Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

87% Entgrenzer, die sich wie 12,6% AfD benehmen

Eine mutmassliche, 4 Jahre alte E-Mail von Alice Weidel mit negativen Einlassungen zu Migranten, die Ankündigung von Alexander Gauland, man werde Merkel “jagen”: Die Entgrenzung der Sprache ist eine der Verhaltensweisen, die der AfD besonders angekreidet werden. Es müssten noch nicht einmal die unerträgliche Wortwahl des früheren mecklenburgischen Landtagsmitglieds Holger Arppe sein, die antisemitischen Thesen von Wolfgang Gedeon oder die Fehlleistungen der Partei in der Provinz. Die Erfahrung, dass der Gewalt der Tat die Gewalt der Worte voraus geht, ist eine Grunderkenntnis im Umgang mit radikalen und extremistischen Strömungen, egal welcher ideologischen Prägung. Es ist kein Wunder, dass Medien genau hinschauen, ob sich bei der AfD die typischen Denk- und Sprachmuster der Menschenfeindlichkeit finden. Man kennt das aus der Geschichte: Ethnisch motivierter Geschichtsrevisionismus, um anderen die historische Legitimation zu entziehen, gefolgt von genereller Abwertung von Gruppen aufgrund ihrer Herkunft und ihres sozialen Status. Diese Menschen werden verbal entmenschlicht, jeder Wert wird ihnen pauschal aufgrund ihrer Herkunft abgesprochen, und sie werden mit Müll gleichgesetzt. Das mündet dann von der Gewalt der Sprache in die Gewalt der Tat, und besonders gefährlich wird das – wir wissen es aus der Geschichte des Nationalsozialismus – wenn Bewegungen zu diesem Zweck auch noch ihre eigenen Hasspostillen betreiben, deren Zweck die Verfolgung der politischen Gegner ist.

Über die AfD wird viel gestritten, aber ich denke, bei diesen Punkten kann man sich einig sein: Es wird gefährlich, wenn es nicht mehr um politische Argumente und Lösungen für das Land geht, sondern um die verbale Ausgrenzung der Feinde, die Verleumdung ihrer Geschichte, Herkunft und ihres sozialen Umfelds, das in Kollektivhaftung genommen wird. Nur ein Bruchteil der Anhänger des Islam in Deutschland hängt islamitischen Thesen an, nur ein Teil der hier lebenden Türken, weit weniger als die Hälfte hat für Erdogan gestimmt, so wie auch nur ein geringer Teil der in Deutschland lebenden Polen überwiegend Sozialleistungen bezieht. Wir passen als Journalisten genau auf, dass aus Einzelfällen von Vergewaltigung und Terror kein ungerechtfertigter Generalverdacht gegen Flüchtlinge entsteht. Das deutsche Bemühen um Ehrlichkeit vor der eigenen Geschichte sorgt, wenn schon nicht für Reparationen, so doch für die Umbenennungen von Kasernen und Strassen mit schönen und kostenneutralen Worten, um zu zeigen, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben und das mit dem “Nie wieder” ernst meinen. Kein Wunder also, wenn aus dem Wahlerfolg der AfD nun die Bewegung 87% erwächst, die die Reihen fest im Kampfe gegen rechts schliessen möchte.

Formal, von meiner Wahlentscheidung her, gehöre ich auch zu diesen 87%, aber mir fällt dann immer der Satz von Frederick Douglass ein “Freedom is a road seldom traveled by the multitude”. Ausserdem wurde in Deutschland früher schon oft geschlossen marschiert, und wenn ich mich nicht ganz täusche, ging das öfters eher schlecht aus, so schlecht, dass heute öfters “Nie wieder” gesagt wird. Zumindest würde ich schon gern wissen, mit wem ich da marschieren soll, und daher habe ich mich einmal bei internetaffinen Vordenkern dieser Marschrichtung aus Medien, Politik und Gesellschaft umgeschaut. Die frühere taz- und jetzige Zeit-Autorin Mely Kiyak etwa schreibt einen Beitrag mit dem Titel “Nie wieder “Nie wieder””, der sich wütend mit dem Einzug der AfD und ihrem deutschen Wählerpotenzial auseinander setzt, und behauptet dabei über die BRD und ihre frühere Migrationspolitik [https://www.zeit.de/kultur/2017-09/afd-bundestagswahl-rassismus-deutschland-deutschstunde/komplettansicht]:

Da bin ich offen gesagt gestolpert, denn wenn man recherchiert, ist Frau Kiyak mit dieser Einschätzung der Gastarbeiter und der politischen Hintergründe doch recht einsam. Der Wiederaufbau war Anfang der 60er Jahre weitestgehend abgeschlossen, als die Deutschen Verträge über Gastarbeiter eingingen. Im Hintergrund standen neben einem gewissen Mangel an Hilfsarbeitern einerseits NATO-Bündnisverpflichtungen und andererseits die Erwartung, man könnte so die Löhne niedrig halten. Ausserdem wollte man die Wanderungsbewegungen, die sich damals schon in einigen ärmeren Regionen der Herkunftsstaaten selbst gebildet hatten, formal kontrollieren. Bei anderen Autoren könnte man noch vermuten, dass sie ihre Bildungsferne zu solchen Einschätzungen bringt. Aber bei Frau Kiyak muss man wohl davon ausgehen, dass es eine Form der Delegitimierung der deutschen Vorfahren ist, die man auch von biedermännischen Brandstiftern in die andere Richtung kennt.

So steht es in einem deutschen Leitmedium, das Frau Kiyak nun schon seit Jahren jede Möglichkeit lässt, ihre Kritik an den Deutschen – und hier durchaus pauschal und undifferenziert – vorzutragen. Das ist übrigens – meines Erachtens – das Schöne an diesem Land: Trotz Heiko Maas und dem Wirken der Stiftung der Ex-Stasi-IM Anetta Kahane ist es dank Meinungsfreiheit auch möglich, Geschichtsklitterung mit gruppenbezogener Menschenverachtung zu veröffentlichen. Aber neben Frau Kiyak marschieren? Vielleicht gibt es auch noch freundlichere Vertreter der 87%-Bewegung. Ein anderes Leitmedium, hier der “freies, tolerantes Deutschland”-SPON-Leitartikler Hasnain Kazim bei Twitter:

Das kann man insofern über Ostdeutsche leicht sagen, als Ostdeutsche damals tatsächlich, sofern verfügbar, einen Trabant fuhren. In meiner Geburtsstadt im tiefen Westen dagegen dagegen hat man 1990 so Autos wie den Audi Quattro S1 gebaut, ein Monster mit 650 PS, und heute ist hier die AfD nicht viel hinter dem ostdeutschen Schnitt: Es würde sich aus Sachgründen vermutlich verbietet, Kazims despektierliche Äusserung über den Trabant bei uns anzuwenden. Kazim würdigt “die Ostdeutschen” mit dem Trabbi herab, obwohl die Ostdeutschen schon damals Gefangene einer alternativlosen Politik waren. Es wählen aber nicht “die Ostdeutschen” AfD, sondern nur 21,5%. Herr Kazim nimmt für sich in Anspruch, “das Volk” und die “87%” zu sein. Dem ostdeutschen Volk gesteht er dagegen nicht zu, dass es dort auch eine überwältigende Mehrheit von 78,5% gegeben hat, die so wenig AfD wie seine 87% gewählt haben. Der Glaube, dass man andere Menschen aufgrund ihres Automobils beurteilen kann, ist eher eine unfeine Einstellung von Spiessern, und die Ablehnung von Menschen aufgrund ihres Geburtsortes heisst gemeinhin “Rassismus”.

Und die Kollektivhaftung von Menschen einer bestimmten Herkunft für etwas, das andere getan haben, ist auch eher ein Zeichen ethnisch geprägten Hasses. Auch hier muss man sagen: Es ist in Deutschland legal, ganze Landstriche abzulehnen, nur weil dort eine Minderheit in einer freien, demokratischen Wahl sich für eine Partei entschieden haben, die nach gängigen Kriterien des Verfassungsschutzes weder rechtsextrem noch staatsfeindlich oder gar antidemokratisch ist. Man kann das trotzdem dank Meinungsfreiheit tun, genauso, wie bei der AfD viele ähnliche konstruierte Vorurteile gegen Muslime, Araber, Afrikaner und andere Gruppen haben, die pauschal für das Fehlverhalten einiger weniger verantwortlich gemacht werden. Aber warum sollte ich bei 87% mitmarschieren, deren Mitglieder auch nicht anders als 12,6% argumentieren? Es wäre in diesem Kontext erbaulich, könnte man in solchen Formationen auch Partner finden, die einen gemässigten Zugang haben, aber auch da wurde ich in Form des Kommunikationschefs des Erzbistums Köln enttäuscht:

Sie sehen, die 87% können auch noch weiter gehen, und bieten Land und Leute im Tausch gegen Atommüll an. Scherzhaft natürlich. Satire darf bekanntlich alles. Vor ein paar Wochen wurde Gauland noch vorgeführt, weil er das Wort “entsorgen” benutzte – jetzt sind wir bereits so weit, dass man lieber Atommüll als unliebsame Menschen möchte, die übrigens auch in Sachsen in ihrer Mehrheit nicht die AfD gewählt haben. Und schon vor der Wahl schrieb der von den Piraten zur SPD gewechselte Nachwuchs-Politiker Christopher Lauer bei Twitter:

Also, die deutschen Väter waren unfähig, und die gegenwärtigen Deutschen, speziell im Osten, muss man wegen ihrer Herkunft nicht ernst nehmen, man kann manche für Atommüll eintauschen und die britische Luftwaffe wären hier auch keine schlechte Sache. Beim weiteren Rundgang durch die Truppen der besseren 87% des Volkes, in dem solche Meinungen heimisch sind, fand ich auch noch das Verlangen, dass Antifaschismus Alltag werden müsste. Margarete Stokowski schreibt dazu im Leitmedium Spiegel Online einen Spruch, den ich persönlich nur aus dem Kontext militanter Linksextremisten kenne [https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-antifaschismus-muss-jetzt-alltag-werden-kolumne-a-1169921.html]:

“Antifa bleibt Handarbeit”, das weiss jeder, der sich schon einmal mit dem Thema, und sei es nur mit einer Googleabfrage beschäftigt hat, ist gemeinhin eine verklausulierte Aufforderung, es nicht bei Worten zu belassen, sondern gewalttätig zu werden. In der Hinsicht hat SPON bereits eine gewisse, traurige Bento-Tradition. Nun steht ein Aufruf gegen konkrete Personen – unter ihnen 94 durch die Immunität geschützte Parlamentarier und demokratisch gewählte und legitimierte Volksvertreter – ganz offen im Netz. Es liegt in der Natur der Demokratie, dass man nicht alle Abgeordnete schätzt. Aber die Autorin, die auch schon mal darüber spekulierte, ob man politische Gegner mut Falschanzeigen zur Strecke bringen könnte, begrenzt die Absicht der Debatte nur auf die AfD-Wähler. Den Partei- und Volksvertretern will sie mit “Handarbeit” “nachhaltig auf die Nerven” gehen. Wie das aussehen kann, sah man schon bei den angeblich spontanen Demonstrationen am Wahlabend, die schon vor mehreren Wochen überhaupt nicht spontan vom militant-autonomen Bündnis NIKA unter dem Motto “Die AfD Wahlparties crashen” angekündigt wurden.

Antidemokratisch, staatfeindlich, rassistisch, menschenverachtend, Kollektivhaftung, “Handarbeit”aufruf, geschichtsrevisionistisch, hasserfüllt, was fehlt noch? Ach so, eine Presse, die sich zweckgebunden verpflichtet sieht, den Gegner fertig zu machen. Neben den grossen Playern in diesem Feld kann man solche Dienstleistungen des publizistischen Charaktermordes auch als Angehöriger der 87% gezielt mitfinanzieren: Das Netzwerk Correctiv, das früher schon durch fragwürdige Methoden aufgefallen ist, bettelt um Spenden, damit man “Rechtsextremisten” entlarven könnte:

Das sind also diese 87%. Nicht alle natürlich, man darf das nicht verallgemeinern, manche machen sicher nur aus edelsten Motiven mit, es sind sicher viele besorgte Bürger dabei, und es wäre auch nicht fair zu fragen, ob es angesichts der Beispiele nicht auch so eine Art migrantischen Rassismus gegen Deutsche gibt: Die Aussagen kommen so von Deutschen jeder Herkunft, wie auch bei der AfD Deutsche und Menschen mit Migrationshintergrund sprachliche Entgrenzung betreiben. Das ist alles nicht schön, das ist doch alles sehr ähnlich, und auch, wenn es überall viele andere geben mag: Diese Lauten und Drastischen – sie sind bei beiden Bewegungen die Wort-, Meinungs- und Entgrenzungsführer.

Ich habe eine Aversion gegen Führer. Ich bin keine Prozentzahl, ich bin Zivilist. Marschieren Sie bitte ohne mich.