Die Zeiten der politisch korrekten Morddrohung sind offensichtlich auch für Linke vorbei. Zwei herausragende Beispiele, deren Gegenstand ich wegen meiner Tätigkeit wurde, geizten nicht mit linken, popkulturellen Anspielungen. Die eine wollte mich wie Hanns-Martin Schleyer in einem Kofferraum sehen, ermordet durch die RAF. Eine andere wünschte sich, ich würde Opfer einer Hinrichtung wie im Film Inglorious Basterds von Quentin Tarantino. Nur die erste Drohung entspricht heute noch der linksextremen Vorstellungswelt, für die zweite könnte der Verfasser inzwischen auch in seinen eigenen Kreisen Ärger bekommen: Denn seitdem sich Uma Thurman darüber beschwerte, wie brutal Tarantino zu ihr gewesen sein soll, als er aus dem schon wieder halb vergessenen Star der “Gefährlichen Liebschaften” mit “Pulp Fiction” und “Kill Bill” eine Ikone der weiblichen Durchsetzungsfähigkeit und eine erneut gefragte Actrice machte – seitdem ist auch die Jagd auf Quentin Tarantino und sein Werk eröffnet. Ich wette keine kleine Summe, dass bald andere der New York Times dringend erzählen wollen, wie gemein er zu ihnen war, denn die MeToo-Kampagne braucht frische Opfer.
Nun ist mein Leben – wie das der meisten Bundesbürger – zum Glück in der Realität unendlich fern der Gewaltorgien von Tarantino, die ich, das muss ich zugeben, auch kaum kenne, weil ich keinen Fernseher habe. Ich war einmal gezwungen, mir “Pulp Fiction” anzuschauen, und mochte es nicht sonderlich. Auch die Zeit der RAF ist weitgehend vorbei, ihre Verharmlosung kenne ich nur noch aus dem Internet, aber nicht aus dem realen Leben. Ähnlich ist es mit sexueller Gewalt und Übergriffen: Das habe ich schon mal aus dem Fenster meiner Wohnung gesehen und die Polizei gerufen, die dann auch schnell da war und einen Kerl mitgenommen hat. Ansonsten sind Gewalt, “sexualisierte Gewalt” und Sexismus in der Form, die eine Mehrheit der Gesellschaft als solche erkennen würde, angesichts der bürgerlichen Konventionen relativ selten bis nicht existent. Es gibt zwar gewisse Artefakte vergangener Kulturen, die mit den heutigen Vorstellungen nicht mehr vereinbar wären.
Aber die Betrachtung von ins Kloster gesperrter junger Damen, die sicher schon 200 Jahre tot sind, macht einen noch nicht zum Befürworter von arrangierten Hochzeiten. Oder zum Freund einer alten Gouvernanten-Prüderie, die solche Verhüllung erzwang, und früher ähnlich wie das neofeministische Klischee vom Mann als Wüstling und der Frau als Dulderin klang, das jüngst auch bei einer pauschalen Aussage der ARD-Journalistin Anja Reschke durchschimmerte.
Liebe Männer, die sich hier echauffieren. Jetzt stellt euch nicht so an. Ihr wisst doch ganz genau, wo die Grenze ist. Wenn eine Frau nicht zurück flirtet, will sie nicht. Ganz einfach. Das haben Generationen vor euch auch hingekriegt. #hartaberfair
— Anja Reschke (@AnjaReschke1) February 5, 2018
Ich wüsste nicht, wo ich mich “so anstelle”. Ich bin etwas älter und kann mich nicht wirklich daran erinnern, beim ersten zarten Wort gleich eine Frau auf dem Schoss gehabt zu haben. Es gibt ein durchaus kunstvolles Spiel des verbalen Abtastens, und viele, sehr viele Frauen erzählen mir, der X. hätte sie angesprochen und sie hätten sich wie die letzte Trotteline verhalten und keinen Ton heraus gekriegt, nur spitze Bemerkungen, und die lägen nun auf dem Weg zur erschwerten Wiedervereinigung und warum zum Teufel hat der nach 48 Stunden nicht wenigstens angerufen und versichert, dass es sehr schön war und er sie toll fand, obwohl sie abweisend waren? Die Welt dieser Beziehungen ist nach meiner bescheidenen Meinung zu komplex für 280 Zeichen kampagnenkonformer Verhaltensanweisung, selbst wenn sie im Kontext mit dieser Debatte im TV zu sehen ist. Ich habe kein TV-Gerät, ich lese das, was gesprochen wurde, beim Kollegen Lübberding nach, bevor ich mich wieder meinen Büchern hinter pastoralen Porzellanfiguren zuwende.
Oder mich im Netz über hochwertige Tonmöbel informiere. Dazu habe ich gestern Nacht bei Google und indirekt bei Ebay über Marken wie Düvel, Naim, Atoll und Opera Audio recherchiert, und ich tat es ausnahmsweise mit ausgeschaltetem Trackerblocker – das sind diese Browserhelfer, die ein Ausspionieren meiner Wege durch das Netz verhindern. Heute morgen war der Blocker immer noch aus, und deshalb habe ich bei der FAZ auch Ebay-Werbung zu sehen bekommen, die ansonsten nicht ausgeliefert wird. Die eine Hälfte der Anzeigen zeigt sinnlos meine Interessen des gestrigen Tages. Die andere Hälfte ist offensichtlich mit dem Sex- bzw. Sexismusthema der besprochenen TV-Debatte verbunden. Der Algorithmus hat mir auf den Bildschirm die Angebote geschaufelt, die er dafür passend fand.
Ich kann Ihnen versichern, in meiner Lebensrealität wird einem nur äußerst, äußerst selten auf Gesichtshöhe die weibliche Anatomie dergestalt entgegen gestreckt. Das tut man einfach nicht. Auch die anderen Nichtaudioprodukte entsprechen in kleinster Weise dem bei uns üblichen Kleidungsübereinkommen zwischen Mann und Frau und Frauen untereinander. Außerdem wäre ich sicher der Letzte, der so etwas kaufen würde.
Der Algorithmus ist fraglos dumm, er versteht weder den Text noch die Haltung der Klickenden, und obendrein gibt es bei Ebay vermutlich wirklich mehr Interessentinnen für knallenge Wabennetzüberzüge denn für all die Bücher, die zum Thema sexueller Belästigung und 3.-Welle-Feminismus geschrieben werden. Es ist das spezifische Kaufverhalten der Frauen, das zum Angebot und zur Werbung für solche Kleidung im Netz führt, und es spiegelt den Umstand wider, dass Spitzenunterwäsche und Galanteriewaren auch heute noch bei der breiten Mehrheit mehr Zuspruch als feministische Pornos, Gleichstellungsberichte und Bücher über die “100 besten queer-transidenten Flirtratschläge ohne Genderassumung” finden. Was Frauen wollen und was Feministinnen denken, dass Frauen wollen sollten, ist nicht ganz deckungsgleich, und wie man sieht: Der Markt sagt etwas ganz anderes als Talkshows im Fernsehen. Wenn das Fernsehen recht hätte, würden sich die Werbenden anpassen oder pleite gehen, was mich im Falle der Wabennetzleggins noch nicht einmal stören würde. Die Konsumrealität der einen ist nun mal die Rape Culture der anderen.
Besonders ist sie das bei Spiegel Online, wo jede Woche 5 Kolumnisten für sozialen Fortschritt aus ihrer Sicht schreiben, und zusammen mit anderen die Fortführung der MeToo-Kampagne betreiben. Das gleiche, von einer Frau geleitete Medium beschäftigt nicht nur Frauen, die mit pauschalen Verdächtigungen gegen Männer auffallen, sondern auch eine Autorin für das Dschungelcamp. Beim Ebay-Algorithmus kann man die sexistische Lieferung noch auf die Technik schieben, bei Anja Rützel ist es sicher kein Zufall, wenn das Unwort “Kopulationsverhandlungen” geprägt wird.
Weil angeblich Leute, denen es langweilig wird, halt “antomisch” werden. Darunter ein Bild von gut erkennbaren, knapp bekleideten C-Promis im Wasser. In meiner Welt fragt man sich, welches Menschenbild Spiegel Online jenseits ihrer feministischen Kampagnen sonst so hat: Es ist jedenfalls nichts, was man in meiner Welt in dieser Form ohne Sanktionen sagen oder über Dritte annehmen könnte. Aber im Netz ist das alles gleichzeitig möglich, die pauschale Verdächtigung gegen Männer und die Reduktion von Sex auf Kopulation als Gegenstand von Absprachen. Weil Menschen das halt so tun, wenn ihnen langweilig ist, zumindest bei Spiegel Online. Da gibt es natürlich keinen Aufschrei, so darf man auch in der Post-Weinstein-Wedel-Zeit schreiben, wenn es mit viel nackter Haut nur die nötigen Klicks gibt. Oder haben Frau Stokowski und Frau Berg schon gekündigt, weil sie mit solchen Inhalten nicht in Verbindung gebracht werden wollen? Schämt sich Jakob Augstein nicht, dass seine Erlöse aus dem Spiegel-Verlag mit solchen Aussagen bestritten werden? Wer bestimmt, dass die Entwürdigung der einen Schauspieler eine Damnatio Memoriae nach sich zieht, und die Entwürdigung der anderen Schauspieler einen bösen Lacher?
Der kollektive, sich Bahn brechende Hass gegen Quentin Tarantino (alter, weißer Mann), der die junge, zerbrechliche Frau Thurman beinahe auf dem Gewissen gehabt hätte, und der sich obendrein zu Beginn der Affaire nicht genug von Harvey Weinstein distanzierte, ist natürlich einfacher als die Festlegung, welche Form der Entmenschlichung und Degradierung legitim ist, und welche nicht. Für das Lager der sog. “Guten” beginnt die Grenze bei einer nicht erwiderten Annäherung, wie immer man das auch beurteilen will. Für die Verlage der gleichen “Guten” ist es aber auch völlig in Ordnung, eine auf Erniedrigung aufgebaute Sendung mit zusätzlich erniedrigenden Begriffen zu begleiten, oder in einer anderen Kampagne mit der überführten Täterin Gina Lisa zu stehen, ohne anderen auch nur das Recht einzuräumen, ihre Sicht der Ereignisse zu schildern. Diese argumentativen Brüche müssen mit neuen Fällen für die Empörung überdeckt werden. Dass inzwischen auch Hillary Clinton für eine mögliche, 10 Jahre alte Fehlentscheidung in ihrem Wahlkampfteam von 2008 kritisiert wird, ist da nur folgerichtig. Nur die Reinsten der Reinen haben immer alles richtig gemacht, weshalb die anonymen Helfer der “Guten” jetzt also besser aufpassen sollten, wie sie im Netz drohen: Tarantino sollte man jetzt besser schlecht finden, wenn man nicht auch noch in Verdacht geraten will. Das geht ganz schnell heutzutage, automatisch wie ein Algorithmus von Ebay und rücksichtslos wie der Hohn über Teilnehmer am Dschungelcamp.
Danach dann wieder eine Talkshow, ab wann welche Anmache schon sexualisierte Gewalt ist, für die man wenigstens seine bürgerliche Existenz verlieren sollte, wenn es dagegen schon keine Gesetze gibt.