es Bürgerinitiativen gegen unsere Anliegen gibt. Es gibt sie aber. Eine wird aus dem Umfeld der Berliner CDU gestaltet. Da geht es um mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum.
Und wie in solchen Fällen üblich, agiert die Initiative mit spektakulären und empörenden Einzelfällen – wie schon von der Leyen bei den Netzsperren: U-Bahn-Schubsen ist das neue Kinderporno. Das Problem ist, dass diese Einzelfälle auf den Videos in ihrer Gesamtheit durchaus geeignet sind, das Sicherheitsgefühl in den Berliner Verkehrsmitteln zu beeinträchtigen: Videoermittlungen brachten die Polizei auf die Spur des bulgarischen und aktuell russischen U-Bahn-Treters, und setzten die syrischen Migranten, die einen Obdachlosen anzündeten, unter Druck, sich zu stellen. Es gibt Videoaufnahmen aus dem Geschäft, in dem ein türkischer Straftäter das Handy verkaufen wollte, das er einem Raubopfer angenommen hat. Jüngst wurden nach der Veröffentlichung von Videobildern sechs Syrer ermittelt, die zwei Männer an der Janowitz-Brücke verprügelt haben. Es gibt fünf Videoaufnahmen des Iraners, der eine Frau vor eine einfahrende U-Bahn schubste und damit tötete. Es gibt Aufnahmen des psychisch kranken Kosovaren, der mit einer Axt ein Massaker im Düsseldorfer Bahnhof anrichtete. In München sorgte das Video von Übergriffen durch Afghanen in der U-Bahn für Empörung. Auch bei der Ermittlung des mutmasslichen Mörders der Freiburger Studentin spielte eine Videoaufzeichnung aus einer Strassenbahn eine wichtige Rolle.
Es ist – ähnlich wie bei den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg – schwer, gegen die Macht der Videos zu argumentieren. Die Videos zeigen eine für die meisten Betrachter unerträgliche Gewalt und eine Banalität des Bösen, die sich wie Terror gegen Zufallsopfer richtet. Es spielt keine Rolle, was das Opfer tat oder wer es ist – es ist einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, wie ein Auto in einer Strasse, durch die Autonome ziehen und Brandsätze werfen, Das klassische Argument gegen Videoüberwachung, dass es den Tätern bei der Straftat offensichtlich egal ist, ob sie gefilmt werden, kann hier nicht mehr wirken: Wer einen Funken Anstand besitzt, muss sich eingestehen, dass die Taten falsch sind, und der Staat für Strafe und Prävention sorgen muss.
Und da gäbe es natürlich mehrere Ansätze. Bei der Vorratsdatenspeicherung argumentieren wir dafür, dass es die Polizeiarbeit nicht erleichtert, wenn sie aus dem zu überwachenden Datenmeer die Einzelfälle herausfischen muss, die wirklich gefährlich sind, und die auch mit anderen Mitteln – solange es nicht wie im Fall Amri läuft – zu überwachen sind. Wir sagen, es bringt nichts, Otto Normalbürger zu kontrollieren, wenn es um einzelne Terroristen geht. Wir räumen damit ein, dass es ein massives Problem in Parallelgesellschaften gibt, und setzen uns nicht der Gefahr aus, aus Gründen des Datenschutzes Gefährdern zu helfen. Unsere Argumentation ist hier eine, die zielgerichtete Kontrollen anstelle allgemeiner Überwachung mit hohem Missbrauchspotenzial durch die Behörden favorisiert.
Die Fälle in den U-Bahnen sind anders: Die meisten Schläger, die auf Videos sichtbar werden, oder Täter, die sich als Dealer in Berlin, aber auch anderen Städten im öffentlichen Raum breit machen, Handtaschen stehlen und für die Einführung “kriminalitätsbelasteter Orte” sorgen, sind eher Klein- und Gelegenheitskriminelle. Es sind zumeist junge Männer mit Migrationshintergrund, und die Bevölkerung erfährt nach Aufklärung der Taten weitere unschöne Details: Etwa, dass die Täter eine erhebliche kriminelle Vorgeschichte haben. Und öfters auch an psychologisches Fachpersonal gerieten, das im Fall des iranischen und russischen U-Bahn-Schubsers oder des kosovarischen Axtschläger der Meinung war, man müsste die betreffenden Personen trotz ihrer Vorgeschichte nicht in eine geschlossene Abteilung stecken.
Also, was tun? Die im öffentlichen Raum befindlichen Personen aufgrund ihrer Herkunft stärker zu überwachen, wäre “racial profiling”, natürlich illegal, und wird vom Berliner Senat wegen Diskriminierung offensiv bekämpft. Wer ernsthaft versuchen würde, die schlechte Sicherheitslage im öffentlichen Raum an Migranten festzumachen, könnte sich auf einen Sturm der Entrüstung einstellen, und würde zudem wenig Hilfe erhalten: Das politische Versagen bei der Integration, das zu derartigen Fällen beiträgt, ist eine Folge der Politik aller Parteien, und die Strukturen der Verwahrlosung gedeihen unter allen Koalitionen. Wenn einmal ein früher Verantwortlicher wie der beliebte Münchner Alt-OB Christian Ude derartige Zustände kritisiert, wenden sich auch früher freundlichst gesonnene Medien ab. Eine Debatte über die Migration als Ursache von Gewaltkriminalität wäre anhand der Kriminalitätsstatistik zwar möglich, aber genau das wollen die meist linken Datenschützer auch auf keinen Fall.
Andere Lösungen wie Ausweisung von Intensivtätern, Abschiebung von asylsuchenden Migranten beim kleinsten Gesetzesverstoss mit Drogen oder bei Sexualdelikten, und konsequente Umsetzung der Möglichkeiten der Gesetze vor Gericht könnten möglicherweise helfen, das Problem einzudämmen. Die früher üblichen Grenzkontrollen ohne Freizügigkeit der Niederlassung in der EU wären ebenfalls Massnahmen, die derartige Entwicklungen teilweise an der Wurzel angehen könnten: Dagegen steht natürlich der an sich richtige Wunsch, nicht Gruppen für die Taten einzelner verantwortlich zu machen. Das liberale Bürgertum erfährt im Durchschnitt dank der schwarz bezahlten Ukrainerin ein ganz anderes und gereinigtes Bild von Osteuropa, wenn es das SUV in der Tiefgarage abgestellt und die 5-Zimmer-Altbau-Wohnung in Kreuzberg betreten hat, nachdem es gerade noch in Tegel gegen Abschiebungen demonstrierte. Debatten um Kuscheljustiz, Behördenversagen und fragwürdige Gutachter beantwortet man in diesen Kreisen mit Hinweisen auf den Fall Mollath oder dem Einwurf, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Straftäter gibt, die hier so wurden. Unvergessen auch ein grüner Parteirat, der offensichtlich Herkunftsländer nicht mit den nach Deutschland gereisten Sexualstraftätern belasten will.
Darauf setzt man noch den Hinweis, dass langfristig die Gewaltkriminalität abnimmt, drakonische Strafen nicht bei der Rückführung in die Gesellschaft helfen, und der arme Schwarzafrikaner doch nur dealt, weil er sonst keine andere Möglichkeit hat- wer anderer Ansicht ist, findet sich bei der AfD oder Schlimmerem wieder. Diese Debatte hält allerdings keinen Kleinkriminellen davon ab, unter dem Gelächter seiner Freunde andere die Treppen hinunter zu treten, und nachdem dem Bürger lang und breit erklärt wurde, was alles nicht funktioniert und auf keinen Fall getan werden darf, sieht er hier: Die Videos führen zu Festnahmen. Zumindest werden die Straftäter ermittelt und verurteilt. Wenn man schon vorher nichts tun kann, kann man wenigstens nachher hoffen, dass nicht der nächste Gutachter den nächsten Verbrecher leicht davonkommen lässt, weil der vorher schon auffällig und vermindert schuldfähig war. Politik und Parteien können die Entwicklungen nicht aufhalten, die Behörden sind nicht fähig, Psychologen lassen Gefährder laufen, die Polizei wird ständig attackiert, wenn sie gegen gewalttätige Verbrecher vorgeht, und mit Ausweisungen ist nicht zu rechnen. Die Videoüberwachung hält keinen Verbrecher auf und verdrängt die Probleme nur, sie ist auch nicht viel besser als die Nichtlösungen der Beschwichtigung, die den Bürgern aus Gründen von Faulheit, Inkompetenz und Ideologie geboten werden. Aber sie sind ein Instrument, über das man sachlich diskutieren und gefahrlos befürworten kann.
Es ist ein Placebo für die Bürger, und es wird verabreicht, weil diejenigen, die es genehmigen, lieber im Kleinen ein Zugeständnis machen, als eine grosse Debatte über die aus dem Ruder laufenden Zustände in deutschen Metropolen zu führen. Es löst wie elektronische Fussfesseln und Gefährderkarteien keine tiefer liegenden Probleme, auf die Datenschützer gern hinweisen, um ihr Kernthema zu schützen. Aber der Hinweis auf diese Probleme löst sie auch nicht. Das wird nur vorgeschoben, bevor in der weiteren Debatte erklärt wird, warum man da auch sonst wenig tun kann. Die Videokameras werden eine Weile dafür sorgen, dass sich manche Bürger sicherer fühlen, während alles andere so weiter geht. Nur die Datenschützer wirken angesichts der schockierenden Bilder wie weltfremde Spinner, die sich gleichzeitig weigern, bessere Ideen zu präsentieren. Und deshalb gewinnen in Berlin CDU-nahe Kreise, die die Politik jahrelang mit zu verantworten hatten, mit einer Bürgerinitiative gegen Argumente, die ebenso im Kern richtig wie angesichts der Realität in den Städten nutzlos sind.