Das ist aber ein schönes Buch, sagt der Metzger und streift sich die Handschuhe ab, an denen sich vermutlich das aus meinem Kiefer geflossene Blut befindet, rot und vielleicht ein wenig eitrig, was nach der letzten Nacht voller Pein keine besondere Überraschung wäre. Ich kann gar nicht hinschauen, und am liebsten wäre ich ohnehin tot. Ich erkläre dem Metzger, dass ich als Panikpatient gerne jesuitische Schmähschriften auf Protestanten in Kirchenlatein lese, wenn ich im Wartezimmer des Gemetzels harre. Ich kann mich voll auf jedes Wort konzentrieren, zittere nicht bei den unheilverkündenden Schritten der Sprechstundenbeihelferin, und ausserdem kann einer wie dieser Herr Sardegna, der gegen Luther argumentiert, gar kein schlechter Mensch sein. In Gold ist der Autorenname auf dem dunkel gemaserten Ledereinband des 18. Jahrhunderts eingeprägt, dahinter marmoriertes Papier und der Buchblock ganz in Blutrot; ein Buch, das allein schon sehr viel über den Autor verrät.
Ich nehme das Verdikt des Metzgers, zu krank für die Buchmesse zu sein, resignierend zur Kenntnis, fahre heim und lege mich ins Bett. Neben meiner Raststelle ist ein Bücherschrank mit einer kleinen Handbibliothek. Ich in fraglos biblioman; wenn ich etwa eine alte Ausgabe der Gefährlichen Liebschaften in Halbleder sehe, kaufe ich sie, auch wenn ich sie schon ein paar mal habe, und gebe ihr für ein paar Jahrzehnte ein gutes Zuhause – in 60 Jahren, sage ich mir, werden auch die alten Halblederbände des 20. Jahrhunderts selten sein. Daneben steht das Prosawerk von Schnitzler aus den 20er Jahren, Heine mit einem Frauennamen in blassblauer Schrift darin, der gute Hirte durch schlechte Tage mit dem Namen Villon aus der DDR, Thackery und Kant, alles schon etwas älter und sehr schön. In Würde und Schönheit gealtert, was man von mir selbst und vielen in meiner Lebenszeit gedruckten Büchern nicht zwingend sagen kann.
Es gab zu allen Zeiten elend schlecht gemachte Bücher, vieles aus dem 19. Jahrhundert zerfällt mit besten Gründen, und die mediokre Buchproduktion des späten 20. Jahrhunderts gilbt dem Vergessen entgegen – mein geliebter Walter Mehring aber sieht schon nach 25 Jahren schlimmer aus, als der hetzerische Sardegna nach 230 Jahren. An Büchern kann man sehr schön den Unterschied zwischen Patina und Zerfall betrachten. Das alte und gar nicht so teure Faksimile des Gebetbuches des Michelino de Besozzo etwa wird von Frauenhand oft und gern berührt ob seines Samteinbandes, und das, obwohl religiöse Andachten nun nicht zwingend das sind, was Frauen zu tun gedenken, wenn sie erst mal auf dem Bett ins Buchregal greifen. Warum aber tun sie es? Weil es schön ist und sagt: Fass mich an.
Darüber würde ich gerne etwas hören. Bevor mein Kiefer wie ein Gugelhupf aufzuquellen beschloss, habe ich mir das Programm der Buchmesse angeschaut. Da gab es kein Podium mit dem Titel: „Bücher als zeitresistente Wertanlage.“ Oder: „Der Bibliomane, der Verlage Glück und Segen. Mit welchem Einband kann man ihn hätscheln?“ Oder: „Warum sieht Wagenbach Salto nach 20 Jahren immer noch taufrisch aus, und warum wirken Bertelmann-Bücher nach der gleichen Zeit wie ein Betriebshandbuch von Tschernobyl?“ Oder: „Das Lesebändchen. Es muss nicht immer weiss sein, aber sein muss es.“ Oder: „Prunk und Sünde: Lernen von der Typographie des Rokoko“. Oder: „Das Kolphon als Ausdruck der Drucker- und Verlegerwürde“ – ginge natürlich nur, wenn der Druck nicht in China stattfindet.
Mich als Bibliomanen und Mengenabnehmer interessiert das alles brennend. Ich wüsste gerne, wie es ein Buchbinder schafft, dass 200 Jahre nach seinem Tod ein Metzger nach dem Fuhrwerken in meinem Kiefer angerührt ist von der Schönheit seines Schaffens. Das ist grosse Kunst am Buch und an seinem Betrachter. Vielleicht könnten Verlage auch mal ein paar nervige PR-Leute anderen Tätigkeitsfeldern zuführen und dafür Künstler einstellen, die wissen, wie das geht: Patina. Zeit. Geschichte. Dauerhaftigkeit. Es muss ja nicht altbacken ein, man darf Büchern gern die Zeit ansehen, aus der sie stammen. Nur sollten sie diese Zeit später auch in Würde repräsentieren. Die Schutzumschläge der Suhrkamp-Bibliothek etwa bleichen schnell in der Sonne aus, aber die Einbände selbst werden erst nach 20, 30 Jahren richtig schön.
Ich will also gar nicht betrogen werden, man muss mir kein Lederimitat bieten und versuchen, die grosse Zeit der schwarzen Kunst zu simulieren – ich weiss, das ist vorbei, so gut wie niemand druckt noch auf handgeschöpftem Papier, und auch viele Leute an den Ständen werden kaum wissen, wer Aldus Manutius war, und wie sie sich mit ihren Taschenbüchern an seiner Idee versündigen. Die Zeit, als Bücher allein auf die Oberschicht begrenzt waren, ist glücklicherweise vorbei, und nun stellt sich die Frage: Wie macht man ein Massenprodukt dauerhaft schön, wie verleiht man dem Produkt Buch eine Ausstrahlung der Dauerhaftigkeit, die es brauchen wird, um in unseren Tagen der vernetzten Beschleunigung als Ruhepol geliebt und gekauft zu werden. Denn nicht die Anpassung an die schnelle Lesbarkeit im Internet kann die Zukunft des Buches sein, sondern an jene Momente, in denen man Zeit und Ruhe oder schlimmstenfalls ein entzündetes Kiefer hat.
Dann schlafe ich ein und träume von einer Badewanne voller Tiramisu, das ich eigentlich nicht mag.
@Don
Ja, bitte was über das...
@Don
Ja, bitte was über das Londoner Konzil von 1237.
Wunderschönes Thema und...
Wunderschönes Thema und Beitrag.
Ein paar Themen über die es sich zu reden lohnt oder damit sie im Block verweigt werden:
– Büchervernichtung: gab es laut Norbert Brox schon im Altertum,
– Ein Tip für die Fahrt in die Oberpfalz. Christian Knorr von Rosenroth Gesellschaft
in Sulzbach-Rosenberg und die größte Jüdische Druckerei Europas (jetzt oder schon nicht mehr ist ein Möbelgeschäft drin)
– Der geruch der Bücher. Wenn Sie die alten russischen Physikbücher (landau Lifschitz etc) in Deutscher Überstzung aus den VEB gelesen und gerochen haben (auch wenn Sie später wegen der Säure zerfallen sind) ein Genuß auch optisch gegen solche (Mach)werke aus dem Haus Oldenbourg (na ja zumindest durften sie den katholischen kathechismus verlegen)
– Ach ja wie schade dass Harry D(T)eutsch dann in den schwäbischen (?) Verlag (wie hies er noch?)überging
... erzählen Sie uns noch,...
… erzählen Sie uns noch, wie der Band riecht?
„… ea tormenta olfactum esse cruciatura omni modo, quo is sensus cruciari queat, hinc acrimonia, unde recte comparentur „fumo, sulphuri“, foetore, unde recte comparentur „sentinae et rebus putridis“.
…
eos cruciatus, sicut intensi olfactus criciatus solent, extensum iri ad totam naturam sensitivam, causaturos inbicilem nauseam, infecturos gustum, perturbaturos mentem; … eosdem tenuem tantum fore adumbrationem spiritualis foetoris animarum illarum, ex omni earum cogitatione, verbo, actione prodeuntis, Deumque ad nauseam veluti provocantis.“
Ob eine Kirche evangelisch oder katholisch ist, erkennt man zuerst am Geruch.
Was soll's denn sein? Dier nur...
Was soll’s denn sein? Dier nur für die Spezialisten unter uns spannende Herleitung der Sakramente über das Londoner Konzil 1237 und Folgende? Oder reicht schon der längere Titel „qua adversus veteres novasque haereses ex scripturis, patribus, atque ecclesiastica historia, catholica veritas propugnatur“? Sagt ja auch schon alles. Oder?
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ErnstWilhelm, ich als Bewohner eines ehemaligen Jesuitenseminars kann mich npch imnmer trefflich an diesen geschlagenen Schlachten amüsieren. Ja, ich gebe es zu: Ich lese Streitschriften des 18. jahrhunderts mit Genuss. Weil sie nicht so weichgespült sind wie das, was wir heute haben, weil es damals noch um alles ging, Leben und Tod, Seelenheil und Verbot.
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Ansonsten kann ich nur sagen: Es gab Ende der 20er Jahre von Th. Knaur Klassikerbände, die bei mir alle Reisen und dortige Bedrängnisse klaglos mitgemacht haben. Natürlich zwingt das mitunter zu Werken wie „Weib und Stier“, aber wenn es Urlaub ist, was soll’s. Natürlich ist die moderne Klebung ein Graus, aber ein gites Buch erkennt man eben, wenn es beim Öffnen richtig klingt.
Lieber Don,
goennen Sie uns...
Lieber Don,
goennen Sie uns doch mal ein aussagekraeftiges Zitat. Damit das Gebloedel hier ein Ende hat.
Es ist ein rein mechanisches...
Es ist ein rein mechanisches Problem. Bücher müssen einfach haltbarer werden. Was hindert mich daran auch nur einen Band meiner zehnbändigen Werksausgabe Dostojewskis auf dem Sofa oder im Bett in die Hand zu nehmen? Es ist die Angst vor dem Zerfall! Deshalb fordere ich die Entwicklung wirklich haltbarer Bücher, bevor das E-Buch auch von mir Besitz ergreift.
Und noch ein Wort zum Protestantismus und Katholizismus. Alle Schlachten sind geschlagen. Die Feinde stehen jetyt woanders. Es bleibt nur die Erinnerung an die Worte meiner Großmutter: „Mee düsse Katholschen speelet jei nich!“
Lieber ein Esel unter Büchern...
Lieber ein Esel unter Büchern als ein faules Schaf vor der Glotze.
HansMeier555, wer sollte Sie...
HansMeier555, wer sollte Sie an Bücher schlagen? Aber es trifft schon zu, man wird mit vielen Büchern schnell der Esel seiner selbst. Irgendwo ablegen (insinuiert der Don) ist keine überzeugende Ausflucht. Ob eine Art „multum non multa“ weiterhülfe?
HansMeier555, es geht da vor...
HansMeier555, es geht da vor allem um die Sakramente und deren Gebrauch, und das Buch, wenngleich in flachem Kirchenlatein geschrieben, wendet sich an daqs Fachpublikum, ja es zitiert sogar gegnerische Schriften.
... und jetzt bitte noch ein...
… und jetzt bitte noch ein paar deftige Zitate aus dem Teil da oben gegen das Protestantenpack, das den Buchdruck schamlos missbrauchte, um das arme Volk – als haette es nicht ohne dies genug Sorgen gehabt – auch noch in Landessprache mit den vier Evangelisten plus fuenf Serien Moses vollzubibeln, schlimmer als heute die nervigsten Kampfblogger.
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Ich sage: Schon der Buchdruck war eine Fehlentwicklung, vom Gutenberg fuehrt eine breite Strasse direkt ins Jammertal.
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Protestantismus aber ist Pflicht und Verdammnis im Diesseits. Schoene gute Buchausgaben, die man nicht Wegschmeissen darf, nach fuenf Umzuegen spuere ich sie im Kreuz als haette man mich drangeschlagen. Nie wieder Buecher!
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Eine Ausnahme machen wuerde ich fuer die fruehen Ausgaben der lustigen Taschenbuecher von Walt Disney, wo jede zweite Doppelseite schwarzweiss war. Der „Kolumbusfalter“ fuehrt uns zurueck in das Paradies einer prae-alphabetischen Kultur.