Ich habe heute den schlechtesten Kaffee der Messe gefunden. Man bekommt ihn draußen im Innenhof an einer Bretterbude, die in Brot einmontierte Würste mit Geschmackspartikeln drumherum verkauft, was an sich ja schon eine einigermaßen groteske Spielart der Ernährung darstellt.
An die Würste habe ich mich nicht herangetraut, aber ich wollte einen Kaffee trinken, und zwar draußen in der Sonne im Sitzen. Das bekam ich auch alles, aber der Kaffee war wirklich spektakulär schlecht. So schlecht, dass das Qualitätsdefizit weit über den Begriff der „Plörre“ hinausragt, denn die bezeichnet etwas eher passiv labberiges. Dieser Kaffee hingegen war scheuermittelkratzig säureaggressiv.
Meine Magenschleimhaut machte einige hilflose Ausweichbewegungen, konnte jedoch nicht umhin, das Zeug widerwillig gluckernd in sich aufzunehmen. Ich konnte auch nicht umhin, das Zeug zu trinken, denn ich war an einem eindeutig toten Punkt angelangt.
Der aktuelle Verfassungsbericht nach dem dritten Messetag: Die Beine werden schwer und die Konzentration sackt mitunter einfach weg. Das Hirn wird taub, ein Auge tränt ab und an grundlos vor sich hin. Dafür noch kein Messeschnupfen, und das ist viel wert, denn wenn es auf das Wochenende zugeht und der Besucherandrang steigt, dann vermehren sich auch die Anzeichen körperlicher Erschöpfung. Und die ersten Opfer der Messe sind immer die Schleimhäute.
Dazu kommt das nachlassende Denkvermögen. Überall sitzen Leute und reden und reden über irgendwas, überall stehen Bücher und schlieren im Gehen als bunte Tapete an einem vorbei. Da könnten genausogut Blumentöpfe stehen oder Lavalampen. Dazu bewegliche Hindernisse, die sich erratisch durch die Gänge bewegen wie Flipperbälle oder Papiertütenblockaden gerade dort errichten wo man hinwill.
Wenn es auf das Wochenende zugeht, sucht man sich gern ein ruhiges Eckchen. Man entdeckt die Qualitäten der Nischenverlage. Man schaut sich ganz in Ruhe einmal die Stände aus dem Kongo an. Man sitzt in einer Halle am anderen Ende des Messegeländes fernab des Gewimmels bequem auf einem gutgepolsterten Stuhl und irgendjemand debattiert in einer wohlklingenden Sprache über die Übersetzungsprobleme ostasiatischer Lyrik.
Bleibt die Frage: Warum hat sich die Firma Lavazza dieses Jahr geweigert, im internationalen Zentrum ihren Gratiskaffee anzubieten? Stattdessen: Ätzender, magenzersetzender Kaffee von denkwürdiger Widerlichkeit. Ich weiß jetzt gar nicht genau, wo ich das Wochenende verbringen soll. Vielleicht versuche ich doch noch einmal, mich auf eins dieser Bücher zu fokussieren. Man sagt, einige sollen ganz interessant sein.
Genial! Jetzt weiß ich, wieso...
Genial! Jetzt weiß ich, wieso Nischenverlage Nischenverlage heißen! Weil man sich dort wie in einer Nische versenken kann.
den lavazza habe ich auch...
den lavazza habe ich auch vermisst! hoffentlich gibt es ihn nächstes jahr wieder
Mir haben Ihre Notizen, Frau...
Mir haben Ihre Notizen, Frau Diener, von der Büchermesse gefallen, gerade ob ihres anekdotischen Charakters. Über die Bücher, Verlage und Publikationen werde ich andernorts (z.B. im Feuilleton der FAZ) fündig, Ihre Beobachtungen vom Rande des Messefelds erhellen andere Aspekte – unterhaltsam und, partim, nicht minder hellsichtig. Eine schöne Ergänzung des Messegeschehens.
Es mag an meinen...
Es mag an meinen osteuropäischen Würzeln liegen, aber ich habe stets – so uncool und glamourfrei es auch zu klingen vermag – eigenen Kaffee gekocht und in der Thermoskanne mitgeschleppt. Ob es diesmal geht, weiss ich nicht (Terrorangst etc.). Aber mit dem eigenen Kaffee wird jede Halle zu einem locus amoenus.
Dafür habe ich vollstes...
Dafür habe ich vollstes Verständnis.
Es gibt dort eigentlich nur zwei Auswege: Hemmungsloser Kulturpessimismus oder hemmungsloses Betrinken.
Irgendwie, werthe Frau Diener,...
Irgendwie, werthe Frau Diener, wird mir durch Ihren geschätzten Block jetzt erst mal wieder bewusst, warum ich seit JAHREN nicht mehr auf die Buchmesse gehe!
HH.
Vermutlich benötigt...
Vermutlich benötigt Kommentator wessinger etwas Zeit. Das desillusionierende Moment der Buchmesse veranschlagt eine Konkubationszeit von etwa zwei Buchmessen, danach sollte selbst Kommentator wessinger froh sein um jeden Text, der sich nicht den Büchern, die in Gut/Schlecht-Binäritäten kaum mehr zu verorten sind, sondern dem Wesentlichen der Buchmesse „verschreibt“: schlechten Kaffee, Schlangestehen, immerwährendes Unglücklichsein. Und Gesichter hinter Büchern, die zuweilen als Indikator für die Qualität der Bücher zu gelten verstehen.
Gegenfrage: Seit wann geht es...
Gegenfrage: Seit wann geht es auf der Buchmesse um gute Bücher?
Warum musst du immer über...
Warum musst du immer über Essen und Trinken schreiben, über Schlange stehen, zu spät kommen, zu früh gehen, über ein immer währendes unglücklich sein und so wenig über das, worum es hier eigentlich geht: Bücher? Vielleicht sogar gute Bücher?