Es wäre das Ereignis der Woche gewesen – aber Hillary Clinton ist einfach vom Pech verfolgt. Am Dienstag wird ihr Buch “What happened” über ihren verlorenen Wahlkampf erscheinen, und nach allem, was bislang bekannt ist, wird es bei der Demokratischen Partei nur langsam verheilte Wunden wieder aufreissen. Nicht wenige befürchten, dass sich Clinton in ihrem Selbstmitleid im Ton vergriffen haben könnte, und die Passagen, die sich mit ihrem parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders beschäftigen, machen schon in Auszügen die Runde: Sanders habe massiv dazu beigetragen, dass sie als unsympathisch dargestellt wurde. Er hätte es gar nicht auf das Präsidentenamt abgesehen, sondern nur nur beabsichtigt, die Demokratische Partei zu erschüttern, Das ist eine, vorsichtig gesagt, sehr eigenwillige Interpretation der Ereignisse, die als DNCLeaks in die Geschichte eingingen und erkennen ließen, mit welchen Tricks und Absprachen Clintons Team, koalierende Presse und die Parteiführung Sanders bekämpften.
Aber jetzt rollt Hurrikan Irma auf Florida und die Ostküste der USA mit Flut und Zerstörung zu, und da gibt es für die Medien wichtigere Themen als eine fast 500 Seiten lange Bilanz des Scheiterns einer immer noch sehr unbeliebten Politikerin. Es kommt nie gut an, wenn das Land in einer Krise zusammen stehen sollte, und eine dann anfängt, anderen in den Rücken zu fallen, und das Land wie schon im Wahlkampf in Kräfte des Lichts und der Finsternis zu spalten. Entsprechend kühl fallen bislang viele Reaktionen auf das Buch aus, das letztlich zu erklären versucht, warum ein grosser, zu grosser Teil der Wähler die falsche Wahl getroffen hat und nicht bei der neuen Demokratenplattform Verrit mitspielen darf.
Diese Wähler – Clinton nannte sie die “Deplorables” – gelten weiterhin vielen als völlig irrationale Wesen, die nicht verstanden haben, was gut für sie und ihr Land ist. Besonders schockiert waren Beobachter vom Wahlverhalten der weissen Männer mit höherer Schulbildung: Diese Gruppe galt eigentlich als sicherer Posten für Clinton, und hatte bei den letzten Wahlen auch ihren Anteil an den Wahlsiegen von Obama. Diesmal war es anders, und nicht wenige sind der Meinung, dass es Clintons Neigung für die Forderungen radikaler Gruppen war, die diese privilegierte Gruppe verschreckte. So hatte sich Clinton beispielsweise für die Wünsche von Feministinnen stark gemacht. Das ist eine Gruppe, die mehrfach auch bei nachweislichen Falschbeschuldigungen gefordert hat, man sollte trotzdem dem Opfer glauben. Obama war diesen Aktivistinnen schon entgegen gekommen, indem die Schulaufsicht unter Title IX der Bürgerrechte von den Universitäten verlangte, rigoros gegen mutmassliches Sexualfehlverhalten vorzugehen, und Täter von den Universitäten in fragwürdigen Verfahren zu entfernen – sonst müssten sie befürchten, keine staatlichen Zuschüsse mehr zu bekommen.
In den letzten Monaten zeigte sich aber, wie riskant dieses rechtsstaatlich fragwürdige Verfahren sein kann. Betroffene verklagten ihre Universitäten und gewannen die Prozesse. Hochschulen mussten teilweise demütigende Erklärungen zu ihrem eigenen Fehlverhalten abgeben. Und nun hat die Erziehungsministerin Betsy DeVos ernst gemacht und eine Wahlkampfforderung vieler junger Trumpanhänger umgesetzt: Title IX soll reformiert werden, damit die Angeklagten ein faires Verfahren bekommen, ohne dass deshalb der Schutz der Opfer verschlechtert wird. Das ist ein schwerer Schlag für Feministinnen, die im Kern fordern, dass das Opfer selbst entscheiden kann, was es als sexuellen Übergriff wahrgenommen haben will. Und das erklärt möglicherweise auch die harschen Reaktionen bei Twitter, wie etwa von diesem Anwalt, der es in den letzten 2 Tagen mit diesen Worten zu einer gewissen Berühmtheit brachte:
“When they go low, we go high” lautete ein Versprechen des Clintonlagers vor der Wahl: Man werde sich nicht auf eine Schlammschlacht mit Trumps Trollen einlassen, sondern für die eigenen Ideale stehen und ein Vorbild sein. Die Ausschreitungen der Antifa, die ideologischen Konflikte an den Universitäten und nicht zuletzt die Einlassungen in den sozialen Medien zeigen aber ein ganz anderes Bild. Ich konnte meine eigenen Bedenken gegenüber Clinton und ihren Fans nie richtig in Worte fassen. Trumps Anhänger haben aus ihren teilweise abstossenden Absichten nie einen Hehl gemacht, aber bei Clintons Anhängern war immer der Verdacht, dass sie ganz anders denken, als sie reden. Trump stand für Klientelpolitik und wütende, weisse Männer, denen er versprach, den Sumpf auszutrocknen. Clinton stand für Ausgleich und eine menschlichte Politik. Ihr Buch mag da einiges relativieren, aber eines hat es bereits vermocht: Eine junge, schwarze, urbane Anhängerin aus dem Kreise der sozial bewegten Millenials hat einen ebenso wütenden wie offenen Rant geschrieben. Wäre das hier Spiegel Online, wäre nun ein Teaser fällig, dass GothamGirlBlue im Internet für ihre deutlichen Worte “gefeiert wird“. Tatsächlich erfreut sich der Rant grosser Beliebtheit, und ist ein viraler Erfolg. Nicht zu unrecht, denn so, wie Trump bein Pussygrabben vermutlich ehrlich war, ist es GothamGirlBlue auch bei ihrem Hass auf die Trumpwähler und die Medien. Hier spricht kein aalglatter Kampagnenmanager, der alle mitnehmen möchte, sondern das tief getroffene Herz, und es ist so obszön laut wie all die Bilder, mit denen sich Trumpanhänger bestätigten. Ich möchte das, weil es so schön ist, im Ganzen zitieren:
I’ve been seething all day about the response to Hillary’s book, and I feel like I’ve finally channeled it into a coherent thread. Every last thing we’re experiencing now was predicted by Hillary during the campaign. And like Cassandra, we refused to believe her. I shouldn’t use the word “we” because I was a member of her coalition. I believed her and I believed in her. She represented her coalition ably, if not perfectly. She talked about issues that mattered to us. She made sure to express empathy. For that, she was heckled, harassed, attacked, dismissed, ignored and mocked by the very people who were supposed to inform us. And every time someone wrote about how unlikeable she was, or how she didn’t talk about what really mattered, or how it’s her fault… They were really saying it about our coalition. *We* were unlikeable. *We* didn’t really matter. It’s *our* fault that Trump won.
Es ist nur fair zu sagen, dass die Medien vor der Wahl fast durchgehend für Clinton waren, und Kritik an der Identitätspolitik und der Einbindung von Minderheiten nur von ein paar Rechtsauslegern kam. Die hatten aber offensichtlich das richtige Verständnis und erkannten, dass sich diese unter Obama erprobte Strategie mit PC-Zwang, Black Lifes Matter und Transtoiletten etwas abgenutzt hatte. Erst nach der Wahl gab es dann auch von anderen Medien Kritik an einer Ausrichtung, die zu viele Normalbürger aussen vor lässt. Ironischerweise versteht GothamGirlBlue das auch:
This backlash is really about the idea that neither Hillary as a person nor the coalition she represented has any right to public life. She was supposed to stan for white supremacy and patriarchy. She was supposed to put the priorities of white rural voters above all. She was supposed to back down when shouted at. She was supposed to mold herself into something likeable. It goes without saying that white men determine what is likeable. They say it’s voters, but they mean white male voters.
Diese Leute, die nun mal als Wählergruppe einen vergleichweise grossen Einfluss haben. Das kann man bedauern – oder ihnen sagen, wie doof sie sind:
And we are seeing the backlash of not placating those who want our silence, our submission, our obeisance in their presence. Y’all get distracted when a GOP presidential candidate retweets white supremacists, but you can find all the time to harass Hillary. Trump is out here weaponizing the ICE into the goddamn Gestapo, but you can find time to tell Hillary her voice isn’t wanted. You ignored Cassandra as she begged and pleaded with you to listen, but she carries all the blame for your closed hearts and minds.
Das ist perfektes Filterblasendenken. Nur weil GothamGirlBlue die einen Aspekte sieht, müssen andere noch lang nicht zustimmen. Eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner ist gegen den Abriss von Denkmälern für die Südstaaten des Bürgerkriegs und gegen die Entfernung von Statuen der Sklavenhalter. Die Bekämpfung der Kriminalität war eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Trump. Was Gruppe A als Problem sieht, kann Gruppe B durchaus gut finden:
And us, those who shared in her warnings and now feel the brunt of the brutality, we’re told that we had our shot and we wasted it. White men can make a president from a treasonous sexual predator who dreams of being a half-wit, and we ask what they want and need. But POC, women, urban voters who are responsible for 2/3 of the American economy? We should shut up and go home. No one wants us here. It’s very clear that the storytellers of this age are interested in protecting the narrative of white-dominated Americana. That it’s a myth, a cruel one devised to obscure crimes of blood and death that cannot be absolved, is precisely why it’s so beloved. And anything that would puncture that myth, or their gutless, cretinous protection of it, must be assaulted and destroyed.
Hier wird es etwas verschwörungstheoretisch. Dunkle, weisse, männliche Mächte haben sich also zusammengetan, um die Vertreterin des anderen Amerika fertig zu machen. Es mag der Perspektive geschuldet sein, aber nach meiner Erinnerung waren die meisten Redaktionen schon in Feierlaune angesichts des herbei geschriebenen und gewünschten Sieges von Präsidentin Hillary.
Hillary is speaking about what it felt to be on the ramming end of that myth. She’s speaking *our* truth, the one of her coalition. She’s taking on the very narratives that people are using to shield themselves from their ignorance and poor judgment. And she’s reminding us that likeability is a damn lie. You never would have liked her no matter what she did because she challenged you. Just as we, the coalition, challenge what priorities should be at the forefront of politics and what America looks and sounds like. You want us to go away. You want us to internalize her loss as our inferiority. You want our silence, our return to the back. We will not return. Neither will she.
Bleibt die Frage: Wenn nicht mit Likability – wie soll das andere politische Lager überzeugt werden? Die Antwort ist ein “Mund halten“.
We deserved to win that election; we deserve her Presidency; we deserve *your* silence. You, who downplayed white supremacists. You, who accepted Trump’s lies and stupidity. You, who would accept our debasement. And maybe, mercifully, there will be the self-awareness to accept your portion of culpability and double your portion of silence. /fin
Das kann man so sehen, oder auch nicht. Die Frage ist nur: Wählt man eine Koalition der Minderheiten , die der Meinung ist, sie hätte den Sieg und das Recht zum Agendasetting verdient, und alle, die abweichende Meinungen haben, sollten gefälligst in sich gehen, die Schuld übernehmen und schweigen – so, wie es die anderen verdienen. Die Autorin bekommt bis zu 10000 Likes, wenn sie white Supremacy ablehnt, und gleichzeitig deutlich macht, wie überlegen sie sich selbst und ihre Koalition sieht. Das ist im Vergleich zur gemässigten Darstellung in den Medien eine ganz andere Koalition und eine andere Hillary Clinton. Es geht um eine Unterwerfung unter die Ideologie der Minderheiten., hier beispielhaft vertreten durch die Chefin von Planned Parenthood. All jene, die den Ausbruch bejubeln und einer jungen Frau eine enorme Öffentlichkeit geben, sehen das auch so.
Das demokratische System der USA bringt es mit sich, dass man sich zwischen zwei Alternativen für eine Art Volkskönig entscheiden muss. GothamGirlBlue zeigt auf, welche Haltungen und Einstellungen Clinton nach dem Wahlsieg hätte bedienen müssen: Radikal, desinteressiert an Balance und Ausgleich, hart und unversöhnlich – eine Art “Drain tue Swamp“ gegen weisse Männer. Vielleicht sind die Deplorables doch nicht so dumm und indolent, wie man sie darstellt, sondern durchaus mit einem Gefühl ausgestattet, was bei der Abwägung aller Vor- und Nachteile für sie die weniger schlechte Lösung ist. Clintons Buch wird trotzdem ein Bestseller, GothamBlueGirl gewinnt natürlich bei Twitter, und der Hashtag #StopBetsy ist ein voller Erfolg im Netz. Aber in der Realität sind es solche Texte, die den Job für die Bannons und Trumps dieser Welt erledigen.