Es gibt zu dieser Buchmesse gleich drei Jubiläen zu feiern: Amazons eBook Kindle kommt jetzt, endlich, auf den deutschen Markt und erobert ihn. Es ist fünf Jahre her, dass Sonys Lesegerät Librie den Weltmarkt der digitalen Bücher zu beherrschen anstrebte. Und vor 10 Jahren kam Rocket auf den Markt, jener Urvater der elektronischen Lesegeräte, der in bester New-Economy-Manier schon bald diese dummen, platzraubenden Bücher aus Papier ablosen sollte, diese erbärmlichen Reste einer Kultur, die sich endlich dem digitalen Zeitalter zu beugen hatte. Ein dreifaches Hipp! Hipp! Hu-ups.
Oder anders gesagt: Zum dritten Mal in einer Dekade darf man sich die ewig gleichen Argumente für digitale Lesegeräte anhören – man könne ganze Bibliotheken mitnehmen, Bücher aus dem Internet laden und dabei Geld sparen. Indirekt auch: Verlage würden nur zu gerne auf Druckereien, Vertrieb, Lager und den Zwischenhandel verzichten, und Usern nur noch das Recht am Lesen verkaufen. Was bei Lexika und Fachliteratur nicht sinnlos ist, sollte doch auf alles Gedruckte übertragbar sein, zur Bequemlichkeit der User und zur Profitsteigerung der Verlage. Sagen die Erbsenzähler und Folienschubser von Verlagen und Handel, die Freunde des Standortfaktors Buch, die heute aus beruflichen Gründen Bücher und morgen, wenn sie die Branche wechselten, Schlachtvieh und Sondermüll vertreiben würden.
Kostprobe gefällig? Ronald Schild ist Geschäftsführer der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, einer Tochter der Börsenvereins und damit zuständig für Libreka, das Ebook-Kaufhaus des Börsenvereins, über das heute noch gesondert zu reden sein wird. Schild ist einer jener modernen Manager, die nicht nur ein Blog haben, sondern auch gleich die ganz grossen Visionen – ich darf das hier mal zitieren:
500 Jahren nach Erfindung des Buchdrucks steht eine zweite Revolution bevor: das E-Book wird die Art und Weise wie wir lesen, dramatisch verändern – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Buchbranche: Mehr als die Hälfte der Branchenexperten erwarten einer Studie der Frankfurter Buchmesse und Publishers‘ Weekly zufolge, dass die Umsätze mit digitalen Inhalten die des klassischen Buchgeschäfts binnen 10 Jahren überholen. Zum Vergleich: im Jahr 2008 lag der Umsatzanteil von E-Books in den USA noch bei 2 Prozent. Höchste Zeit also, dass Verlage E-Books zur Chefsache machen und Strategien für digitalen Content entwickeln.
Umfragen und irgendwelchen „Experten“, Revolution, dramatisch, Höchste Zeit, Chefsache, Content, machen Sie jetzt, warten Sie nicht lange, schnellschnell, denken Sie nicht nach, die Zukunft ist golden und wer nicht dabei ist, wird untergehen, unsere Experten sagen es, also muss es auch stimmen. Ein Blick auf die Uhr: Geschrieben wurde diese Selbstentblössung des Buchhandels 2009, 10 Jahre nach der Hochzeit der New Economy, die mit solchen – ich darf das hier bittschön sagen – Bullshitfloskeln gegen die Wand knallte. Erstaunlich, dass dergleichen nach 10 Jahren schmerzlicher Erfahrungen immer noch geschrieben wird. Oder auch nicht, den zur Person erfahren wir:
Nach der ersten beruflichen Station in einem Unternehmen der Quandt-Gruppe in London wechselte er 1997 zu der deutschen Niederlassung von Lexmark, wo er den Online-Vertrieb aufbaute. Im Anschluss ging er als CEO zur EMB AG, einer Unternehmensberatung für Customer Relationship Marketing. Diese führte er bis Ende 2004. Seit 2005 ist Ronald Schild bei Amazon.de verantwortlich für das Partnerprogramm Merchants@.
Gut, doch kein Schlachtvieh. Noch nicht. Für mich, der ich die Druckkunst in den letzten 220 Jahren ohnehin auf dem absteigenden Ast sehe und Bücher toter Autoren bevorzuge, ist dieser dritte von viel PR-Geplapper und wenig Substanz geprägte Anlauf nach dem zweimaligen Vollversagens ganz ähnlich auftretender Leute von Rocket und Sony sehr ärgerlich. Sie werden auch diesmal wieder Visionen haben, um dann am Markt der meisten Buchkäufer zu scheitern. Auch von meinem Standpunkt aus sind mehr eBooks sehr wünschenswert.
Denn mit den eBooks ist der Welt wirklich gedient, wie ein Blick zur weitgehend unbekannten Firma Ciando aus München zeigt, ihres Zeichens der hiesige Marktführer für eBooks und in den langen Jahren ihres Bestehens noch immer nicht das, was man einen durchschlagenden Erfolg mit Börsengang nennen könnte. Dort war vorgestern auf der Bestenliste zu finden: Vorne der „erotische Roman“ Anwaltshure 2, auf den Plätzen dann „Ich bin dann mal schlank“ und das „Handbuch Kennzahlen Unternehmensführung“. Höchst plastisch erscheinen die Käufer vor den Augen, Konvergenz nennt man das in Erbsenzählerkreisen, Kunde, Inhalt und eBook formen sich zu einem harmonischen Ganzen, wir sehen ihn vor uns, den dynamischen, vom Büroalltag runden Jungmanager mit seinen Wünschen, befriedigt durch einen Download – und nicht in unseren Buchgeschäften. Nicht bei unseren Antiquariaten. Nirgends. Nicht mal im ICE belästigt er uns mit den Covern seiner Machwerke, hält uns die Nichtswürdigkeit seiner ins Buch verirrten Herzensbildung entgegen.
Kurz: Dieser User fällt aus dem Buchuniversum raus. Er verschwindet in einem digitalen Staubsauger, mit ihm vielleicht auch ein paar Grossketten, die vom massenhaften Verkauf solcher Contents leben und, wenn dieses Zeug dann auch in Raubkopie erhältlich ist, der ein oder andere Verlag solcher Bücher, man kennt das aus der Plattenindustrie. Natürlich können das schlimme Einzelschicksale sein, Titanen werden in den Staub sinken, aber das ist Revolution, das ist der Fortschritt. Und wenn ich dem schon nicht entgegenstehe, sollten auch die Erbenzähler mit aller Kraft daran arbeiten – wirklich arbeiten und nicht nur Sprüche klopfenn – Anwaltshuren und Unternehmenskennzahlen in ein Netz zu verfrachten, worin sie ihr User-Glück suchen, und wir Leser unsere Ruhe von ihnen haben.
@anderl
Die Sammler sind aber...
@anderl
Die Sammler sind aber ein Markt. Ein kaufkräftiger.
Habne mir gerade gestern erst wieder CDs von meinen alten Vinyl-Sachen nachgekauft.
Ich will Dinge besitzen. Regal, Regal durchsuchen, rausziehen, in der Hand halten, Cover angucken, einlegen, Booklet anschaun.
Ein Album mit dem Artwork drumherum ist ein Gesamtkunstwerk. Und vorgestern war ich bei den Pixies, die nicht viel anderes gemacht haben, als das vor genau 20 Jahren erschienene Album chronologisch runter zu spielen. Weil es so stimmt.
Und statt „Kerze“ von Gerhard Richter habe ich das Vinyl-Cover von Sonic Youth’s „Daydream Nation“ an der Wand hängen. Eben Kerze von Gerhard Richter mit einer Bedeutung dahinter.
Ich bestehe drauf. Wenn ich etwas runterladen muss, was ich in keinem Second-Hand Shop der Welt finden kann, okay. Gibt ja so Sachen. Aber vorher wird nicht aufgegeben.
Vielleicht entsteht bald eine neue Form des Gesmtkunstwerks. Muss aber mehr sein als nur ein Download. Das fordert ja nicht.
Elektronische Bücher werden...
Elektronische Bücher werden sich auch diesmal im Massenmarkt nicht durchsetzen. Und der Grund dafür ist: ich werde mir keins kaufen. Nun ist an meiner Person nichts gelegen, aber ich gehöre zur Kernzielgruppe. Technikaffin, internetversiert, Vielleser und Vielkäufer. Wenn Leute wie ich sich dafür nicht begeistern können, wer dann? Jemand der vier Taschenbücher im Jahr kauft, für 8,95 das Stück? Wir reden noch nicht einmal von ästhetischen Gründen. (Der Sony Reader sieht aus wie Taschenrechner und Kindle wie ein medizinisches Laborgerät, von dem man gar nicht wissen möchte, wozu es benutzt wird.) Solange es die Buchpreisbindung gibt, wird das E-Book genauso viel kosten müssen wie das gedruckte Buch. Und dafür soll ich mir ein Lesegerät für 300 Euro kaufen, das nach zwei Jahren völlig veraltet sein wird? Wozu? Wo ist für mich der Nutzen? Ich sehe keinen. Ich schleppe jetzt keine Bibliothek mit mir herum und werde das auch in Zukunft nicht tun. Das eine Buch, das ich gerade lese reicht zu. Wer E-Books lesen will, der tut das schon lange, jedes PDA kann entsprechende Dateien lesen. Auf jedem Notebook geht es. Ich habe noch nichts davon gehört, dass das eine Massenbewegung geworden wäre. Da haben wir noch nicht einmal von Haptik, Typographie und Langzeitlagerung geredet. Die Idee, das gedruckte Buch durch ein E-Book abzulösen, ist der falsche Weg. Es mag Textformen geben, für die sich elektronisches Publizieren anbietet. Aber das sind keine Textformen, die gedruckt in gleicher Art und Weise zur Verfügung stünden. Wikipedia ist das beste Beispiel. Nicht die offene Textherstellung ist das neue. Sondern endlose Erweiterbarkeit, keine Platzprobleme, ständige Aktualisierung, Verlinkung, wirkliche Multimedialität, das sind die Vorteile. Damit kann kein Buch mithalten und will es auch gar nicht. Einen fortlaufenden literarischen Text einfach vom Papier auf den Bildschirm zu übertragen, ist dagegen absurd, weil es keinen zusätzlichen Vorteil bringt. Im übrigen werden bei dem Transfer von Papier auf Elektronik die Herstellkosten eines konventionellen Taschenbuches erheblich überschätzt. Wir reden von Herstellkosten von 50 bis 80 Cent pro Buch. Dagegen müssen die Verlage in die Contentaufbereitung investieren und Raubkopien befürchten. Es gibt zudem ernsthafte Berechnungen, daß die Kosten für die elektronische Langzeitarchivierung die eingesparten Kosten bei der Beschaffung mehrfach übertreffen werden. Schaun mer in zehn Jahren noch einmal.
Sepp Ganger, bei Fachliteratur...
Sepp Ganger, bei Fachliteratur sehe ich durchaus auch Vorteile, selbst wenn der Zettelkasten und das Wissen, wo was steht, meines Erachtens immer noch unabdingbar sind. Wenn Unis darauf verzichten – unschön. Aber ich glaube nicht, dass das das Verhalten beim Lesen von Belletristik beeinflusst.
Rascheln des Papiers...
Meine...
Rascheln des Papiers…
Meine Freundin hat vor zwei Wochen ihr Studium begonnen.
Am ersten Tag wurde ihr erklaert, es handele sich bei dieser Uni um eine „Laptop-only“ Einrichtung. Dann wurde ihr ein USB Stick in die Hand gedrueckt, auf dem alle relevanten Daten inclusive Vorlesungsverzeichnis und Sekundaerliteratur, sowie Weblinks gespeichert sind, und sie durfte erstmal wieder nach Hause gehen.
Das laesst schon einiges erahnen, was das zukuenftige Verhaeltnis zwischen gedrucktem Wort und den Heranwachsenden betrifft…
P.S. ich bitte die fehlenden Umlaute zu entschuldigen, Standortnachteil
Anderl, das hat man mir 2002...
Anderl, das hat man mir 2002 (glaube ich) auch schon über Philips gesagt. Über solche Dinge kann man reden, wenn sie da sind, und man sie wirklich benutzen kann. Gerade die Versprechungen der IT-Industrie sind mir inzwischen mehr als nur leicht suspekt.
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Ich kann, was das Lesen angeht, nur über mich selbst sprechen, aber nach meiner Erfahrung mit diversen im Internet verschenkten Romanen – davon gab es in cen Blogs einige – zeigt, dass zumindest die aktuelle Avantgarde noch nicht so weit ist.
Das scheitnt mir diesmal aber...
Das scheitnt mir diesmal aber reichlich kurz gesprungen. Es gehört doch nicht viel Phantasie dazu zu erkennen, dass sich ebooks auf Dauer sehr wohl durchsetzen werden. Plastic Logic produziert seit Herbst 2008 in Sachsen schon ziemlich dünne Folien und ich gehe jede Wette ein, dass wir vollkommen biegsame, fast papierdünne Lesefolien in wenigen Jahren allenthalben sehen werden. Erinnert sich noch jemand an die ersten Mobiltelefone? Bitte mal mit den heutigen vergleichen. Das Kaufen von Büchern wie auch von Musik-CDs (von den etwa 500.000 Vinylkäufern wie mir ganz zu schweigen) ist ein Auslaufmodell, das für eine gewisse Zeit noch von jenen am Leben gehalten wird, die damit groß geworden sind. Den nachwachsenden Generationen ist das aber völlig fremd, die saugen sich alles, wirklich alles aus dem Netz, zunächst über Tauschbörsen, nun zunehmend über RapidShare-server. Nicht nur Massenware, sondern alles, was an Musik und Film existiert. Der Gedanke, dafür etwas zu bezahlen, mutet ihnen nachgerade absurd an. In ein paar Jahrzehnten dürften Holzmedien jeglicher Art nur noch für Sammler von Bedeutung sein.
Ein Stück Elektroschrott...
Ein Stück Elektroschrott mehr, das trocken gelagert, regelmäßig mit neuer (fehlerbehafteter) Software versorgt und an einer Steckdose aufgeladen werden möchte. Dazu eine Unzahl komplexer Verträge.
Man stelle sich die Fahrt eines Bürosklaven in den Urlaub vor: Der BBerry und das private Mobiltelefon, der Laptop, eine Kamera, dann auch noch ein E-Reader. Dazu Unmengen an USB-Kabeln (alle mit jeweils anderem Stecker…), Akkus, Ladegeräten….
Könnte es sein, daß die Leute aktuell eher daran arbeiten, ihr Leben zu vereinfachen oder zumindest nicht komplizierter zu machen, als es eh schon ist?
Ich gucke bereits während...
Ich gucke bereits während meines gesamten Arbeitstages auf die Pixel meines Büro-Desktops.
Den Teufel werd`ich tun und dies auch noch in meiner Freizeit ausweiten.
Es geht nichts über Papier das man Umblättern und ins Regal stellen kann.
Wenn der Inhalt nichts taugt kann ich damit immer noch meine Heizung befeuern.
Bei einem E-Book o.ä. bekäme ich Ärger mit den Nachbarn.
@don, elbsegler: da kannich...
@don, elbsegler: da kannich nur zustimmen! Und wer garantiert für die Vollständigkeit der Texte? Oder gibts dann Sonderangebote mit der freundlichen Kurzfassung? Schrekliche Vorstellung! Wenn ich was lese dann aucch ganz und ohne immer eine Steckdose + Ladegerät in der nähe haben zu müssen!!
Du übersiehst, dass es in der...
Du übersiehst, dass es in der Vergangenheit relativ wenig Belletristik-Bestseller auch in digitaler Form gab – ein Grund sowohl für das bisherige Nischendasein von Lesegeräten als auch für die Beschaffenheit der Ciando-Bestsellerliste. Unter Einbezug von Downloads gemeinfreier Literatur (Project Gutenberg, Internet Archive, …) ergäbe sich aber schon heute sicherlich ein weniger „freakiges“ Bild der eBook-Charts.
Hinzu kommt, dass in den vergangenen Monaten und gerade auch jetzt rund um die Frankfurter Buchmesse Verlagsgruppen wie Random House und Holtzbrink erstmals richtig ins eBook-Geschäft einsteigen und attraktive Inhalte bereitstellen (wenn auch noch zu den Kunden nicht vermittelbaren Preispunkten). Auch gibt es heute Lesegeräte mit 3G-Modul von Amazon und txtr, die erstmals einen Dau-sicheren und richtig komfortablen Zugang zu digitaler Literatur erlauben. Der Status Quo ist in dieser Hinsicht also kaum mit Dotcom-Zeiten zu vergleichen, das eBook hat diesmal eine echte Chance imo.
Ciao
Johannes