Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Unter Hegemännern

| 38 Lesermeinungen

Ach, wie schön ist die Buchmesse, wenn der Betrieb das tun kann, was er am besten kann: Betrieb sein. Zu dumm, dass es vor einem halben Jahr so ein Problem mit einem Bestseller gab, der den Betreib mit allen seinen Gliedern gar nicht gut aussehen liess. Doch frischauf, frischauf, nur guten Mutes, dann macht es die Jahreshauptversammlung der Hegemänner zu Frankfurt am Main vergessen!

Hurra, sie leben noch. Kein Agent, kein Verleger, keine Jungautorin, kein Jurymitglied, und vor allem kein Lobhudler aus den Medien mit eigener Verbindung zu einem Skandalverlag hat sich etwas angetan, noch nicht mal eine Selbstentbedauerung. Alle sind quietschlebendig und voller Vorfreude auf eine tolldreiste Woche. Alle werden ihr Bestes geben, damit die Stimmung nicht dem ersten Jahrestreffen des AKW-Betreiberverbandes nach der Tschernobylkatastrophe gleicht, die verstrahlten Rezensionsanzüge wurden in den Tiefen des Archivs vergraben, und um die Folgen der Causa Hegemann werden sie einen Betonsarg der guten Laune giessen. Verantwortliche wurden noch keine gefunden, die Schuld möchte auch keiner übernehmen, und weil man höflich ist, hält man sich auch zurück mit der Nennung von Namen: Niemals würde man dem Biller… oder der Radisch…

Es war ja eigentlich nichts, nur ein paar vorlaute Blogger, aber deshalb muss man doch nicht das Geschäftsmodell überdenken. Gut, viele haben etwas zum Hegemann-Sound erklärt und dabei nicht bemerkt, dass ein anderer Sänger das Lied intonierte, aber auch die Musik- und Kunstkritik hat solche Skandale überlebt. Kein Grund für falsche Bescheidenheit! Echte Deutungshoheit wird auch im Schmutz so einer Affaire keine Bedeutungstiefheit.

Bild zu:  Unter Hegemännern

Das Schöne an diesem Betrieb ist, dass er betriebsbedingt unkündbar ist. Es ist nicht Tschernobyl, sondern nur ein Betriebsunfall. Das nächste Mal passt man eben etwas besser auf: Das Lektorat googelt die besten Stellen des Buches einmal durch, die Journalisten machen drei Vergleiche mit Goethe und zwei mit Gottes Schöpfungskraft weniger, ausserdem hat man den Schweinkram jetzt durch, und die Prn0karriere einer 12-Jährigen wäre für diese Saison – Weihnachtsgeschäft – auch etwas viel. Aber sicher gibt es irgendwo eine anämische junge Dame mit Halbseelchen und Eltern aus dem Betrieb –  turnusgemäss wären jetzt übrigens wieder die Journalisten dran – die es mit Innerlichkeit in die roadgekillten Herzen der Szene schafft. Innerlichkeit ist gut, da muss man kein krasses Zeug aus dem Netz klauen, nur Bausteine von Zoe Jenny und den hinteren Plätzen der diesjährigen Bachmanndamen remixen. Man kann unter Hegemännern ja sagen, was man will, aber die Nummer mit dem Remix und der Debatte über das veraltete Urheberrecht, da hat man echt nochmal offensiv die Kurve gekriegt. Da sah der Betrieb sogar mal richtig fortschrittlich aus, jetzt weiter mit den Standards: Hat eigentlich wer dieses Buch von dieser Buchpreisträgerin gelesen? Nein? Na auch egal.

Bild zu:  Unter Hegemännern

Denn wichtig sind nur die Hegemänner. Ohne Hegemänner bewegt sich nichts, sie erfinden die Höhen und werfen in Tiefen, sie modellieren Ziergärten mit verkruppelten Buchbonsais und die Müllhalden der überschüssigen Bücher, die man zum Füllen des Programms brauchte. Sie hegen den Markt und pflegen sich selbst, es ist ihnen ein klein wenig peinlich, dass man sie einen Moment so deutlich erkennen konnte, dass sie ein wenig zu sehr ihrer Hegemämmlichkeit gehuldigt haben, aber dafür muss man sich doch nicht etwa entschuldigen. Man war nur kurz im Licht, als die Plagiatorenvorwürfe aufleuchteten, zufällig, dumm gelaufen, warum sagt einem denn keiner was: Das allerdings, nicht die Fälschung, aber den peinlichen Moment, den nimmt man diesem gescheiterten Bestsellerprodukt, nach dem man sich benennen kann, schon etwas übel. Es hätte alles so schön werden können, man hätte sich die kommenden Tage bejubeln können, unisono das Richtige entdeckt zu haben und das Wahre – das geht jetzt nicht mehr. Was die bei Fischer dieses Jahr wohl auftischen?

Bild zu:  Unter Hegemännern

Man wird trotzdem gebraucht, und wenn man es nicht mehr auf der einen Stelle tun kann, topft der Betrieb den Hegemann an eine andere Stelle um. Alle sind sie da und sagen Mhm und Aber gerne, sie nehmen die Einladungen und haben die Nummern, und sie wissen auch, was gut für Sie Leser ist: Nur das, was gut für den Betrieb und die Hegemänner ist.

Vielleicht denken manche, dass es gar keinen Betrieb gibt, sondern nur Hegemänner, die andere Hegemänner hegen? Wie gemein. Kein Respekt vor dem Kulturgut Buch, um das es geht. Steht ja auch drauf: Buchmesse. Nicht Hegemannmesse oder Freakshow. Wo denken Sie hin und warum glauben Sie, denken zu dürfen? Seien Sie dankbar, dass die Hegemänner  wissen, was für Ihren Bücherschrank gut ist.


38 Lesermeinungen

  1. donalphonso sagt:

    Ich muss nachher mal bei...
    Ich muss nachher mal bei meinem Kettensägenlieferanten dabei. Was für ***** ******* sitzen in Jurys, die solchen ***** ***** den **** schmieren?

  2. loreley sagt:

    Hegemann hat ein Stipendium...
    Hegemann hat ein Stipendium für Villa Aurora in Los Angeles erhalten.
    https://lesekreis.org/2010/09/11/helene-hegemann-erhalt-stipendium-fur-villa-aurora-in-los-angeles/
    Die nächste Göre ist schon da. Generation Geil, heisst das Buch.
    Dafür, dass ich den deutschen Literaturbetrieb eigentlich ignoriere, bekomme ich immer noch genug mit, um solche nutzlosen Dinge zu wissen.

  3. donalphonso sagt:

    annasethe, ich mag dasDing da...
    annasethe, ich mag dasDing da auch nicht, und habe jetzt schon wieder Sehnsucht nach den Bergen der Toskana. Wenn ich da heute hinfahre, trage ich ein Jagdjacket. Keine Flinte, aber dennoch werde ich manchen etwas überbraten.

  4. donalphonso sagt:

    Ich denke, man sollte Arsene...
    Ich denke, man sollte Arsene Lupin aus einem gewissen historischen Interesse heraus gelesen haben – aber ich bevorzuge doch ganz klar die schwarze Serie.

  5. donalphonso sagt:

    Ich werde das gern...
    Ich werde das gern weitergeben.

  6. Trias sagt:

    Unter Hegemännern bewegt ...
    Unter Hegemännern bewegt man sich doch eher ungern, kennt man doch
    schließlich schon. Aber einen selbstgeschriebenen Beitrag von Frau A.Diener
    zu lesen mag doch nach langer Abstinenz einmal wieder richtig erfrischend
    sein. Nur zu, bitte, und bis zur Mille Miglia ist es eine lange Durststrecke,
    auch noch Weihnachten dazwischen und die Rodelsaison. mfG T.

  7. annasethe sagt:

    chandler. yes, yes, yes. und...
    chandler. yes, yes, yes. und bitte auch george smiley samt karla.
    .
    ‚Wozu Buchmesse? Ich les einfach immer die Bücher aus der Spiegel-Liste und im Bücherschrank in der guten Stube habe ich 15 aus jedem Band Kindler willkürlich ausgewählte und möglichst antiquarisch erworbene Titel stehen.‘
    that takes the biscuit! Sie urviech, Sie! bitte sorgen Sie dafuer, dass Sie dereinst fuer die nachwelt in granatapfelaspik eingelegt werden oder aber gleich in akryl gegossen.
    .
    im uebrigen: schoen beschrieben, das ganze gedoens in frankfurt. ich kann an der veranstaltung nichts finden. und wuerde wohl herrn sylters methode folgen, wenn es keine alternative gaebe. vor ein paar tagen sass ein erschoepfter, jedoch selig laechelnder lektor eines hiesigen kunst- und bildbandverlages auf dem stierblutroten chesterfield in meinem bureau. er war mit sich sehr zufrieden, denn er hatte recht nette titel verlegt. extra fuer frankfurt, den globalen umschlagplatz. alles sehr solide. namhaft. ausgewogen. unhegemannsch.
    .
    er konnte meine gleichgueltigkeit nicht verstehen. ich erzaehlte ihm daraufhin von leipzig. ja, verehrter don, Sie als ossiveraechter wollens nicht hoeren. fuer ihn, den angelsachsen, wars geradezu ein novum. es ist provintz und doch ist, was die eigentliche freude am buch anbetrifft, leipzig das passendere ereignis. nicht nur, weil dies der ursprungsort der messe ist. da kann man froehlich ausrufen: ‚die welt, ein dorf‘, wenn einem auf denselben seitenwegen wie Ihrem herrn kollegen platthaus ein buch mit dem titel ‚die welt in 100 jahren‘ (anno 1910, FAZ, 7. aug ’10) in den schoss faellt. zugehoerig den rara, auf die man sich so gern versteift. haette der exzentrische antiquar in diesem schier unmoeglichen lesecafe mir den dumpingpreis genannt, fuer den Ihr herr p. es geradezu ergatterte, hm, es haette nicht zu besagtem artikel gefuehrt. dieser sorgte zumindest bei mir fuers rechte nostalgieaufkommen, post buchmesse, und natuerlich fuer einen heimwehschub. auch ist das buch an sich umwerfend!
    .
    entlocken Sie bitte der krampfig kommerziellen buchmesse da etwas nach Ihrer art.
    .
    vielen dank
    a.s.

  8. pardel sagt:

    Lieber hansgeier333, Sie haben...
    Lieber hansgeier333, Sie haben sich verraten: Sie wissen sehr wohl, wer mit Hegemann gemeint ist, Sie haben als erster heute das Wort „Fräulein“ verwendet. Und das ist erfreulich, dass man weiss, wer gemeint ist! Nicht das Wissen um die Gemeinheit, sondern die Gemeinheit selbst ist schändlich! Ich jedenfalls habe mir vorgenommen, dieses Fräulein und das, wofür sie steht, nicht zu vergessen.
    Anderseits: Vielleich fühlt sich die Betreffende ob der Bezeichnung „Fräulein“ verunglimpft, sie hat ja Sachen geschrieben (wenn nicht angegebenes „copy and paste“ denn Schreiben ist) die, so wurde medienwirksam kolportiert, wenn sie autobiographisch gemeint waren, diese Bezeichnung ausschliessen.

  9. Vi sagt:

    Danke!...
    Danke!

  10. schusch sagt:

    DA. "Über die...
    DA. „Über die DeTeBe-Klassiker müsste man wirklich auch mal was schreiben: Chandler muss einfach so und nur so gelesen werden.“
    Ich bitte darum.
    Ich hab diese Bücher zuerst von meiner Mutter ausgeborgt, bevor ich mit den „Schwarzen Filmen“ was anfangen konnte. Konnte dann ne Menge auch mit dieser Filmkunst anfangen.
    Später natürlich im Original und noch später in La Jolla dann einen Whiskey darauf getrunken.
    Reclam Hefte, DeTeBe Taschenbücher, Edition Suhrkamp….
    Heißt so was heute „Äpp“?

Kommentare sind deaktiviert.