Letzte Woche war ich in Siena. In der frühen Nacht erreichte ich das Halbrund des Campo, ein dunkles Feld inmitten rot erstrahlender Stadtpaläste. Überall Menschen, Trubel, Gelächter, nur mitten auf dem Platz sass ein einsamer Mensch. Er starrte auf ein helles Rechteck vor ihm. Es war an einem wonniger Frühherbstabend in der Toskana und auf einem der schönsten Plätze der Welt – aber er starrte auf sein elektronisches Lesegerät. Allein. Sehr lang.
Er hatte eine dieser Hipstertaschen dabei und mag sich cool gefühlt haben, hier auf dem Platz mit der Leuchtfläche vor sich. Aber der Markt spricht eine etwas andere Sprache: Seit drei Jahren vertreibt Amazon einen E-Reader mit dem Namen Kindle, und in dieser Zeit wurde das Gerät technisch verbessert – kostet aber heute nur noch die Hälfte vom Originalpreis. In drei Jahren, kann man ausrechnen, wird der Preis bei Null sein. 2016 wird man dann hören: Kaufen Sie ein E-Buch und erhalten Sie zwei Kindles gratis. Und das ist dann kein Statussymbol mehr, mit dem man auf dem Campo von Siena beim Auffallen reinfallen kann.
Es ist aber der Weg aller elektronischen Geräte: Mobiltelefone würden vom Staussymbol zum Anhängsel der Verträge, Notebooks gibt es zu Internetverträgen dazu, insofern ist es nur logisch, wenn demnächst auch der E-Reader verschenkt wird, damit man dafür möglichst viel Inhalte kauft. So setzte sich übrigens im 19. Jahrhundert auch die Öllampe durch: Die Lampe war umsonst, aber das Öl musste man bezahlen. Ist das verschenkte Basisgerät erst mal durch Käufe refinanziert, beginnt das grosse Verdienen, solange keiner auf die Idee kommt, das Gerät zu hacken und gestohlene Inhalte aufzuspielen. Man wird E-Reader beim Fastfoodmenü dazu bekommen, Drücker werden sie an den U-Bahnen verteilen.
Kurz, jeder wird sie haben, weil sie für jeden immer verfügbar sind, dank fleissiger Sklaven in China und der Logik des Marketings. Und weil sie dann jeder haben kann, wird man auch jeden damit sehen. Das Buchuniversum wird plötzlich wie ein bezahltes Himmelsreich der Bücher, das nicht von Hölle und kein Fegefeuer begleitet wird, wo jeder dazu darf und, wenn er nur zahlt, alles immer sofort auf seinem Gerät haben kann, Loreroman oder Zettels Traum, ganz egal. Das ist ein wenig wie die Vorstellung der Apokatastase, dass man stirbt und im Jenseits zwangsfrohlockend auf immer mit allen Idioten, Nervensägen und Schleimern aus Schule, Uni und Beruf zusammengesperrt ist. In solchen Momenten der Ewigkeit wäre so eine Hölle für die anderen ebenso fein, wie ein eigener Privathimmel.
Sollte das im Jenseits so sein, kann man es hier unten nicht ändern. Aber ein Buchhimmel, in dem die Idioten unter sich bleiben, ist auch eine Art Hölle, und der private Himmel, den man sich schaffen kann, der nur einem selbst gehört und olympische Freuden verspricht wie der, dass man auf alle anderen herab schauen und den Kopf schütteln kann – dieser private Buchhimmel heisst Bibliothek und ist aus Papier. Nicht billig, nicht platzsparend, eine kleine Hölle beim Umzug, aber auch ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann, wenn die Lizenz von E-Books längst abgelaufen ist.
Nicht weit vom Campo und seinem einsamen E-Leser ist übrigens der Dom mit einer Seitenkapelle, in dem die mittelalterlichen Prunkhandschriften aufbewahrt werden. Die wenigsten Besucher dürften sie lesen können, oder sich für die Inhalte interessieren – aber man muss sie trotzdem gesehen haben, wenn man Siena besucht. Schwer vorstellbar, dass man E-Readern wie dem kostenlosen Kindle von 2013 im Jahren 2513 mit dem gleichen Interesse begegnen wird.
Trouvaille, aber war es nicht...
Trouvaille, aber war es nicht schon immer so, dass die Buchliebhaber eine kleine Minderheit waren, und sich der Markt eben um diese Minderheit kümmerte? Zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Aufkommen der Glotze gab es einen gewissen Boom, und allein dieses Niveau gehalten zu haben, ist soch schon eine feine sache.
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hansgeier333, sowas muss es auch geben. Dann bleiben mir mehr Bücher.
Im Bundestag sind E-Reader...
Im Bundestag sind E-Reader (elektronische Lesehilfen ohne Tastatur) neuerdings erlaubt. Den dort gehaltenen Reden kann es kaum schaden…Also doch noch eine Verwendung für das E-Book: Spickzettel für MdBs…
Diese berüchtigt gewordene...
Diese berüchtigt gewordene Öllampen-Politikk (war das nicht anno dunnemals in China?) benutzen Kopierer-Hersteller nun auch für ihr Geschäft. Zumindest einfache Kopierer für den hausgevrauch sind sehr billig — aber der Toner anschließend, der kostet dann ein Vermögen. Manchmal lohnt es sich, anstatt eine neue Tonerpackung gleich einen neuen Billig-Kopierer zu kaufen, dazu gibt’s ja sowieso ’ne kostenlose Packung Toner.
die zeit der e-books kommt...
die zeit der e-books kommt dann, wenn es keine taschenbücher mehr zu verramschen gibt.
Ist DA wieder dehei?
P.S. ...
Ist DA wieder dehei?
P.S. E-books sowie Facebooks – solche Sachen liegen mir nicht.
Oh, hallo Frau Diener! Endlich...
Oh, hallo Frau Diener! Endlich sieht man Sie an dieser Stelle mal wieder – zumindest auf dem kleinen Bild rechts oben. Ich vermisse Ihren Blog Ding und Dinglichkeit. Dort haben Sie immer sehr schön geschrieben…
Im Anbetracht dessen, dass in...
Im Anbetracht dessen, dass in allen möglichen Winkeln der Welt, Atombomben herummodern oder von verrückten Leuten neu gebaut werden, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass irgend etwas, sei es eine Sienna Handschrift oder ein Kindle, das Jahr 2513 erleben wird.
Koennte mir gut vorstellen,...
Koennte mir gut vorstellen, dass es sich mit den Produzenten und Verkauefern von E-Readern ebenso verhaelt wie mit den Produzenten und Lobbyisten aus der Zigarettenindustrie oder mit Vertretern, die anderen ein langes Arbeitsdasein angedeihen lassen (auf dem Papier versteht sich).
Dieser fortschrittsfeindliche...
Dieser fortschrittsfeindliche Pessimismus rührt einem zu Tränen. Wo ich doch schon elektrisch vor der Glotze sämtliche Formel-1-Boliden versäge. Mit links, weil ich in der rechten Hand die Dose Bier halten muss. Bin gerade auf der Suche nach einem passablem Race-Bike-Programm. Zu Weihnachten gibt´s dann die X-Box in 3D. Und dort, wo das Bücherregal stand, flimmert der Fünfzig-Zoll-Bildschirm wandfüllend. Führende Werke des ersten deutschen Literaturnobelpreisträgers kann ich dann ohne Lesebrille dank mobipocket, project gutenberg und der AKW-Laufzeitverlängerung nachlesen. Schwerter zu Pflugscharen und Bücher zu Klopapier!
So wird es wohl sein. E books...
So wird es wohl sein. E books sind nichts, dessen Bedeutungslosigkeit man bedauern könnte.
Und doch:
All diese Leser, die sich nicht auf das Lesen konzentrieren können, weil sie im Unterbewusstsein immer damit befasst sind, das Lesegerät in Gang zu halten, denn schließlich bedienen sie eine Maschine; und wenn es funktioniert, immer befürchten, der Akku halte nicht durch, die von ihrer Lektüre mehr be- als erleuchtet werden, und dieser Mahlstrom des Vergessens und Verschwindens durch Rechteablauf und technologische Innovation macht mich eher melancholisch.
Besitzer von Büchern sind ja heute schon keine Mehrheit, und wie hatte Gutenbergs Erfindung die Welt verändert. Jetzt kann zwar fast jeder lesen, aber verstopft sich das Hirn mit pettegolezzi und Gebrauchsanweisungen um noch mehr Maschinen zu bedienen. Also die meist konsumierten Inhalte passen ganz gut zum ebook.
Der bibliophile Nichtwestviertelbewohner kann nur hoffen, dass nicht alle Bibliotheken aus den Städten verschwinden. Vielleicht gibt es ja noch so etwas wie die Bibliotheka Maruccelliana in Florenz, wo man an langen Tischen vor geschnitzten Schränken voller Bücher saß, mit einer eigenen Lampe an jedem Leseplatz, und wenn der toskanische Frühling mal wieder auf sich warten ließ, sich an dem Kanonenofen im Zeitschriftensaal wärmte.