Der erste Abend der Buchmesse gehört dem Berlin-Verlag. Letztes Jahr flanierte ich einfach so hin und bekam aus stets vollen Flaschen üppig nachgeschenkt, ich mußte gar, wollte ich nicht sturzbesoffen auf dem Hotelteppich enden, die Hand schützend übers Glas halten. Doch heuer war alles anders: Am Eingang lagen Namenslisten aus, und jeder Gast bekam einen Getränkegutschein, den er einlösen durfte. Wer sich dann noch nicht betrunken genug fühlte, mußte zahlen: Fünf Euro für ein Glas Wein.
Mein Name stand nicht auf der Liste, ich hätte doch nochmal nachhaken sollen. Dan Diner hab ich, sagte die Dame am Eingang, ach egal, hier ist ihr Getränkegutschein. Ich bin zwar nicht Dan Diner und würde ihn nicht einmal würdig vertreten können, schob mich aber dennoch in den völlig überfüllten Raum und holte mir Dan Diners Wein ab. Gut, ich war spät dran, was daran lag, daß mein Ersatzbegleiter verschlafen hatte, aber trotzdem: Kurz nach zwölf ging das große Licht an. Sollen wir schon gehen? Oder beim Standaufbau helfen? Was soll das?
Aber der Berlin-Verlag ist nicht der einzige Grund, in den Frankfurter Hof zu kommen. Hier in den langen Gängen trifft sich alles, was entfernt mit Literatur zu tun hat, hier wird bis spät gefeiert und fürchterlich viel getrunken, und gleich um die Ecke ist die Hotelbar, in der letztes Jahr das teuerste Foto der Buchmesse entstand, das ich leider nicht reproduzieren darf. Es war aber ein sehr schönes, treffendes Foto mit einer schönen, treffenden Bildunterschrift.
Am nächsten Morgen sind alle wieder verhältnismäßig frisch und gehen beschwingt in den ersten Messetag. Am F.A.Z.-Stand reden Richard Kämmerlings und Kathrin Schmidt glorios aneinander vorbei. Kann sein, daß Sie das so lesen, sagt Schmidt, ich hab das aber nicht so geschrieben. Bei Suhrkamp sitzen zwei am Laptop: Funktioniert nicht, nee, vielleicht später. Wahrscheinlich, denke ich, suchen sie die Facebook-Seite von Peter Handke. Bei Fischer lese ich die erste Seite von Rainer Merkels Shortlist-Roman Lichtjahre entfernt und frage mich, warum Männer-Amerika-Romane (das ist ja eh schon so ein eigenes Genre) dauernd so aufgerüschte Licht- und Farbmetaphern brauchen, das hat mich bei Hettches Woraus wir gemacht sind schon gestört. Auch Shortlist, auch kein Preis.
Aber mein erster Messetag ist ein kurzer. Ich muß in den Kunstverein zu den Open Books, das sind knapp hundert Autoren an fünf Tagen, organisiert vom Kulturamt der Stadt, die nun endlich eingesehen hat, daß Leipzig liest ein tragfähiges Konzept ist, von dem Frankfurt lernen kann. Nun gibt es ja schon die Literatur im Römer, das sind die etablierten Autoren für das gesetzte Publikum, zu den Open Books kommen die Jungen Wilden. Dienstag ging es mit dem Debütantenabend los, es mußte völlig überfüllt gewesen sein, so hört man. Das ist am Nachmittag nicht die Gefahr, ich habe eher Angst, daß keiner kommt.
Ich soll moderieren, was ich noch nie gemacht habe, aber der Autor Rainer Schmidt ist dann ziemlich pflegeleicht. Sein Techno-Roman spielt Mitte der Neunziger und man kann eine ganze Menge fragen: Drogen? Liebe? Rausch? Und ein Publikum findet sich dankbarerweise auch ein. Den Roman kann man sich im Internet vorlesen lassen, und zwar von 300 mehr oder weniger prominenten Vorlesern unter www.liebestänze.de. Leider noch nicht vollständig, das kommt noch. Und während einiges immer teurer wird, der Wein auf den Parties etwa, gibt es die Lesungen bei den Open Books ganz für umsonst. Und der Kunstverein mit seinen Räumen und seinem Café ist ein angenehmes Zentrum, in dem man Stunden und Tage verbringen kann und manchmal gar nicht weiß, welche der parallel laufenden Lesungen man besuchen soll. Es scheint fast, als verstehe die Stadt ganz allmählich, welche Möglichkeiten so eine Messe bietet – nicht nur als Wirtschaftsfaktor und Prestigeobjekt, sondern auch ganz profan für Leser. Für die Bürger, für alle. Wenigstens hier, denke ich erleichtert, ist noch keine Krise. Dann drückt mir eine der Veranstalterinnen einen Zettel in die Hand: Mein Getränkegutschein. Diesmal wirklich meiner und nicht der eines Menschen, der auch auf der Liste steht und so ähnlich heißt wie ich.
Swina, in Sachen...
Swina, in Sachen Kämmerlings/Schmidt fürchte ich, daß Kopf auf Bauch traf. Analytik auf Gefühl. Es ist den Analytikern oft nicht klar, daß viele Autoren beim Schreiben gar nicht so viel nachdenken und konstruieren, was im Übrigen gut ist, der Text ist im Idealfall klüger als der Autor, und der Autor muß das zulassen. Es gibt Autoren, die das nicht zulassen, das sind dann meist ganz furchtbar konstruierte Texte.
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Möchten Sie alle jetzt wirklich die wahre Geschichte um Gästeliste, Getränkegutschein und meine Anwesenheit auf dem Berlin-Empfang hören? Die Wahrheit ist sehr viel langweiliger als die hier aufgeschriebene Version, und auch viel ermüdender. Ich würde sagen, Sie arbeiten sich jetzt alle weiter an Dan Diner ab, der mir freundlicherweise leitmotivisch zur Verfügung stand, und ersparen mir die Wiedergabe der zugrundeliegenden Faktizitäten. Bitte!
Staph.aureus, so ist das eben....
Staph.aureus, so ist das eben. Gerade bei denen, die Lesen als Beruf haben. Da muß man nicht noch groß anmahnen, daß sie mal wieder was lesen sollen, die meisten da tun das ohnehin schon den ganzen Tag. Alle anderen gehen zu den Open Books, das ist eine wirklich gute Sache, und Wein gibt es im Café dort auch.
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Remington, es ist eine gute Welt. Ich fand die Namensgleichheit jedenfalls kurios genug, sie hier zu verwurschten.
Dem Diner den Wein wegtrinken...
Dem Diner den Wein wegtrinken ist eine zierliche Geste. Verstanden habe ich den Hintergrund der Trinkübung nicht. Liegt der Herr nun wirklich im Sterben (seufz) oder ist es eine Ausrede?
Rehlein gehören stammesgeschichtlich leider zu den Trughirschen. Ist ein Freund schon 1x drauf ´reingefallen.
war frau schmidt mit der...
war frau schmidt mit der preisträgerehre überfordert – oder herr kämmerling schlecht vorbereitet?
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ja, rehlein war gar nicht scheulein zart, aber n bissel hatten`s nen schlechtes gewissen, frau andrea, nicht wahr?
zu oft haben sie den herren dan im beitrag erwähnt … – nun er wird dies schon goutieren.
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ach ja: wenn sie einen zuverlässigen begleiter suchen, ich stehe ihnen gern zur verfügung – und labern kann ich auch.
Manni, ich fürchte, ein...
Manni, ich fürchte, ein Entzündungsherd hat den Begleiter eher dauerhaft als zeitweise außer Gefecht gesetzt. Er begleitet mich und die Buchmesse nun von Heim und Herd aus.
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Rehlein, Sie haben ja auch kein schlechtes Gewissen, hier so einen Blödsinn reinzuschreiben. Wer die Gegebenheiten grob kennt und vielleicht auch ein wenig mit dem literarischen Verfahren der Zuspitzung vertraut ist, der hätte hier nicht derart losgelabert, um mal Rainald Goetzens Verb der Saison zu verwenden. Ich habe mich dann bei Berlin aber noch sehr gut unterhalten. Vermutlich nicht mit Ihnen. Aber Sie sind ja auch anonym, ich nicht, da keilt es sich besser aus. Nicht wahr?
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Spezi? Bei Fischer? Wird schwierig.
Hallo liebe Andrea! Aha....!...
Hallo liebe Andrea! Aha….! Sie haben mir also meinen Getränkegutschein gemopst! Aber egal, es sei Ihnen verziehen. Dafür laden Sie mich aber heute abend auf eine Spezi ein… Abgemacht!? Herzlichst Ihr fast verdursteter Dan Diner
...sagte ich es nicht ??: "......
…sagte ich es nicht ??: „… wie komme ich zur rowohlt-party, ohne dass der don es merkt…. “ , dass der gute scheinbar gar nicht anwesend war/ist und dass ein „ersatzbegleiter“ verschlafen hat finde ich ziemlich abgefahren. –hoffentlich sind der italienische silberpfeil und dessen chauffeur nur zeitweilig indisponiert.
kopf hoch, ausser dem getraenkegutschein gibt es noch vieles andere wo „andrea diener“ draufsteht und das macht mindestens ebensovielen menschen spass, wie zum „open-book“ kommen; jede wette !!
;-)
Ein gute Welt, in der es von...
Ein gute Welt, in der es von Vorteil ist, Diener zu heißen und nicht von Nachteil, einer zu sein. Oder?
Hatten Sie eigentlich keine...
Hatten Sie eigentlich keine Sekunde lang ein schlechtes Gewissen, ob des Umstands, dass Sie, als Blogmädchen Nr. liegende Acht, den Wein eines international renommierten Historikers versaufen, der gewiss eine tatsächliche Bereicherung für die Party des Berlin-Verlags gewesen wäre? Haben Sie keinen Augenblick an den wahren Dan Diner gedacht, der von einer hartherzigen Türwächterin abgewiesen wurde, weil sein Gästelisteneintrag aufgrund der Chuzpe von Mademoiselle Adabei bereits getilgt war? Natürlich nicht. Weshalb auch? Sie müssen ja schließlich „Content“ produzieren… Ich war auch dort; zugegeben, content-fähig war’s nicht, allerdings hätte ich auf die Gegenwart unseres Autors mehr Wert gelegt als auf die Ihrige. Sie kenne ich nämlich nicht, womit ich mit dem Gros der Anwesenden eine Gemeinsamkeit haben dürfte.
144.000 neue Bücher. 144.000...
144.000 neue Bücher. 144.000 Gläser Wein. Mindestens.
144.000 tote Bäume.144 Eskort-Damen.Mindestens, bei Überdruck.
144.000 mal rein raus lochen lachen labern.
Aber nicht lesen. Bücher leben zuhause. Nicht auf der Buchmesse.
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Nächste Woche in „Ding und Dinglichkeit“ das Gegenkonzept zum Getränkegutschein: Der Flachmann. Oder: Die Mariendistel.
Und frei nach Joseph Roth: … erst das „Kunstwerk“ ist „echt wie die Leber“