Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Das Menschenbild zwischen Bier und Buch

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Herta Müller ist anscheinend von ihrem Infekt genesen und nun doch auf der Buchmesse, was für Menschenballungen sorgt. Ebenso das tschechische Bier bei Kunstmann und der Sekt bei Wagenbach. Und am Vorabend bei Rowohlt ballt es sich sowieso immer.

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Am eher unscheinbaren Stand der chinesischen Epoch Times in Halle 3.1 ist die Hölle los. Schon eine gute Viertelstunde vorher ballen sich hier die Massen, denn alle wollen Herta Müller sehen. Dann kommt sie, schiebt sich durch den Pulk und berichtet von den Ideologien der Diktaturen, die immer so seltsame Menschenbilder ausformen, den Sowjetmenschen, den sozialistischen Menschen, und daß sowas nie gutgeht, weil es solche Menschen nicht geben kann. 

Da klingelt das Telefon und Holgi ruft an, der ein Radiomensch ist, kein Büchermensch, und sich treffen will. Mensch! sagt er, als er nach einer halben Stunde Orientierungslosigkeit endlich den FAZ-Stand gefunden hat. Die sind hier ja alle wahnsinnig gut angezogen, diese Verlagsmenschen! In dieser Branche wolle er auch arbeiten, wenn die alle so nett aussehen. Warum eigentlich, frage ich, sehen Literaturmenschen immer so viel besser angezogen aus als etwa Musiker, obwohl beide mit abstrakten Zeichensystemen zu tun haben? Es ist uns ein Rätsel, auf das wir keine Antwort finden.

Übrigens, so bekomme ich berichtet, sei das meistgeklaute Buch der Leipziger Buchmesse Sarah Kuttners „Mängelexemplar“ gewesen. Sie ist ja auch keine Schriftstellerin, sondern ein Medienmensch, sie muß sich nicht erst aus dieser kleinen Literaturwelt hinaus Gehör verschaffen, da hat man es leichter. Nun werden Wetten angenommen, was das meistgeklaute Buch der momentanen Frankfurter Buchmesse sein wird. Ich wette, der Autor wird entweder Frank Schätzing oder Dan Brown heißen, was jetzt nicht sonderlich überraschend wäre, aber wenigstens werden die beiden sich ein spannendes Duell auf der Zielgeraden liefern. Denn geklaut wird ja vor allem am Wochenende, vom Publikum, und was der Bauer nicht kennt, das klaut er nicht. Ich würde lieber „Loslabern“ klauen, habe aber Skrupel, weil es Suhrkamp auch so schon schlecht genug geht. Außerdem ist es ein bißchen dünn, und wenn klauen, dann was richtig dickes, sonst lohnt es sich nicht.

Ich bin Rainald Goetz auch ein bißchen grantig, er ist gestern dauernd auf meiner Handtasche rumgetrampelt. Gut, es war eng bei Rowohlt im Schirn-Table, trotzdem, das muß man doch merken, wenn man auf jemandes Handtasche steht. Ich bin dann immer weiter zurückgewichen, er und seine Gesten wurden dagegen immer raumgreifender. Anscheinend bin ich die einzige im Raum, die in seinem Buch Loslabern nicht vorkommt, denn so gut wie jeder weiß eine Goetz-Anekdote von sich zu erzählen. Bevor es bei Rowohlt dann noch richtig blutig wurde und sich jemand mit mehr Alkohol als Hirn im Schädel ebendenselben aufschlug, war ich schon weg. 

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Dennoch ist mir ein wenig schwummrig heute auf der Messe, dabei ist erst der zweite Tag, und wanke etwas kopfwund durch die Gänge. Dann stoßen Holgi und ich schon wieder auf eine Verdichtung gutangezogener Menschen, das ist die Standparty bei Kunstmann und Wagenbach, da gibt es tschechisches Bier, das heißt Staropramen. Was machen die hier? fragt er. Die glühen vor, erkläre ich, bevor es am Abend dann richtig zur Sache geht. Es geht jeden Abend zur Sache, und Buchmenschen brauchen immer etwas mehr Alkohol, um sich innerlich zu lockern. Es ist vielleicht ein ganz eigener Menschenschlag, der hier durch die Gänge eilt, aber diese Menschen haben sich von selbst ausgeformt, sie sind nicht von jemandem verordnet worden oder gehorchen einer Ideologie. Sie lesen alle entsetzlich viel, das ist alles.


32 Lesermeinungen

  1. fraudiener sagt:

    Oh, wie reizend. Ich glaube,...
    Oh, wie reizend. Ich glaube, ich muß da ein paar Meinungen revidieren.

  2. Sehr geehrte Frau Diener,

    Sie...
    Sehr geehrte Frau Diener,
    Sie kommen durchaus bei Goetz vor, und wie: als „unsagbar zitterhaarige“ „Kitschgestalt, wie sie in den einschlägigen Frauenblogwelten als ältlich altmodische Sumpfblume, die endlich doch auch noch einmal blühen darf, für vier Leute im Netz, in großer Zahl, Klebrigkeit und frauenhaft selbstbewusster Penetranz seit einigen Jahren überall gewachsen ist, der berühmte Don hatte einen späterhin noch berühmten Artikel über diese Andrea für die gedruckte Faz geschrieben, gut, die bloggte da also so bisschen peinlich bieder, wie sie halt so drauf ist, vor sich hin, das störte auch nicht weiter (…) (Loslabern, S. 31 f.).
    Da ist das mit der Handtasche nur eine Lappalie…
    Mit besten Grüßen
    O.

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