Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Turkish Delight

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Kurz nach neun klingelt schon das Mobiltelefon. Ich bin trotz zweier Tassen Kaffee noch kaum bei Bewußtsein, muss aber in fünf Minuten aus dem Haus, denn man...

Kurz nach neun klingelt schon das Mobiltelefon. Ich bin trotz zweier Tassen Kaffee noch kaum bei Bewußtsein, muss aber in fünf Minuten aus dem Haus, denn man erwartet mich. Am Telefon ist der Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums, der mir nochmal mitteilt, dass man mich erwartet.

Eine halbe Stunde später bin ich beim Museum, und an der Hauptwache steht schon das Polizeiaufgebot bereit. Schwer gepanzerte Jungs sprechen in schwarze Kästchen oder stehen um Polizeiautos herum. Währenddessen letzte Fragen: Wie spreche ich die Gattin des türkischen Staatspräsidenten an? Your Excellency. Und die Gattin des Kultusministers? Mit Namen. Welchen Weg nehmen die Damen? Darf der Journalist dabeisein?

Wir stehen alle lächelnd bereit, als die schwarzen Staatskarossen in die schmale Straße rollen. Die Begrüßung ist formell mit Dolmetscherin, dahinter ein Wall aus Herren in schwarzen Anzügen und roten Plastikschildchen, das ist die Delegation. Dann soll Mrs. Diener übernehmen.

Mrs. Diener hat keine Ahnung, was sie der türkischen Staatspräsidentengattin über Goethes Geburtshaus erzählen soll. Mrs. Diener hat sich das auch vorher nicht überlegt, das macht einen nur nervös. Also beginnt sie einfach in der Küche und erzählt etwas über den Kaffee und die damit verbundene Frühstückskultur, das ist eine sichere Bank. Denn erstens kam der Kaffee über die Türkei nach Europa und hat damit eine direkte Verbindung zur Heimat der Damen, zweitens kennt Mrs. Diener sich damit halbwegs aus.

Und das funktioniert. Der Kaffee, die Klöppelspitze, das nichtvorhandene Bad, die Chinoiserien, die Bibliothek: Die Damen sind alle höchst interessiert und stellen Frage um Frage. War Goethe jemals in der Türkei? Was wußte man damals darüber? War er verheiratet, hatte er Kinder?

Und dann sind wir doch mittendrin. Der Wall aus Herren in schwarzen Anzügen verzieht sich vornehm in den Hintergrund und schaut sich um. Die zwei Damen und ihre Dolmetscherinnen diskutieren halb auf englisch, halb auf türkisch, wollen die Geschichten der Mutter, der Schwester hören, wollen mehr erfahren über Anna Amalia, über Christiane von Vulpius, über Marianne von Willemer.

„Warum wurde verheimlicht, dass Marianne die Verse der Suleika im West-Östlichen Diwan verfasst hat? Weil sie als Frau nicht anerkannt worden wäre?“
„Ja.“
„Typisch! Genau wie heute“, seufzen die Damen und verdrehen die Augen.

Nur, dass wir heute mehr über die Türkei wissen.

„All die Herren auf den Gemälden mit den Turbanen und den Bärten, das sind Stereotype, nicht?“, fragt her Excellency.

„Ja“, antworten wir, „das sind sie“.

Zum Abschied werden Geschenke überreicht. Mrs. Diener bekommt eine große Schachtel Süßigkeiten, Turkish Delight steht darauf. Der Hersteller heißt Divan. Es paßt wieder alles so gut zusammen.


1 Lesermeinung

  1. Merzmensch sagt:

    Das ist immer erfreulich, wenn...
    Das ist immer erfreulich, wenn man die Stereotypen des Eigenen in fremden Ländern entdeckt. Ich denke, die Damen waren wirklich delightet diesbezüglich.

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