Vor 20, 30 Jahren kamen die digitalen Alternativen. Als ich mit dem Journalismus begann, wurde im Radio noch vom Tontechniker mit Tonbändern geschnitten, also richtig geschnitten: An den Bandmaschinen waren Schneidevorrichtungen, und darunter Spuren, in die man das geschnittene und von Ähs und Uhms befreite Band mit dem Interview einlegte. Meine ersten Bilder, die in New York erschienen, warf ich als Film in einen Briefkasten, dahinter wurden sie dann entwickelt, und man konnte noch auswählen, ob man das Bild mit Expresspost verschicken oder schon eine digitale Übertragung haben wollte. Scanner waren damals grosse und für normale Menschen unerschwingliche Geräte, und Daten wurden auf Floppy Discs gespeichert. Digital galt als Alternative, wenn man es sich leisten konnte, und es schnell gehen musste. Um 1995 herum war Film immer noch das Maß aller Dinge.
Im Laufe der Zeit wurde im Hintergrund digitalisiert, Behörden und Firmen rüsteten von Lochkarten auf Magnetbänder und Festplatten um, um nach hohen Anfangskosten die Verwaltung zu vereinfachen. Mischformen wie Telefax und Bildschirmtext kamen und blieben auch, selbst wenn sie in ihrer Bedeutung verloren haben, und bislang gab es an der Sparkasse auch einen Briefschlitz aus Bronze, in den man Überweisungsformulare einwerfen konnte. Ein analoge Ebene war mit Einschränkungen lange beim Endverbraucher möglich, auch wenn dahinter bereits alle Vorgänge digitalisiert waren. Das war der Trick bei der Digitalisierung: Man bot Menschen eine digitale Alternative. Es gab lange Zeit keinen digitalen Zwang, und wer wollte, konnte auf Mischformen zurückgreifen. Ich beispielsweise kenne Leute aus Sicherheitskreisen, die gegenüber den digitalen Fähigkeiten von Banken und Nutzern und deren Sicherheitsvorstellungen kritisch sind, und mache kein Online-Banking. Die Bank, meine Bank, hat auch Überweisungsautomaten. Die finde ich eigentlich praktisch.
Denn damit kann ich begründen, warum ich nicht nach jedem Kauf im Netz sofort bezahle, sondern wenigstens noch die paar hundert Meter zum nächsten Automaten gehe. Dieser Gang hat auf mich eine disziplinierende Wirkung. Denn bei Paypal und beim Online Banking drückt man einfach auf den Knopf, und weg ist das Geld. Beim Kauf denke ich jedes Mal nicht nur, brauche ich das jetzt? Sondern auch: Brauche ich das so, dass ich mich auch noch vom Sofa erhebe, durch den Regen einer Altstadt gehe, die vielleicht nicht schmutzig, aber kalt und regnerisch ist, und mich an den Überweisungsautomaten stelle, um die elend lange IBAN in die Stahltastatur zu tippen? Das ist wie bei einer gefährlichen Einrichtung so eine Art zweite Sicherung, die erst einmal überwunden werden muss, und oft genug danke ich mir: Da kommt nach dem Kauf sofort eine drängelnde Mail mit Zahlungsaufforderung, mein Pflichtgefühl treibt mich dann in die Nacht, und wer weiss, was für Leute dann wieder in der Bankhalle herum lungern, Samstag um 23.40 Uhr sind da wirklich schräge Gestalten unter Alkohol… so nötig habe ich es doch nicht.
Kurz, die Überweisungsmaschine hat wenigstens noch etwas vom Kassenschalter, den jeder noch kennt, der grössere Summen in bar will, und hinter dem einen ein älterer Herr über eine randlose Brille anschaut und stumm fragt: Wollen Sie das wirklich und dann das Geld sinnlos verprassen? Sollen Sie es lieber nicht in unseren bewährten Händen lassen? Es ist nicht wirklich angenehm, und das ist auch gut so, denn man merkt, dass hier nicht nur ein Knopf gedrückt, sondern tatsächlich eine Geldleistung erbracht wird. Das macht vermutlich den Erfolg dieser Automaten bei älteren Semestern aus. Rechts zieht die Jugend das Bargeld aus den Automaten, links begleicht meine Generation die fälligen Pflichten. Manche denken, sie werden ohnehin durch Bitcoin reich, andere haben zu hören bekommen, dass man nur durch Geld behalten und nicht Geld ausgeben reich wird. Ist das Verprassen nicht komplett angenehm, rattert einen ein unfreundlicher Belegdrucker an, stehen nebenan sieben Jugendliche mit Wegbier, fragt man sich, ob man das nächste pastorale Idyll auch noch erwerben will.
So machte es bislang jeder nach seinen Wünschen, und auch Leute, die ihr ganzes Leben lang Überweisungsträger vom Falschparken bis zum Hausbau ausgefüllt haben, wurden vorsichtig an eine halbdigitale Variante heran geführt. Das ist jetzt allerdings vorbei, denn erstens gibt meine Bank nur noch kostenpflichtig und merkbar widerwillig Überweisungsträger aus, so dass ich schon gefragt wurde, ob ich die nicht auch scannen und erneut ausdrucken könnte. Und zweitens werden die Überweisungsautomaten ersatzlos abgeschafft. Zuerst die alten Automaten, denen die Tastaturen mit Stahldeckeln verschlossen werden. Ab Mitte Februar dann auch ein brandneuer Automat, der erst seit einem Jahr in einer neuen Filiale steht. Die Leute regen sich auf, denn es gibt Bedarf: Die Bank ist dagegen uneinsichtig. Die Maschinen seien alt, man wollte diese Technik nicht mehr, der ´Kunde möge sich am Schalter über Alternativen der Onlineüberweisung informieren.
Anders gesagt, die Bank schafft den halbdigitalen Zugang ab, und bietet eine digitale Lösung für alle. Man kann der Bank natürlich noch auf die Nerven gehen und Überweisungen am Privatkundenschalter ausfüllen lassen. Also, ich kann das zumindest machen, ab einem gewissen Vermögen wird man nicht mehr zu Onlinediensten gezwungen, da ist man bekannt, und auch schräge Marotten werden noch bedient. Aber so generell sagt mein Bestandsschutz nichts über die Realität aus, in der es eben nur noch einen Zugang für die meisten Menschen gibt. Und der Rest, die Digitalverweigerer, die keinen Netzzugang und Rechner haben, die müssen sich eben anpassen oder für jeden Vordruck zahlen oder sterben oder schauen, ob sie Alternativen finden, haha, kleiner Scherz am Rande, nein, ernsthaft, alle Banken müssen sparen, die Boni für die Spitzenkräfte gibt es nicht umsonst, da muss eben jeder mit Opfern rechnen.
Und dabei bleibt es nicht. In Bayern hätte man beinahe das Programm Bayern 4 Klassik ins Digitalradio verbannt, in dem kaum ältere Hörer sind, also quasi zum Sterben – das konnte noch verhindert werden. Wie bekommen eigentlich ältere Menschen ohne Internet einen Termin in den Städten, wenn Termine nur online vergeben werden? Das sind alles so Fragen, die mir von den Älteren gestellt werden, weil die Antwort von allen Einrichtungen schon heute ist, man möge sich doch bitte anpassen und alles im Netz machen. Analoge Alternativen sind nicht mehr vorgesehen, und reihum geht die Befürchtung, dass es demnächst auch mit dem Geld so sein könnte: Denn Geld verursacht auch Kosten, und es gibt genug staatliches Überwachungsinteresse. Digitales Zahlen ist angeblich so viel bequemer. Für Leute wie mich, die ohnehin dazu übergehen, ihre Käufe in möglichst engen geographischen Räumen zu tätigen, weil man eben bar bezahlen kann, ist das eine weitere hässliche Vorstellung. Versprochen waren Alternativen des Fortschritts, keine Diktatur des Digitalen und des Staates, wie man was zu tun hat. Das Digitale sollte sich nützlich machen, und nicht das, was viele als nützlich betrachten, alternativlos verdrängen.
Natürlich ist es nicht in allen Bereichen so. In Italien gibt es Supermärkte, die seit Jahren vergeblich versuchen, die Kunden zum
enutzen von elektronischen Kassen zu zwingen – einfach, damit die Käufer-Kassierer-Maschine-Schnittstelle ersetzt werden kann. Da steht dann zwischen zwei digitalen Kassen eine hektische, unfreundliche, die Leute instruierende Aufpasserin, und die langen Schlangen bleiben weiterhin bei den normalen Kassen. In einigen wichtigen Kunstdenkmälern führt der Versuch einer erzwungenen Online-Vorbestellung dazu, dass in den Nebensaisonen viele auf eine Buchung verzichten, und theoretisch vorgesehene Zeitkontingente und ihre Überwachung angesichts der Kunstwerke gar nicht eingehalten werden müssen. Da entsteht ein Markt und Konkurrenz, speziell, weil analoges Publikum nicht zwangsweise arm sein muss und es sich gerne etwas kosten lässt, wenn man keine aufgerufene Nummer ist. Wäre es anders, gäbe es bei uns keine sorgsam gekleideten Dirndlträgerinnen in Cafes und Restaurants, die zwar mit einem Digitalsystem die Bestellung in die Küche schicken, aber ansonsten höchst zuvorkommend und menschlich auftreten. Es gibt keinen rationalen Grund, warum man eine Frau in die Küche rennen nd eine schnell hingeschmierte Bestellung ablegen lassen sollte, und es hilft, wenn sie rechtzeitig weiss, wann die Teller zu holen sind. Die Kundschaft ist bereit, die verbleibende Leistung, das freundliche Lächeln, auch finanziell zu honorieren. Analoges lohnt sich durchaus.
Nur denken jetzt Institutionen, an denen man leider nicht vorbei kommt, man könnte sich das auch noch sparen, und allen einen einzigen Digitalzwang aufdrücken. Weil es auch alle machen. Ich frage mich dann, was mein Vorteil als Kunde ist, wenn meine echte Bank wie eine x-beliebige Onlinebank behandelt werden will, die zur Gewinnmaximierung auf Geschäftsstellen verzichtet. Am Überweisungsautomaten lese ich die Bankverbindungen, und mein Eindruck ist, dass die dominierenden Sparkassen und Raiffeisenbanken schon viele Kunden verloren haben. Als Kind bekam man ein analoges Sparschwein und ein analoges Knax-Heft von den Sparkassen. Die nächste Generation kennt Banken dann nur noch als austauschbare Apps auf den Smartphones. Vielleicht wollen sie es auch so, aber der Ärger über die Zwangsdigitalisierung in meiner Heimatstadt scheint mir ein nicht ganz dezenter Hinweis zu sein, dass das Digitale nicht als Verheißung, sondern auch als Unterdrückung gesehen wird, wenn es keine anderen Optionen mehr gibt.