Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Der private Hass hinter dem Niedernetzen von Alice Weidel

Vor ein paar Jahren hat eine junge Frau versucht, mit einem Bekannten ein SPD-Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen. Mit, das sage ich ganz offen, beeindruckender Hartknäckigkeit und einer gelungenen Netzkampagne. Die junge Frau hat damals hier im Blog einen Beitrag über den Entscheid geschrieben, sich später mit der SPD und auch mit mir überworfen, und ist heute eine Netzfeministin. Heute hat die SPD das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vor allem gegen ihre politischen Gegner in Stellung gebracht – ich denke, das kann man angesichts der Lässigkeit, mit der Twitter nicht gegen Doxing vorgeht, wenn es “die Guten” machen, schon so sagen.

Jetzt hat der Bannstrahl nicht nur einen der denunzierten Feinde der besagten Netzfeministin, sondern auch eine nicht heterosexuelle und politisch erfolgreiche Frau in einer Führungsposition getroffen. Eine Frau, die damit eigentlich feministische Ideale lebt, nämlich Alice Weidel von der AfD, und die Feministin und frühere Kämpferin gegen die Vorratsdatenspeicherung schreibt dazu:

Sie passt damit zu anderen aus dem gleichen Lager, die es gut finden, wenn eine Frau sich nicht mehr nach eigenem Willen frei äußern kann. Ich will hier nicht darüber schreiben, dass es sich dabei um eine Doppelmoral handelt, oder um ein Zeichen, wie das NetzDG letztlich auf seine Erfinder zurückschlägt, weil sich Weidel und die ebenfalls betroffene Beatrix von Storch nun als Opfer von Zensurmaßnahmen und Denunziation darstellen.

 

Dass führende Politiker des Bundestages von der Plattform gesperrt werden, ist eine ziemlich einzigartige Entwicklung, und auch ein Zeichen dafür, dass die amerikanische Vorstellung von Meinungsfreiheit hier jedenfalls vorbei ist. Ich kann nur raten, die eigene Herkunftsnation auf “Estland” umzustellen, eventuell kritische Inhalte eher in ein Blog zu schreiben und das von Twitter aus lediglich zu verlinken – und sich schon einmal Gab.ai anzuschauen. Und zwar nicht nur wegen der deutschen Netzautokratie, sondern auch, weil Zensur Personen mit anderen Ansichten vermutlich auch in Polen und Österreich drohen könnte. Die guten Zeiten sind vorbei, sogar für Satire.

Und tatsächlich trifft das NetzDG, wenn es trifft, auch normal kritische, witzige und kluge, aber ansonsten friedfertige und überhaupt nicht intolerante Journalistinnen:

Die Löschkohorten im Netz scheinen durchzudrehen. Ich will hier nicht die Tweets vorstellen, in denen Frau Weidel nun in einer Art angegriffen wird, die ebenfalls Verstöße gegen die internen Regeln und das NetzDG wären – es gibt einige davon, man sollte das nicht weiter verbreiten. Die Meinung jedenfalls ist ziemlich einheitlich, endlich wird Weidel der Mund verboten, sie hätte es so verdient, und einiges mehr, was bei Politikerinnen mit anderer politischer Ausrichtung eindeutig als Frauenfeindlichkeit ausgelegt werden würde. Der Anlass wird bejubelt, es werden weitere Konsequenzen gefordert, und zwar durchaus von Leuten, die ansonsten der Regulierung des Internets und Angriffen auf Bürgerrechte höchst kritisch gegenüber stehen. Das sind die, die ansonsten gern Martin Niemöller zitieren; “Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.” Schauen Sie mich nicht so an, ich habe Piraten gewählt. Es hat sich aber etwas geändert, universelle geltende Lehren aus der Geschichte und Rechte werden von deren früheren Verteidigern zur Disposition gestellt.

Warum?

Weil Frau Weidel den Beweis verkörpert, dass die universellen Rechte, die sich die Progressiven auf die Fahnen geschrieben haben, tatsächlich zwar Diversity und Minderheiten fördern – aber diejenigen, die sich letztlich durchsetzen, überhaupt nicht den Erwartungen entsprechen müssen. Progressive haben diese Erfahrungen bei diversen sozialistischen Diktatoren Afrikas gemacht, bei der Schwulenverfolgung in Kuba, beim ANC, bei der Fatah, und momentan droht angesichts der Demonstrationen im Iran die nächste Pleite für den auch in Deutschland geförderten, angeblich feministischen Kopftuchislamismus.

Niemand sieht sich gern auf Seiten der Verlierer, und das Problem bei Frau Weidel ist, dass sie mit dem Image der erfolgreichen, geradlinigen Gewinnerin durch die öffentliche Aufmerksamkeit schreitet. Jemand hat mal geschrieben, Frauen wie sie würde man auf Korpsfeiern treffen, und ich möchte hinzufügen: Auch bei Finanzkongressen, Urheberrechtskanzleien, Pharmafirmenübernahmen und Bankabteilungsleitungspositionen findet man genau diesen Typ Frau. Auch bei uns im Konzertverein, meist an der Seite von ebenfalls reichlich erfolgreichen Männern. Nassforsch, durchsetzungsfreudig, nachdrücklich, leistungsorientiert, zuverlässig. Der Typ Frau, bei dem man immer genau weiß, woran man ist, und der, das darf ich hier privat einfließen lassen, vollkommen inkompatibel zu meinem eigenen Lebensstil ist, selbst wenn es aus Sicht der sozialen Klasse passen könnte. Es gibt nun mal schlechtere Kinder aus besserem Hause, und bessere Kinder. Dazwischen ist ein Abgrund, über den hinweg man Dank der ähnlichen Erfahrung kommunizieren, aber nicht zusammen kommen kann. Allerdings erlebe ich den “Typ Weidel” auch im wenig einfühlsamen Umgang mit Menschen mit anderer Biographie: Die scheinbar unangreifbare Dominanz und die Hybris der Vorankommenden sind es, die weniger effektive Personen innerlich zur Weißglut bringen. Denn die Weidels dieser Welt haben immer alle Scheine rechtzeitig abgegeben, sie haben immer die perfekten Bewerbungsphotos, und sie bekommen die Berufe, die andere gern hätten, weil sie den Eindruck erwecken, sie seien Problemlöser, und nicht Problemverursacher.

Problemverursacher werden dann später einmal twitternde Onlinejournalisten, grüne Hassanweisungsbildpixelschubser, oder linke Fraktionsvorstandsassistentinnen auf Probe, und schauen von da aus zu, wie sie selbst nicht weiterkommen, der Typ Weidel aber schon. Und wir können ja offen darüber reden: Wer ernsthaft auf der Suche nach einer Partnerin ist, mit der man das Projekt Familie, Haus, vier Kinder, drei Autos, zwei Katzen, eine Haushälterin, ein Ferienhaus und Vorstandsposten durchziehen will, ist froh um die gut sortierten Weidels. Wer eine Apotheke oder eine Praxis betreiben will, wer jeden Monat einen Repräsentationstermin hat, wer sich auf den Partner verlassen will, geht eher nicht in dem Bereich suchen, aus dem bunte Autoren und Projektemacher kommen. Nach 20 Semestern Ethnographie und freier Mitarbeit beim Tagesspiegel hat man in seinem 1-Zimmer-Appartment wirklich allen Grund, auf Leute neidisch zu sein, die im gleichen Zeitraum schon Beruf, Haus und Familie meistern. Und natürlich gibt es da auch keinen Bonus für Frauen, die sich in Männerdomänen – und die AfD ist deren absolute Verkörperung – durchgesetzt haben.

Alice Weidel ist nicht nur eine Politikerin. Sie ist ein Symbol für eine Welt, zu der kaum jemand Zutritt erlangen wird, der zur Arbeitszeit anderer Leute eine Twittersäuberung bejubelt. Diese Freude speist sich nach meiner bescheidenen Meinung nicht nur aus der Erleichterung, dass man möglicherweise die Plattform wieder mehr für sich hat, und die anderen zu Gab.ai ausweichen müssen. Es ist ein unterschwelliger Klassenkampf, der im ersten Jahrzehnt von den Debatten um die Veränderungen durch das Internet überlagert wurde. Das Netz versptach eine neue Gleichheit, und befeuerte insgeheim auch die Erwartung, “die Guten” wären so kompetent, dass “die Anderen” im Neuland nichts zu melden hätten. Die AfD ist im Netz, ob man das mag oder nicht, wie viele andere rechte Bewegungen und Donald Trump sehr erfolgreich, egal wie “die Guten” dabei nun die Augen verdrehen.

Nur reicht das nicht: Weil sich im realen Leben der Typ Weidel durchsetzt, und allgemein die Meinung vorherrscht, dass man sich lieber von den Energischen und Erfolgreichen etwas erklären lässt, als von Netzberühmtheiten mit scheckigen Biographien mit Irrwegen und gravierenden Fehleinschätzungen, und Sie dürfen mich da gern auch dazu zählen. Leute wie ich schreiben vielleicht, Leute wie Weidel entscheiden, ob Leute wie ich in die Konzernstrategie passen, oder, wie man das schon bei Spiegel Online sah, der Platz einer älteren Feministin von einer noch männerfeindlicheren, jüngeren Feministin übernommen wird. Im Berufsleben gerät man heute zwangsläufig an die Weidels, weil der Kapitalismus diesen Typ hervorbringt und fördert. Und das archaische Gegenmodell, die alles moderierende Übermutter, hat gerade die letzte Bundestagswahl verloren, und weiß nach Eigenaussage auch nicht, was sie anders hätte machen sollen. Es ist eine Ironie der Geschichte der Frauenrechte, dass die Verkörperung von Erfolg, Selbstbestimmung und Diversity nun jener Fraktion vorsteht, die Genderwahn und Merkelablehnung zu Quellen ihres Erfolgs gemacht hat.

Dieser Kampf um die Deutungshoheit ist ein Großkonflikt in der Gesellschaft, und darüber ernsthaft zu diskutieren, würde an vielen innig geliebten Gewissheiten und Selbstbildern rütteln. Die AfD macht für eine rechte Bewegung momentan erstaunlich wenig Fehler, aber selbst wenn sie verschwinden sollte, ändert es nichts daran, dass der Bedarf an bestimmten Sekundärtugenden und Einstellungen vom Durchmarsch der Frauen auf Führungspositionen nicht tangiert wird. Feministinnen erzählen mir, mit Frauen und Diversity an der Spitze werde die Gesellschaft netter und freundlicher, und Weidel beweist allein mit ihrer Existenz jeden Tag, dass es überhaupt nicht stimmen muss.

Und deshalb laufen Progressive, die vor 5 Jahren noch ganz anders dachten, jetzt zur SPD über, die mit dem NetzDG Weidel zu zähmen verspricht, und selbst bei Twitter solche anMaasenden Aussagen durch Mitglieder zulässt. Leute, die sich jahrelang beklagten, Frauen würden vom Patriarchat zum Schweigen gebracht, melden Frauen mit einem reaktionären Zensurgesetz. Es sind Leute dabei, die früher zu mir privat und als Freunde sagten, so etwas gehe überhaupt nicht. Ich weiß heute nicht mal mehr, ob sie mich – und obwohl ich mit Frauen vom Typ Weidel nur schlecht umgehen kann – nicht auch melden würden, wenn ich etwas Abweichendes wie das hier schreibe. Gemeldet wird inzwischen wirklich alles.

Ich darf das vielleicht noch persönlich sagen: Ich war nach 2017 ziemlich ausgelaugt und habe gehofft, erwartet, ich war mir eigentlich sicher, dass 2018 besser wird.

Da habe ich mich wohl geirrt.

Es wird dank Heiko Maas und den Befürwortern des Zensurmonsters NetzDG hässlich bleiben.