Ich wurde das Opfer einer sexuellen Belästigung.
Und zwar ohne es zu wissen. Das ist schon ein paar Jahre her, aber trotzdem wende ich mich jetzt damit an die Öffentlichkeit. Bei der Täterin handelt es sich um eine junge Frau, die mein Blog hier las und nach einigen Mails fragte, ob wir uns vielleicht einmal treffen wollten, um miteinander auszugehen, sie wäre demnächst in Bayern. Der Zeitpunkt war extrem ungünstig, ich musste nach Italien, also sagte ich, wie man das so macht, leider Nein. Zwei Monate später kam sie erneut durch Bayern und fragte, ob ich diesmal vielleicht Lust hätte, sie zu treffen.
Ich hatte Zeit und sagte zu, wir trafen uns, und es war sehr angenehm. Ich lernte eine junge, schöne, kluge Frau kennen, die sich gewählt ausdrücken konnte und von einem reizenden Charme war.
Trotzdem hat sie mich sexuell belästigt, aber nicht etwa, weil sie mir dann unter dem Tisch ans Knie gefasst hätte, sondern weil ich beim ersten Versuch eines Treffens Nein gesagt habe, und sie es dann noch einmal versuchte. Jetzt werden Sie vielleicht sagen, ich hätte nicht mehr alle Nymphenburgtassen in der Rokokovitrine und es sei doch keine sexuelle Belästigung, noch mal nachzufragen. Sie täuschen sich. Das allein ist schon sexuelle Belästigung. Zumindest an der Universität Harvard, wo man bei einer Untersuchung entdeckte, dass fast jede zweite Frau schon einmal während des Studiums Opfer einer Übergriffs wurde. Das ist für die Ivy League der US-Universität eine extrem hohe Zahl – und eben nur möglich, weil eine zweite Frage um ein gemeinsames Ausgehen nach einer ersten Absage als sexueller Übergriff gilt. Manche MeToo-Aktivistinnen behaupten, es ginge ihnen gar nicht um das normale Verhalten zwischen Männern und Frauen – aber sie argumentieren dann mit solchen “Untersuchungen”, deren Definition von Sexualität in dieser Form allenfalls noch in islamischen Kalifaten geteilt wird.
Es sind diese kleinen Nachrichten, die einen Eindruck vom grossen Kulturkampf geben, der da momentan ausgetragen wird. Vor zwei Monaten etwa schwappte die Diskussion über das Missbrauchsverhalten der Filmindustrie auch in den Bereich der Hochkultur. Ein prominentes Opfer mehrfacher Anschuldigungen ehemaliger Kollegen, die sich offensichtlich zu diesem Angriff zusammen getan hatten, war Peter Martins, der Leiter des New York City Ballet and der School of American Ballet. Die New York Times hatte eine ganze Liste von Verfehlungen: Martins sollte für Sex bessere Engagements geboten haben, Sex ohne Einverständnis erzwungen haben, und ganz allgemein Tänzer und andere Angestellte massiv unter Druck gesetzt und beleidigt haben. Martins zog sich nach den Vorwürfen zurück und beteuerte seine Unschuld. 2 Monate haben die Institutionen die Vorwürfe der Times untersuchen lassen, und das Ergebnis ist: Kein einziger Vorwurf konnte erhärtet werden,
if you don’t like someone, just accuse them and ruin their life. There must be a better way. Abuse Accusations Against Peter Martins Are Not Corroborated, Inquiry Says via @NYTimes https://t.co/TT8xUuglYC
— DAVID COHEN (@davidcohen7994) February 16, 2018
Bezeichnenderweise ist der Freispruch für Martins, ganz im Gegensatz zu den Anschuldigungen, die weltweit verbreitet wurden, in den gleichen Medien allenfalls eine typische, kleine Meldung auf den hinteren Seiten ohne jede Relevanz. Und wenn eine Zeitung wie die New York Times derartig massive Vorwürfe durch eine ganze Reihe von angeblichen Zeugen vorstellt, damit eine erdrückende Beweislast wie im Fall Harvey Weinstein suggeriert, und am Ende bleibt nach einer unabhängigen Untersuchung nichts von diesen Vorwürfen übrig – dann wäre es auch einmal eine gute Gelegenheit zu fragen, ob sich nicht auch Schwergewichte wie die New York Times im MeToo-Taumel bei der Jagd nach immer neuen, spektakulären Missbrauchsgeschichten für gezielten Rufmord haben benutzen lassen. Man hat Martins Karriere beendet und ihn dem MeToo-Mob vorgeworfen – eine Entschuldigung sucht man vergeblich.
Die New York Times hat statt dessen ganz andere Probleme bekommen, und die zeigen exemplarisch, wie schwierig es selbst für so ein Medium heute ist, die lange selbst gefütterten, digitalen Aufschreifreunde zufrieden zu stellen. Ein Anlass war die Einstellung der Technikjournalistin Quinn Norton. Theoretisch ist Norton über jeden Verdacht erhaben: Sie arbeitete und kämpfte lange mit dem legendären Internetaktivisten Aaron Swartz zusammen für ein besseres und gerechteres Internet. Und im Herbst letzten Jahres machte sie ihre Erfahrungen mit dem sog. „Tech Evangelist“ Robert Scoble öffentlich, der lange Zeit als Inbegriff einer neuen Schule der Firmenkommunikation galt: Offen, authentisch und nicht ohne Kritik gegenüber dem eigenen Arbeitgeber. Laut Quinn hat Scoble sie im Rahmen einer Konferenz anfangs des Jahrzehnts unter Alkoholeinfluss sexuell belästigt und begrabscht. Quinn, die nach eigenen Angaben selbst bereits vergewaltigt wurde, stellt im Rahmen der MeToo-Debatte klar, dass Scobles Verhalten ein offenes Geheimnis innerhalb der Internetszene war, und sorgte damit für die eigentlich gewünschte Debatte. Scoble reagierte erratisch und veröffentlichte zuerst eine Entschuldigung, die er nach weiteren Vorwürfen wieder zurück zog. Trotzdem hatte damit auch diese Szene ihren eigenen, prominenten Fall. Und Quinn Norton verkündete dann letzte Woche ihren neuesten Coup bei Patreon: Sie werde fest angestellte Technologie-Autorin im Editorialressort der New York Times, das sie trotz ihrer Eigenheiten unbedingt haben wollte
Also, I tried to imply, strongly, I’m kind of weird. As I interviewed with Katie, then James, they made it clear that they weren’t going to get put off by a little weird. As for how weird, well that’s for them to discover.
Danach ging sie dem Vernehmen nach ins Kino. Eine MeToo-Aufklärerin und Journalistin mit klarer Expertise wechselt zur New York Times, was kann da schon schief gehen?
Sechs Stunden später war das alles nur noch Makulatur, und die New York Times trennte sich von ihrer neuen Autorin. Denn Quinn Norton war dem Mob, der sich gegen sie formierte, trotz ihrer Vorgeschichte als Aktivistin und MeToo-Betroffene nicht linientreu genug. Vor Jahren hatte sie in erhitzten Twitterdebatten ein paar Mal mittelschlimme Schimpfwörter für Minderheiten verwendet, und mehrfach ihre kritische und politisch distanzierte Freundschaft mit umstrittenen Personen auch aus dem rechtsextremen Spektrum verteidigt – darunter ist auch der Troll “weev”, bekannt unter anderem auch durch seine Beziehung zur Feministin Shanley Kane. Außerdem schrieb Norton positiv über John Rabe, ein Mitglied der NSDAP, der beim Einmarsch japanischer Truppen in Nanjing 1937 vermutlich mehreren hunderttausend Chinesen das Leben rettete, und in Deutschland wegen seiner Kritik an Japan von der Gestapo verhaftet wurde. Die Bekanntschaft mit einem Rechtsextremisten, ein paar steinalte Streitereien im Netz und die Bezugnahme auf eine ambivalente Figur der Geschichte reichte manchen Internetdenunzianten schon aus, Norton als “Nazi-Sympathisantin” zu brandmarken. Entsprechend gross war dann die Schadenfreude in diesem Lager, als die Times vor den Empörten einknickte und sich von Norton wieder trennte.
I cannot express how relieved I am that where I live now, social media is not in a position to deny me healthcare.
— Well that was fun. (@quinnnorton) February 14, 2018
Die Solidarität mit Opfern, von der bei MeToo so viel gesprochen wird, gilt nichts, wenn die Opfer die falschen politischen Ansichten haben – dann gibt es keine Gnade. Eine ganz ähnliche Gruppe rottete sich vor den digitalen Toren der Times schon kurz davor zusammen: Diesmal ging es aber mehr um die Begleichung alter Rechnungen für die judenfeindliche Hijab-Feministin Linda Sarsour, an deren Auftritten sich die amerikanische Frauenbewegung spaltete. Die jüdischstämmige Times-Redakteurin Bari Weiss hatte die japanischstämmige US-Eiskunstläuferin Miral Nagasu erkennbar in Ablehnung der neuen Fremdenfeindlichkeit der Trump-Administration mit den Worten gefeiert: “”Immigrants: we get the job done”. Der Umstand, dass Nagasu in den USA geboren wurde, also Amerikanerin ist, und nur ihre Eltern tatsächlich Einwanderer sind, löste eine immense Serie von Angriffen auf Weiss aus. Weiss hatte sich zur Zielscheibe gemacht, weil sie zwei wichtige Beiträge gegen den linken Konsens geschrieben hatte: einmal gegen Linda Sarsour und einmal zur Unterstützung des indischstämmigen Komiker Aziz Ansari. Ansari wurde auf einer Trashseite im Rahmen der MeToo-Kampagne ein Verhalten vorgeworfen wurde, das nur harte Feministinnen der 3. Welle, aber kein Gericht der USA für einen sexuellen Übergriff halten würde. Mit ihrem Spruch über Nagasu bot Weiss ihren Gegnern endlich eine Gelegenheit, ihr eine negative Intention zu unterstellen: Ein gefundenes Fressen für den islamfreundlichen Teil der Bewegung, der Weiss ihre offenen Sympathien für Israel nicht verziehen hat.
Do you need another sign of civilization's end? Here's one: I tweeted "Immigrants: we get the job done" with a video of Mirai Nagasu's triple axel. The line is a Hamilton reference. I know she was born in Cali. Her parents are immigrants. I was celebrating her and them. (1/2)
— Bari Weiss (@bariweiss) February 12, 2018
In diesem Fall blieb die Times aber hart und stellte sich nicht gegen die Autorin. Andere Gehässigkeiten im Netz gehen im Rahmen des Kulturkampfes dagegen nicht so gut aus: Kurz zuvor hatte sich Jill Messick das Leben genommen, die 1997 Managerin von Rose McGowan war, als Letztere nach eigenen Aussagen von Harvey Weinstein vergewaltigt wurde. Messick litt schon unter Depressionen, als sie von beiden Seiten in den Skandal gezogen wurde, und ihre Familie macht nicht nur Weinstein, sondern auch McGowan und die allgemeine Mentalität des Beschuldigens im Internets für den Tod mit verantwortlich.
Donald Trump dagegen hat offensichtlich auch seine mit einer Schweigeverpflichtung beendete Beziehung zu einem Pornostar nicht weiter geschadet. Von so einer Unverwundbarkeit im eigenen Lager können Harvard-Studenten, anonym beschuldigte Schauspieler und Tänzer und Journalistinnen, die nicht genau das schreiben, was dem linken Lager in den Kram passt, nur träumen.