Mit dem Herbst kommt nicht nur die Buchmesse nach Frankfurt, sondern auch der Nebel. Man wacht morgens auf und sieht nur noch drei Häuser weit. Und auch nach oben hin verschluckt er alles, und als erstes verschwinden die Vorstandsetagen der Banktürme. Ich kann die Stadt gut verstehen. Wenn ich Frankfurt wäre, ich vernebelte das Elend auch in einer weißen, undurchdringlichen Suppe.
Wenn alles rennet, rettet, flüchtet, wenn der Katastrophenticker im Minutentakt Hiobsbotschaften ausspuckt, fragt man sich schon, ob sich eigentlich noch jemand für die Buchmesse interessiert. Ob noch einer Literaturbeilagen liest. Ob sich überhaupt noch jemand auf etwas anderes konzentrieren kann als auf die Weltuntergangsstimmung, die von einer stetig fallenden Kurve ausgeht.
Auf dem Bullen und dem Bären vor der Börse reiten wie immer die Kinder asiatischer Touristen und lassen sich von ihren Eltern dabei fotografieren. Neu sind die fünf Kamerateams, die um sie herumstehen. Später wird der Sprecher etwas vom asiatischen Markt erzählen und vom Nikkei, dem es auch nicht richtig gut geht. Wenn die Kinder wüßten, was sie da gerade symbolisieren.
Ein wenig gehetzt wirkt der freundliche Herr vom türkischen Außenministerium. Er stellt gerade das Besuchsprogramm für die Gattin des Staatspräsidenten zusammen und läuft nun die Stadt ab. Immerhin einer, der mit der Buchmesse zu tun hat, wenn auch nicht mit Büchern, sondern mit dem staatstragenden Gastlandhintergrund. Die Dame möchte ins Museum, und das will organisiert sein. Er telefoniert und notiert und fragt sich durch. She ist very eager to learn, sagt er und muß auch schon wieder weiter.
Die Sonne hätte heute herauskommen sollen, stattdessen weicht der Nebel nicht. Hängt bräsig zwischen den Banktürmen, hüllt den Japantower ein und den Maintower und schneidet die Europäische Zentralbank in der Mitte ab. Da oben könnte jetzt sonstwas passieren, man würde es nicht sehen.
Interessant: Ein...
Interessant: Ein Besuchsprogramm für die Gattin des Staatspräsidenten. Ich hätte ja spontan einen Besuch auf der Buchmesse vorgeschlagen. Aber da hätte ich mich wohl unbeliebt gemacht.
Nö, wahrscheinlich nicht. In...
Nö, wahrscheinlich nicht. In der Hinsicht ist auch diese Buchmesse rettungslos verloren. Schließlich geht es da um Bücher verkaufen, nicht etwa lesen.
Wär auch nicht gut, wenn die Leute zu gut orientiert sind. Unter Umständen lesen sie dann weniger Belletristik. Und das wollen wir ja alle nicht.
Jordanus: Langfristig stimmt...
Jordanus: Langfristig stimmt das wohl. Aber ob das jetzt dieser Buchmesse hilft?
Gerade jetzt könnte das...
Gerade jetzt könnte das Bedürfnis nach Orientierung steigen. Wer sich verrechnet hat, fragt sich vielleicht jetzt, was wirklich zählt. Und da sind Erzählungen gefragt, große oder auch kleine.
am Literaturbetrieb...
am Literaturbetrieb vorbei
entfernt sich versehentlich
ein Lämmchen
von den Augenblicken der frischen
Sprünge und vom Raben auf dem Rücken
des Muttertiers der ihm einen
Knäuel Wolle
entreisst
für den Nestbau
aussichtslos das Einklagen des Mundraubs
das Weh des Lämmchens ausser Rufweite
überhörbar der Herbst der Messe
Alfons Lenherr