Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Phantome, Preise, Positionen

| 19 Lesermeinungen

Willkommen im Buchmessejahr 2009. Der Nobelpreis ist vergeben, der Buchpreis ist auch vergeben, aber an jemand anderen, und alles ist E. Nicht das Gegenteil von U, sondern elektrisch. Außer der Krise, die ist nicht irgendwie virtuell, sondern da. Und pfuscht ins Partyprogramm rein, was dann wirklich das Gegenteil von U ist.

[von Andrea Diener] Jetzt ist es also raus: Zwei deutsche Frauen sind die aktuell wichtigsten Schriftsteller, jedenfalls dann, wenn man der Jury des Nobel- und des Deutschen Buchpreises glaubt. Und die Entscheidung des Nobelpreis-Komittees hat den Buchpreis tatsächlich kurz vor der Zielgeraden noch einmal spannend gemacht: Würde Herta Müller tatsächlich beide Preise bekommen? Die sie ja sicherlich verdient hätte? Oder denkt die Jury: Ach nein, die hat ja jetzt eh schon den Nobelpreis und verkauft sich wie geschnitten Brot, gönnen wir den nationalen Verkaufserfolg lieber jemand anderem?

Vielleicht interpretiere ich zu viel in diese Juryentscheidung hinein, aber mir sieht das aus wie eine betriebsklimatische Auszeichnung für den Underdog Kathrin Schmidt, deren Krankheits-DDR-Roman „Du stirbst nicht“ nun den Buchpreis bekommt. Alle anderen Bücher sind ja ohnehin nie in Frage gekommen: Der Scheuer zu speziell provinziell, der Setz mäandert mit zu vielen Metaphern vor sich hin, der Thome ist Debütant und so einer Jury sicher eher zu glatt, was sie natürlich nie zugeben würde und das Buch daher vermutlich als sehr lesbar lobt, stillschweigend aber davon ausgeht, daß sich sowas von alleine verkauft. Ähnliches gilt auch für den Merkel. Beides sind auch eher private Romane über private Menschen mit privaten Problemen, und erfahrungsgemäß gewinnt immer ein Stoff mit sogenannter zeitgeschichtlicher Relevanz. Irgendwo muß immer ein bißchen Geschichte passieren oder Politik oder beides. Und wenn bloß am Anfang, wie in Hackers „Habenichtse“, das World-Trade-Center im Fernsehen explodiert. Egal, reicht schon.

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Weil alles vor der Buchmesse schon klar ist, haben die Verlage Zeit, sich darauf einzurichten, Poster zu basteln und Interviewtermine zu planen. Ich habe jedenfalls schon geplant, ich habe in einer vierstündigen Marathonsitzung den Veranstaltungskalender der Buchmesse durchgeackert, immerhin bis Samstag Mittag, und das reicht eigentlich auch, weil ich dann erfahrungsgemäß die Flucht ergreife und am Sonntag nur noch ganz kurz aus Pflichtgefühl nochmal aufbreche. Immerhin habe ich jetzt einen Überblick, was die Buchnation bewegt. Und es ist vor allem Äußeres, was sie bewegt, die Form des Buches, die Darreichung als Datensatz, die man wahlweise als Zukunft oder Ende der Lesekultur verstehen kann. Letztes Jahr tauchte der Kindle noch als Phantom auf, das zwar in aller Munde war, aber in niemandes Hand. In diesem Jahr ist plötzlich wieder alles E: E-Texte, E-Bücher, E-Marketing, E-Procurement.

Völlig aus der Mode gekommen ist die Diskussion über literarische Strömungen, über ästhetische Positionen, über Poetik im weitesten Sinne. Es werden, auch dank des Lesungsmarathons im Frankfurter Kunstverein, den das Kulturamt der Stadt Frankfurt in diesem Jahr veranstaltet, wieder unfaßbar viele Autoren über Podien gereicht und ihnen Gelegenheit gegeben, ihr Buch in einer halben oder gar ganzen Stunde vorzustellen. Man fragt freundlich, verweist auf den Büchertisch, der Autor signiert auch, danke, der Nächste. Schade ist das, daß es nicht zu Diskussionen kommt, denn nirgendwo hat man soviele Autoren, Kritiker, Verleger, Lektoren auf einem Haufen wie in dieser einen Woche im Herbst.

Und noch ein Phantom beginnt sich spürbar zu manifestieren: Die Krise. Im letzten Jahr war sie schon da, aber keiner wußte so recht etwas mit ihr anzufangen, also ignorierte man sie, soweit es eben ging. Nun drehen sich erste Podiumsdiskussionen um die „globale Rezession“, wie sie freundlich umschrieben wird, und es geht ans Eingemachte: An die Parties. Schmerzliche Verluste müssen bewältigt werden: Der Rahmen sei ja kleiner als im vergangenen Jahr, mailte die Pressedame schon vor Tagen, die Liste wegen akuter Überfüllung geschlossen und ich daher ohne Einladung für die sonst stets rauschende Rowohlt-Party. Ich werde am Mittwoch hungern müssen. 

Vielleicht aber beschert die akute Partykrise den Feierwütigen ein bißchen Ruhe. Vielleicht sorgt sie dafür, daß man am Abend, am Mittwoch etwa, selbst gediegen etwas kocht, die ein oder andere Literaturbeilage durchliest oder vielleicht sogar ein paar Seiten in einem Buch. Vielleicht entwickelt man dabei auch eine ästhetische Position, bildet sich gar eine Meinung. Vielleicht ist man aber auch einfach am Donnerstag ausgeruhter, wenn bei DuMont wieder bis in die Puppen getanzt wird.

Über alle weiteren Entwicklungen werden wir Sie die Woche über auf dem Laufenden halten. Ich habe mir ein Mammutprogramm in Sachen Literatur auferlegt, noch ein paar Pflichten am Rande zu absolvieren, die ein oder andere Moderation etwa. Außerdem werde ich dieses Jahr tatkräftig unterstützt vom geschätzen Kollegen Don Alphonso, der sich einen Pfad durch den e-Dschungel bahnt und mich ansonsten vom Alkohol fernhält.


19 Lesermeinungen

  1. fraudiener sagt:

    Ephemeride, das Gemecker ist...
    Ephemeride, das Gemecker ist eine der großen Konstanten der Kulturgeschichte, genau wie die Beschleunigungsangst. Sagen wir so: Wer auf Nummer sicher gehen möchte, liest das, was durch ein gediegenes Alter geadelt wurde. Wer sich lieber der sturmzerzausten Gefahr der Gegenwart aussetzen will, also Abenteuer, der fahndet im Herbstprogramm nach Perlen. Ich will ja immer lieber Abenteuer. Was mitunter schlimme Reinfälle beinhaltet, aber Pauschalreisen sind eben nichts für mich. (Wobei ich zwischendurch immer Klassisches einschiebe, das eicht den Qualitätssinn.)
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    Black Jack, die heimische Whiskybar besteht zur Zeit aus: Dalwhinnie für den sanften Abend, Laphroaig für den Alltag und Talisker 57 Degree North für die ganz, ganz harten Momente. Wobei meine Trinkfrequenz eher sehr gering ist. Die Literflasche Laphroaig steht da schon fast zwei Jahre. (Die Brennerei am See produziert doch eher obstiges, nehme ich an?)

  2. BlackJack66 sagt:

    @ Andrea Diener: Oh Single...
    @ Andrea Diener: Oh Single Malt?? Gibt es da gewisse Schwerpunkte? Ich nehme an, Sie mögen lieber kleine hier fast unbekannte Brennereien, als die Großen. Übrigens gibt es einen ganz in der Nähe vom Haus am See, in dem der werte Don A so schön residiert. Haben Sie den schon probiert?
    @ Don A: Ich war als junger Mensch genauso, heute allerdings geniesse ich schon mal den einen oder anderen edlen Tropfen. Vor Rauchwaren halte ich Abstand, es sei denn es sind italiniesche Schweinereien, die mild geräuchert worden, die sind dann doch was feines. Also kann ein sittenstrenger Junge auch altersmilde werden. :)

  3. Ephemeride sagt:

    Dieses Gemecker, dass es keine...
    Dieses Gemecker, dass es keine ordentliche Gegenwartsliteratur gäbe, ist ein bisschen Zeitgeist – finde ich. Denn wenn es so wäre und alle Menschen nur noch das lesen würden, was älter ist als 50 Jahre, was – bitteschön? – könnten dann die Menschen in 50 Jahren lesen? Außerdem wäre es doch sehr merkwürdig, wenn ausgerechnet heute, da sieben Milliarden Menschen das Erdenrund bevölkern, nicht der eine oder andere literarische Geist unter uns weilte.
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    Aber gute Bücher zu finden, ist nicht einfach. Sie fallen nicht in den Schoß beziehungsweise ins Oberstübchen, denn man muss schon viel lesen, um für sich die großen, anrührenden, haftenden, seelenbewegenden Werke zu finden. Da helfen Empfehlungen von Freunden nicht, erst Recht nicht von Buchhändlern und Rezensionen überhaupt nicht. Denn ein gutes Buch ist wie ein Freund: Es ist etwas Persönliches. Und so wie man Freunde sich nicht empfehlen lässt oder gar aus der ‚Bestsellerliste‘ heraussucht, weil es so einfach ist und keine eigene Anstrengung erfordert, so ist es auch mit dem Suchen und Finden von guten Büchern.

  4. donalphonso sagt:

    Man hat da eben so seine...
    Man hat da eben so seine Erfahrungen gemacht. Und nachdem ich meine Eltern schon wegen eines Glases Wein eine Alkoholabhängigkeit unterstelle, und als Kind deren Zigaretten zerschnitt und im Klo verspülte, sollte es nicht wundern, wenn aus dem sittenstrengen Jungen ein fanatischer Greis erwuchs, der böse schaut.

  5. fraudiener sagt:

    Savall, da muß man ein...
    Savall, da muß man ein bißchen gucken, dann findet man schönes. Lassen Sie die zarten Mädels weg. Ich für meinen Teil will unbedingt Thomes „Grenzgang“ lesen, der gehörte Ausschnitt bei der hiesigen Langen Nacht der kurzen Liste, die es immer im Literaturhaus gibt, klang mehr als vielversprechend. Außerdem hab ich mir gerade ein neues Buch von Simon Borowiak gekauft, nachdem mich „Wer Wem Wen“ so nachhaltig begeistert hat. Das neue Buch lag im Buchladen und sah irgendwie so ein bißchen ungehypt aus, fast vernachlässigt. Wenn Bücher so aussehen, greife ich gern zu. Ach so, und den Roman von Andreas Platthaus les ich auch. Und und und.
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    Sie haben meine Frau Nachbarin auf der Liste? Das ist schön.
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    Black Jack, der Don guckt mich immer ganz streng an, wenn ich mir nach dem Essen mal einen feinen Single Malt gönne. Ich vertrage Wein nämlich nur ganz schlecht, das säuert den Magen so, Whisky aber in nahezu unbegrenzten Mengen. Und der Don trinkt gar nichts mit Prozenten drin, insofern werde ich mich ans Vernichtungswerk machen müssen. Gute Besserung im Übrigen für die Hardware.

  6. BlackJack66 sagt:

    So der Don hält Sie vom...
    So der Don hält Sie vom Alkohl fern?? Das ist ein feiner Zug, als wahrer Gentlemen wird er ihn vernichten, bevor sie ihm zu nahe kommen! Ich wünsche Ihnen viel Spaß auf der Messe und werde mich dem E- Wahn nicht beugen, habe mir gerade einen E Virus eingefangen, das reicht an E-Welt und E-Realität.

  7. Savall sagt:

    Ich muß sagen, daß ich seit...
    Ich muß sagen, daß ich seit längerer Zeit die Gegenwartsliteratur für mich abgeschrieben habe. Ich glaube, die letzten aktuellen Sachen waren Karen Duves „Taxi“ und Tellkamps „Turm“. Ich habe einfach Überdruß an diesen ganzen Weltschmerzgeschichten von Leuten, die offensichtlich keine wirklichen Probleme haben. Ohnehin ist es nach meiner Beobachtung so, daß die wirklich relevanten Bücher erst 50 oder mehr Jahre später wirklich erkannt werden. Ich weiß ja nicht, wie es auf der Buchmesse 1909 zuging. Aber ganz sicher war der junge Herr Kafka aus Prag kein Thema, obwohl er doch im Frühjahr in einigen Zeitschriften schon veröffentlicht hatte. Also nehme ich das gelassen. Für mich sind die Buchmessen eigentlich große Buchhandlungen. Da man eine ordentlich sortierte Buchhandlung nur noch mit der Lupe findet, müssen eben die Messen als Ersatz herhalten. Ich mach dann meinen Plan fürs nächste Jahr und arbeite die Liste dann peu á peu ab. Herrje, da fällt mir ein, daß ich Frau Honisch ja auch noch auf der Liste hab…

  8. Manni1000 sagt:

    ...stimmt !! -- an der stelle...
    …stimmt !! — an der stelle stellt sich die viel draengendere frage: wie komme ich zur rowohlt party (um mir einen anzuschickern), ohne dass der don es merkt !!?? ;-)

  9. fraudiener sagt:

    Ich glaube auch, das Relevanz...
    Ich glaube auch, das Relevanz ein ganz merkwürdiges Konstrukt ist und kein absoluter Wert. Es gibt ja wirklich so Modeprobleme, denen man sich gern widmet und die man gern verarbeitet sieht, solche Bücher haben gleich einen Bonus. Und Modeprobleme sind meist nicht die drängendsten.

  10. Ju Honisch sagt:

    Ich gehe mal davon aus, dass...
    Ich gehe mal davon aus, dass die KRISE frühestens nächstes, aber vermutlich erst übernächstes Jahr hipp wird; wenn sie nicht mehr so immanent ist und man sich entspannt aus der Gewinnerposition heraus damit befassen kann. Wenn einem gerade das Leben entlang der Perforation aufreißt, dann mag man sozialpolitische Probleme lieber, die immerhin den wohligen Anschein haben, sie wären vielleicht doch schon vorbei. – Die bildungsbürgerliche Variante von Eskapismus.
    Nicht dass ich was gegen Eskapismus hätte. Wirklich nicht.

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