Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Diese krassen Medien werden 2018 mit billigen Nudelvideos vom Markt gefegt

Das Projekt heisst “Struggle Meals” und gibt sich nicht die geringste Mühe, das dahinter stehende Elend der Zielgruppe zu verheimlichen. Bei Struggle Meals geht es darum, jungen und zumeist kochunfähigen Leuten zu erklären, wie sie in ihrer durch Netflix, iPhones und Studienkrediten verursachten Finanznot für weniger als 2 Dollar ein Essen zubereiten, Die Ratschläge sind ganz einfach: “Just add water“ und “Put an egg over ist”, heisst es in der Beschreibung. Dazu gibt es Videos, die für Facebook optimiert sind, und sich mit Untertitelung auch ohne Ton und auf dem Mobiltelefon abspielen lassen. Und wenn nun jemand denken sollte, das sei ja wie bei den Asozialen und warum haben die Eltern den Kindern nicht beigebracht, wie man kocht, dem muss ich sagen: Es kann schon sein. Aber wichtiger ist: Dieses Reduziertsozialenprogramm wird darüber entscheiden, wie Medien 2018 in Deutschland aussehen.

Denn die Videoserie Struggle Meals und die dahinter stehende Firma Tastemade machen nicht nur Videos, eine gewisse Menge an Eigenwerbung für ihre Produkte, und weitere Serien über das Kochen. Sie sind damit auch wichtiger Partner von Facebook. Und Facebook wiederum kennt seine Nutzer genau und weiss, welcher Nutzer am Monatsende eher pleite ist, und solche Ratschläge brauchen kann. Facebook entscheidet selbst, welches Kochvideo im Nachrichtenstrom dem Nutzer vorgeschlagen wird, und Tastemade ist ein sehr erfolgreicher Partner mit seinen Videos. Ausserdem sind die Videos inzwischen nicht mehr kurz, sondern bis zu 5 Minuten lang. Das erlaubt es Facebook, in die Videos eigene Werbung einzubauen. Tastemade und Facebook sind bei Kochvideos also sehr gute Partner. Trotzdem wäre das Erziehungsversagen der Amerikaner für Deutschland bedeutungslos – gäbe es nicht zwei Konkurrenten von Tastemade, die in diesem Bereich ebenfalls hohe Erwartungen auf Wachstum und Gewinn hatten: Die Medienkonzerne Vice, hervorgegangen aus einem Punkmagazin in Kanada, und Buzzfeed, eine Seite mit früher leicht konsumierbaren Witzeleien und Katzenvideos – und beide sind die Vorbilder für deutsche Trashseiten wie Bento, Ze.tt, Watson und jetzt.de.

2016 war noch das Jahr, in dem der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg dieser Netzpublikationen die klassischen Medien bedrohte: Buzzfeed und Vice wussten, wie man Beiträge so anreisst, dass sie bei den sozialen Netzwerken verlinkt und geklickt wurden, und orientierten sich gnadenlos an den Nutzerinteressen. Beide Firmen definieren mit ihrem Stil heute auch in Deutschland das Anteasern von Beiträgen, und beide zwangen die deutschen Medien., vermehrt in Social Media Abteilungen zu investieren – oder eben selbst Konkurrenzangebote zu entwickeln. Und tatsächlich blieb in Deutschland der Durchmarsch der Amerikaner aus: Buzzfeed leistete sich unter der ersten Chefredakteurin Juliane Leopold einen, vorsichtig gesagt, verhaltenen Start. Und Vice versuchte sich auf dem deutschen Markt als Content Netzwerk mit vielen gut besuchten, aber finanziell eher erfolglosen Blogs aufzustellen. Allzu viel ist davon nicht übrig, frühe Beteiligte zeigten sich enttäuscht über die Ergebnisse der Zusammenarbeit. 2014 schloss Vice noch eine Vermarktungskooperation mit Gruner + Jahr – die Pressemitteilung prahlt mit den Vice-Partnerblogs Amy & Pink und We make the cake. Heute vermarktet sich Amy & Pink selbst, und das Modeblog we make the cake hat die letzten Pantoffeln im Frühjahr 2017 ausgezogen. Vice konzentriert sich inzwischen unter der Leitung der früheren Stern-Journalistin Laura Himmelreich eher auf die eigenen Seiten, teils mit übersetzten US-Inhalten, teils mit deutschen Eigenproduktionen.

Aber weder Vice noch Buzzfeed ist es in Deutschland gelungen, mit ihren reisserischen Geschichten eine dominante Rolle in den sozialen Medien zu erreichen Vice hat mittlerweile bei Nischenthemen wie Linksextremismus, Polizeigewalt, Drogen, Porno und Feminismus eine Art relativer Marktführerschaft erreicht. Diese Position hat sich folgerichtig darin niedergeschlagen, dass in den amerikanischen Arbeitsverträgen ein “non traditional workplace agreement” unterzeichnet werden musste: Mitarbeiter erklärten sich einverstanden, dass bei der Erstellung der Inhalte auch die Beschäftigung mit extremen Themen wie Sex, Drogen und Gewalt eine Rolle spielen konnte. Die New York Times, deren Spitzenstellung auf dem Medienmarkt lange von Vice und Buzzfeed bedroht war, hat diesen nicht traditionellen Arbeitsbedingungen jetzt einen grossen Beitrag gewidmet, in dem es um sexuelle Belästigung bei Vice geht: Ein Zeichen dafür, dass Vice schon länger kein Jäger der Etablierten mehr ist, sondern eine Marke mit ethischen und finanziellen Wachstumsschwierigkeiten.

Die internen Sexskandale der Nachwuchsmedien ließen sich noch mit Entschuldigungen und Entlassungen im Rahmen der #MeToo-Debatte bereinigen. Aber schon davor war das Geschäftsmodell der lustigen und krassen Inhalte an Grenzen gestoßen, weil sich allerorten Nachahmer wie Heftig.co und Upcoming fanden, die den Stil und die Machart der Originale kopierten. Mitte dieses Jahres hat Vice noch einmal 450 Millionen Dollar erhalten, und einen Börsengang in Aussicht gestellt. Auch Buzzfeed deutete an, man könnte mit üppigen Gewinnen für die Investoren im Jahr 2018 an die Börsen gehen. Aber gleichzeitig entließen die beiden Firmen im Zuge der Neuorientierung auf die wachsenden Videosparten 60 bzw. 200 Mitarbeiter – nicht wirklich ein Signal für gelungene Unternehmensführung. Im November machte dann die Runde, Buzzfeed würde das Umsatzziel von 350 Millionen Dollar um 50 bis 70 Millionen verfehlen, und auch bei Vice vermuten Beobachter, dass der Konzern beim Umsatz deutlich hinter den Erwartungen zurück bleibt. Der kleinere Konkurrent Refinery29 nutzte die Weihnachtszeit, um ebenfalls ein paar Leute zu entlassen.

In dieser Situation hat John Peretti, der Chef von Buzzfeed, eine Memo an alle geschrieben. Er beruft sich auf jene allgemeine Medienkrise, der Buzzfeed in Zeiten des rasanten Wachstums scheinbar mühelos widerstanden hatte. Peretti klagte über das Verhalten von Google und Facebook, die zu viel Geld behielten und den Content-Lieferanten zu wenig Erlöse erlaubten. Im gleichen Text äußerte er sich auch zu den grossen Hoffnungen, die der Konzern in seine eigenen Kochvideosparte namens “Tasty” setzt. Dort jedoch ist Buzzfeed trotz einer umfassenden Strategie ebenso wenig der Marktführer wie der auch zum Kochgeschäft hin expandierende Konkurrent Vice. Perettis Manager werden von anderen Diensten wie Tastemade bedrängt, die sich auf dieses Thema spezialisieren, und Facebook wunschgemäße Videos liefern – und einen Markt beliefern, in dem manche Konsumenten weniger als 2 Dollar für das Essen ausgeben. Das ist nicht wirklich die kaufkräftige Zielgruppe, die alle bewerben wollen.

Das Drama spielt sich vor einen robusten US-Konjunktur, einer unternehmensfreundlichen Steuerreform, einer andauernden Krise der Printmedien und einem Allzeithoch der US-Börsen ab – die Rahmenbedingungen für neue Medien könnten eigentlich gar nicht besser sein. Da mag es für Buzzfeed tröstlich sein, wenn es hierzulande schadenfroh einen Beitrag namens “20 Menschen, die ein deutlich schlimmeres Jahr 2017 hatten als du ” bringen kann, Aber trotz der diversen Unternehmungen bis hin zum “branded content” der werbenden Industrie ist der Siegeszug erst einmal vorbei. Um eventuelle Käufer und Investoren gnädig zu stimmen, bräuchten beide Firmen entweder außergewöhnlich gutes Wachstum, oder erkennbare Schritte in Richtung Gewinne der Anteilseigner. Letztere sind nur durch Sparbemühungen zu erreichen, etwa durch den Ausstieg aus teuren und unprofitablen Märkten, in denen sich die Firmen gegen die Konkurrenz nicht durchsetzen können. Gegner sind dabei in Deutschland nicht nur Bento und Heftig bei den Inhalten, sondern auch all die Videoinfluencer mit ihren total vermarkteten Kosmetik- und Spielekanälen. Deren Inhalte sind zwar mitunter noch etwas flacher, aber sie verfügen als eigenständige Marken über jene begeisterten Anhänger, die die Amerikaner hierzulande bislang nicht gefunden haben.

Es kann durchaus sein, dass “ein Nordfriese wohl ungestraft mit seiner Hanf-Plantage davonkommt”, wie Vice Deutschland schreibt, aber wie diese Portale die Fehler und Versäumnisse auf dem deutschen Markt 2018 aufholen wollen, wird sich noch zeigen müssen. Ich wäre, höflich formuliert, nicht überrascht, wenn das ein oder andere nicht gerade mit Werbung überfrachtete Projekt als Kostenfaktor auf den Prüfstand kommt.

Das ist natürlich nur eine Vermutung. Aber das Geschäftsmodell der Videos ist für diese Firmen zu wichtig, und wurde in Zeiten des Nutzerwechsels weg vom Rechner und hin zum Handybildschirm zum leuchtenden Pfad in die Zukunft erklärt. Das alte Geschäftsmodell ist ausgereizt: Irgendwann kennt jeder die 999 besten Gründe, warum man nach dem Klicken bei Buzzfeed enttäuscht wird, und weiss, was passiert, wenn man als bekiffte Drag-Queen auf den AfD-Parteitag geht. Gleichzeitig versuchen beide Portale auch, seriöse Inhalte zu erstellen, um bei Erwachsenen besser anzukommen. Aus den Vorreitern werden damit Nachahmer, die sich bei herkömmlichen Medien Personal beschaffen müssen. Die Erfahrung zeigt, dass Nachahmer in heftig umkämpften Märkten bei hohen Verlusten und stagnierendem Wachstum nicht mehr die Vorbilder anderer Medien sind. Die New York Times und die Katzenvideos werden natürlich im Netz bleiben, und vielleicht spricht man über Vice und Buzzfeed 2019 immer noch.

Als abschreckendes Beispiel des letzten, gescheiterten Internethypes.