[von Andrea Diener] Jetzt ist es also raus: Zwei deutsche Frauen sind die aktuell wichtigsten Schriftsteller, jedenfalls dann, wenn man der Jury des Nobel- und des Deutschen Buchpreises glaubt. Und die Entscheidung des Nobelpreis-Komittees hat den Buchpreis tatsächlich kurz vor der Zielgeraden noch einmal spannend gemacht: Würde Herta Müller tatsächlich beide Preise bekommen? Die sie ja sicherlich verdient hätte? Oder denkt die Jury: Ach nein, die hat ja jetzt eh schon den Nobelpreis und verkauft sich wie geschnitten Brot, gönnen wir den nationalen Verkaufserfolg lieber jemand anderem?
Vielleicht interpretiere ich zu viel in diese Juryentscheidung hinein, aber mir sieht das aus wie eine betriebsklimatische Auszeichnung für den Underdog Kathrin Schmidt, deren Krankheits-DDR-Roman „Du stirbst nicht“ nun den Buchpreis bekommt. Alle anderen Bücher sind ja ohnehin nie in Frage gekommen: Der Scheuer zu speziell provinziell, der Setz mäandert mit zu vielen Metaphern vor sich hin, der Thome ist Debütant und so einer Jury sicher eher zu glatt, was sie natürlich nie zugeben würde und das Buch daher vermutlich als sehr lesbar lobt, stillschweigend aber davon ausgeht, daß sich sowas von alleine verkauft. Ähnliches gilt auch für den Merkel. Beides sind auch eher private Romane über private Menschen mit privaten Problemen, und erfahrungsgemäß gewinnt immer ein Stoff mit sogenannter zeitgeschichtlicher Relevanz. Irgendwo muß immer ein bißchen Geschichte passieren oder Politik oder beides. Und wenn bloß am Anfang, wie in Hackers „Habenichtse“, das World-Trade-Center im Fernsehen explodiert. Egal, reicht schon.
Weil alles vor der Buchmesse schon klar ist, haben die Verlage Zeit, sich darauf einzurichten, Poster zu basteln und Interviewtermine zu planen. Ich habe jedenfalls schon geplant, ich habe in einer vierstündigen Marathonsitzung den Veranstaltungskalender der Buchmesse durchgeackert, immerhin bis Samstag Mittag, und das reicht eigentlich auch, weil ich dann erfahrungsgemäß die Flucht ergreife und am Sonntag nur noch ganz kurz aus Pflichtgefühl nochmal aufbreche. Immerhin habe ich jetzt einen Überblick, was die Buchnation bewegt. Und es ist vor allem Äußeres, was sie bewegt, die Form des Buches, die Darreichung als Datensatz, die man wahlweise als Zukunft oder Ende der Lesekultur verstehen kann. Letztes Jahr tauchte der Kindle noch als Phantom auf, das zwar in aller Munde war, aber in niemandes Hand. In diesem Jahr ist plötzlich wieder alles E: E-Texte, E-Bücher, E-Marketing, E-Procurement.
Völlig aus der Mode gekommen ist die Diskussion über literarische Strömungen, über ästhetische Positionen, über Poetik im weitesten Sinne. Es werden, auch dank des Lesungsmarathons im Frankfurter Kunstverein, den das Kulturamt der Stadt Frankfurt in diesem Jahr veranstaltet, wieder unfaßbar viele Autoren über Podien gereicht und ihnen Gelegenheit gegeben, ihr Buch in einer halben oder gar ganzen Stunde vorzustellen. Man fragt freundlich, verweist auf den Büchertisch, der Autor signiert auch, danke, der Nächste. Schade ist das, daß es nicht zu Diskussionen kommt, denn nirgendwo hat man soviele Autoren, Kritiker, Verleger, Lektoren auf einem Haufen wie in dieser einen Woche im Herbst.
Und noch ein Phantom beginnt sich spürbar zu manifestieren: Die Krise. Im letzten Jahr war sie schon da, aber keiner wußte so recht etwas mit ihr anzufangen, also ignorierte man sie, soweit es eben ging. Nun drehen sich erste Podiumsdiskussionen um die „globale Rezession“, wie sie freundlich umschrieben wird, und es geht ans Eingemachte: An die Parties. Schmerzliche Verluste müssen bewältigt werden: Der Rahmen sei ja kleiner als im vergangenen Jahr, mailte die Pressedame schon vor Tagen, die Liste wegen akuter Überfüllung geschlossen und ich daher ohne Einladung für die sonst stets rauschende Rowohlt-Party. Ich werde am Mittwoch hungern müssen.
Vielleicht aber beschert die akute Partykrise den Feierwütigen ein bißchen Ruhe. Vielleicht sorgt sie dafür, daß man am Abend, am Mittwoch etwa, selbst gediegen etwas kocht, die ein oder andere Literaturbeilage durchliest oder vielleicht sogar ein paar Seiten in einem Buch. Vielleicht entwickelt man dabei auch eine ästhetische Position, bildet sich gar eine Meinung. Vielleicht ist man aber auch einfach am Donnerstag ausgeruhter, wenn bei DuMont wieder bis in die Puppen getanzt wird.
Über alle weiteren Entwicklungen werden wir Sie die Woche über auf dem Laufenden halten. Ich habe mir ein Mammutprogramm in Sachen Literatur auferlegt, noch ein paar Pflichten am Rande zu absolvieren, die ein oder andere Moderation etwa. Außerdem werde ich dieses Jahr tatkräftig unterstützt vom geschätzen Kollegen Don Alphonso, der sich einen Pfad durch den e-Dschungel bahnt und mich ansonsten vom Alkohol fernhält.
Savall, ich habe hier auch...
Savall, ich habe hier auch einen riesigen Stapel Zeug. Einiges altert schneller, einiges weniger schnell. Gerade diese Aufreger der Saison veralten in rasendem Tempo. Liest denn noch jemand die Mittagsfrau? Bücherflohmärkte sind für sowas ein guter Indikator, da gibt es massenhaft Modebücher vergangener Buchmessen und Jahrzehnte.
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Loslabern will ich auch noch lesen.
Ich habe gerade den brandneuen...
Ich habe gerade den brandneuen Goetz (Loslabern) mit einiger Freude gelesen, weniger amüsant war der Raymond Viel bei Wagenbach, aber die souveräne Leserin war sehr nett (alles reichlich neue Literatur). Allerdings habe ich gestern Jenseits (beyond) von Galsworthy angefangen. 90 Jahre alt, inhaltlich veraltet, aber grandios geschrieben. Und da stellt man sich eben so Fragen.
Honseot, nein, das ist nicht...
Honseot, nein, das ist nicht vorbei, das glaube ich nicht. Aber mit dem Wellness-Argument haben Sie recht, schauen Sie sich mal Büchersendungen an. Ach, wie kuschelig, wie flauschig weich alles. Kein Wunder, daß der Gegenpol, der grantelnde alte Kritiker, derzeit wieder einmal so populär ist. Der hat wenigstens noch eine Meinung (die man teilen kann oder nicht) und versteht sich nicht als reine Serviceeinrichtung und Verbraucherberatung.
@Savall: Ich hatte auch eher...
@Savall: Ich hatte auch eher so einen ältlichen Kritikerherrn vor Augen, welcher eine Zeitlang schon recht altersstarrsinnig, wie mir schien, in jede TV-Kamera sermonisierte, dass die letzten Jahrzehnte keinen einzigen ernst zu nehmenden deutschen Roman mit mehr als hundert Seiten hervorgebracht hätten. Oder so ähnlich.
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@Andreas Diener: Ich gebe Ihnen Recht, dass in den letzten Jahren nicht mehr über Bücher, sondern nur noch über den Büchermarkt schwadroniert wird. Da blitzt dann die mittlerweile hübsch verbreitete Investmenterziehung durch, dass alles irgendwie einen monetären Wert haben muss. In der aktuellen Ausgabe eines angeblichen Nachrichtenmagazins aus München wird beispielsweise viel von Umsatzsteigerungen und Marktstrategien geschrieben. Es ist halt auch nur eine Ware, diese Literatur, genauso wie Kunst – welche man bis vor kurzem ja auch eher als Anlageobjekt betrachtete… würg (entschuldigen Sie). Natürlich sollen Verlage und Autoren viel Geld mit ihrem Wirken verdienen – aber mich würde es stören, wenn ich beim Öffnen eines neu gekauften Buchs nicht das Papier fühlen und den Geruch inhalieren und dieses leichte Knistern in der Buchbindung höre würde, sondern nur noch einen gelackten Manager vor Augen hätte.
Es schadet nicht, wenn ein...
Es schadet nicht, wenn ein Buch gut abgehangen ist.
Wohl wahr, Ephemeride....
Wohl wahr, Ephemeride. Deswegen habe ich auch betont, daß es nur für mich der Fall ist. Ich würde auch nicht die Gegenwartsliteratur pauschal verwerfen. Es ist mir nur zu mühsam, zumindest zur Zeit, die Perlen zu finden. Ich bin Eklektizist mit vielen Interessen und alle wollen bedient sein. Meine Lesezeit und meine Lebenszeit ist bemessen, also versuche ich sie so intensiv wie möglich zu nutzen. Experimente sind spannend, aber zeitintensiv und im schlimmsten Falle nutzlos. Ich habe gerade einen Stapel Jules-Verne-Romane hinter mir (die ungekürzten Ausgaben von Diogenes, empfehlenswert), den hinkenden Teufel und bin jetzt bei Gil Blas. Wenn es nach Plan weitergeht: Lazarillo von Tormes, Kater Murr, Herders Italienische Reise (schönes Kontrastprogramm zu Goethe). Was soll mir da eine Judith Hermann oder Kathrin Schmidt? Okay, Borowiak kenne ich noch aus der „Frau Rettich…“-Zeit, das geht. Ist schon auf dem Amazon-Wunschzettel. Zusammen mit derzeit 205 anderen Büchern. *seufz*
Übrigens würde ich das nicht als Pauschalreise bezeichnen, Andrea, eher als Arbeit im Weinberg. :-)
Whiskeyflaschen halten 10...
Whiskeyflaschen halten 10 Jahre? Und die Literatur ist zu wenig existentiell, zu modisch, genügsam, vernünftig, ziseliert-brav? Vielleicht alles das selbe Problem. Vielleicht fehlen die ungesunden kurzlebigen Leute, die wirklich was wollen und für was brennen, die wie beidseitig angezündete Kerzen schnell verbrennen und dabei noch schnell was Funkelndes schaffen. Vielleicht einfach alles zu sehr Wellness, Klischee, Simulation. Vielleicht sind Buch (und Theater) als Sprach-Medien auch einfach lange „vorbei“, Zombies, Untote, künstlich am Leben gehalten von Bildungsbürgern, die sie alleine nachfragen, zum Zwecke von Distinktion. Und Film und bildende Kunst, die längst ihre Rollen einnahmen, haben kürzlich stattdessen auch ihren Zenit überschritten. Und das wirklich Neue erkennen wir noch gar nicht, obwohl es als Keim schon in unserer gegenwart existiert.
Ephemerides Argument möchte ich jedenfalls mal entschieden beipflichten, das ist auch so ungefähr das einzige, was mich an Don Alphonsos Dandyismus etwas stört – es ist pures Retro, die Sehnsucht nach dem Ende der Geschichte scheint da für mich durch (gar nicht mal das „früher war alles besser“). Und damit ist es höchst postmodern. Aber in solchen Zeiten natürlich verständlich.
@Andrea Diener: Die...
@Andrea Diener: Die Slyrs-Macher gehören zwar zu der oberländischen Obstbrennersippe, die Whisky- (ohne ‚e‘) Destille aber steht abseits von der Obstlerfabrik. Da man noch nicht wirklich lange dabei ist, hat Slyrs leider auch erst 3-jährigen Single Malt in Flaschen, aber der ist durchaus trinkbar.
Nein die Brennerei am See, nun...
Nein die Brennerei am See, nun zwischen Schliersee und Tegernsee brennt den einzigen Whiskey aus Bayern. Ist so weit ich weß auch ein Single Malt und gar nicht schlecht! Soll der werte Don, sie das nächste Mal halt mal hin entführen. Meine Whiskeyflaschen halten auch im Durchschnitt 10 Jahre oder länger. Man soll ja nicht übertreiben sonst wird aus Genuss eine Sucht und dass muss nicht sein. Das ist halt mein moralisches Erbe meiner sittenstrengen Jugend.