Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Der Himmel der E-Reader

| 19 Lesermeinungen

Sie wollen einen E-Reader? Dann warten Sie besser noch ein paar Jahre. Wenn der Preisverfall so weiter geht, wird man diese Geräte spätestens 2020 verschenken, mit Drückern an den Mann bringen, als Zusatz zum Digitalinhalt verschleudern. Jeder wird es haben, alle werden es nutzen, immer, überall, der Himmel für die Masse - und die Minderheit wird sich statt dieser Hölle der Dummen selbst einen Olymp schaffen.

Bild zu: Der Himmel der E-Reader

Letzte Woche war ich in Siena. In der frühen Nacht erreichte ich das Halbrund des Campo, ein dunkles Feld inmitten rot erstrahlender Stadtpaläste. Überall Menschen, Trubel, Gelächter, nur mitten auf dem Platz sass ein einsamer Mensch. Er starrte auf ein helles Rechteck vor ihm. Es war an einem wonniger Frühherbstabend in der Toskana und auf einem der schönsten Plätze der Welt – aber er starrte auf sein elektronisches Lesegerät. Allein. Sehr lang.

Er hatte eine dieser Hipstertaschen dabei und mag sich cool gefühlt haben, hier auf dem Platz mit der Leuchtfläche vor sich. Aber der Markt spricht eine etwas andere Sprache: Seit drei Jahren vertreibt Amazon einen E-Reader mit dem Namen Kindle, und in dieser Zeit wurde das Gerät technisch verbessert – kostet aber heute nur noch die Hälfte vom Originalpreis. In drei Jahren, kann man ausrechnen, wird der Preis bei Null sein. 2016 wird man dann hören: Kaufen Sie ein E-Buch und erhalten Sie zwei Kindles gratis. Und das ist dann kein Statussymbol mehr, mit dem man auf dem Campo von Siena beim Auffallen reinfallen kann.

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Es ist aber der Weg aller elektronischen Geräte: Mobiltelefone würden vom Staussymbol zum Anhängsel der Verträge, Notebooks gibt es zu Internetverträgen dazu, insofern ist es nur logisch, wenn demnächst auch der E-Reader verschenkt wird, damit man dafür möglichst viel Inhalte kauft. So setzte sich übrigens im 19. Jahrhundert auch die Öllampe durch: Die Lampe war umsonst, aber das Öl musste man bezahlen. Ist das verschenkte Basisgerät erst mal durch Käufe refinanziert, beginnt das grosse Verdienen, solange keiner auf die Idee kommt, das Gerät zu hacken und gestohlene Inhalte aufzuspielen. Man wird E-Reader beim Fastfoodmenü dazu bekommen, Drücker werden sie an den U-Bahnen verteilen.

Kurz, jeder wird sie haben, weil sie für jeden immer verfügbar sind, dank fleissiger Sklaven in China und der Logik des Marketings. Und weil sie dann jeder haben kann, wird man auch jeden damit sehen. Das Buchuniversum wird plötzlich wie ein bezahltes Himmelsreich der Bücher, das nicht von Hölle und kein Fegefeuer begleitet wird, wo jeder dazu darf und, wenn er nur zahlt, alles immer sofort auf seinem Gerät haben kann, Loreroman oder Zettels Traum, ganz egal. Das ist ein wenig wie die Vorstellung der Apokatastase, dass man stirbt und im Jenseits zwangsfrohlockend auf immer mit allen Idioten, Nervensägen und Schleimern aus Schule, Uni und Beruf zusammengesperrt ist. In solchen Momenten der Ewigkeit wäre so eine Hölle für die anderen ebenso fein, wie ein eigener Privathimmel.

Sollte das im Jenseits so sein, kann man es hier unten nicht ändern. Aber ein Buchhimmel, in dem die Idioten unter sich bleiben, ist auch eine Art Hölle, und der private Himmel, den man sich schaffen kann, der nur einem selbst gehört und olympische Freuden verspricht wie der, dass man auf alle anderen herab schauen und den Kopf schütteln kann – dieser private Buchhimmel heisst Bibliothek und ist aus Papier. Nicht billig, nicht platzsparend, eine kleine Hölle beim Umzug, aber auch ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann, wenn die Lizenz von E-Books längst abgelaufen ist.

Nicht weit vom Campo und seinem einsamen E-Leser ist übrigens der Dom mit einer Seitenkapelle, in dem die mittelalterlichen Prunkhandschriften aufbewahrt werden. Die wenigsten Besucher dürften sie lesen können, oder sich für die Inhalte interessieren –  aber man muss sie trotzdem gesehen haben, wenn man Siena besucht. Schwer vorstellbar, dass man E-Readern wie dem kostenlosen Kindle von 2013 im Jahren 2513 mit dem gleichen Interesse begegnen wird.

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19 Lesermeinungen

  1. M.M. sagt:

    Hm...mit was eigentlich lesen...
    Hm…mit was eigentlich lesen die Leser dieses Textes diesen Text? Also ich sehe hier weit und breit kein Papier. (Auf iPad gelesen und geschrieben. Igitt?)

  2. Fußnote sagt:

    Heute saß ich länger als...
    Heute saß ich länger als erwartet im Wartezimmer – was mich nicht störte, denn ich hatte Effi Briest dabei auf dem „smarten“ Telefon (ein eher altes Gerät, funktional mit Kalender, 2 E-Book-Readern und ganz sicher kein iAngebe-Gerät).
    (Zu Effi Briest: zum Glück ist meine Mutter aus einer Norddeutschen Bürgerschicht entflohen, die fast genauso schrecklich war, wie die im Buch beschriebene … nicht ganz so herrschaftlich, aber genauso eingebildet, herzlos und dumm).
    Dieses Werk wie viele andere der Weltliteratur gibt es bei gutenberg.org – ein guter Quell für Vielleser die noch nicht alles kennen.
    Ich finde Papierbücher auch was schönes (wenn auch die Regale zu Hause voll sind), das Packmaß von E-Books hat allerdings seine sehr besonderen Vorteile (wenn man bei 2 Wochen Urlaub mehr als 5 Bücher braucht, wird Papier schon sperrig und schwer). Im Telefon ist immer eins dabei – überbrückt Wartezeiten, und Fahrzeiten mit dem ÖPNV. Und es ist auch ohne Leselampe konsumierbar, kann auch mit Handschuhen und einer Hand weitergeblättert werden …
    Natürlich wirkt es viel gebildeter, wenn man Fontane als in Leder gebundene alte Ausgabe aus der Tasche zieht. Aber um den Text zu geniessen brauche ich das nicht.
    Neuere E-Books habe ich auch schon gekauft. Allerdings keine mit absonderlich hohen Preisen oder DRM oder besonderen Geräteanforderungen. Also beim Autor – oder beim vernünftigen Verlag. Da war allerdings kein deutscher Verlag dabei …
    @alter Bolschewik: „manisch Süchtigen, von Texten Abhängigen“ – das trifft wohl auf mich zu. Vielleicht gibt es ja auch die Leute, die dieses Blättern und Papierknittern einfach brauchen? Und den „ich bin was, weil ich die Ledergebundene Ausgabe von 18hundertirgendwas habe“-Faktor?

  3. Das Schulbuch, diesen Gedanken...
    Das Schulbuch, diesen Gedanken hatte ich auch, insbesondere vor dem Hintergrund der von der Leyenschen Chipkarte. Eine Winsituation fuer die Verlage, die Lesepaten kommen ehrenamtlich oder ueber’s Basisgeld.

  4. Antrag auf Abschaltung des...
    Antrag auf Abschaltung des GPS-Signals:
    Volksgesundheit lässt sich testen: Nach der Himmelsrichtung zur nächsten Stadt fragen.
    Ergebnis: 1xrichtig, 1xkeine Antwort, 1×180°verdreht.
    GPS macht uns dumm und unfähig.
    .
    Zum Thema Bildschirmarbeit: Seefahrer kennen das Problem, irgendwann Halos zu bekommen und Meerjungfrauen zu sehen.
    @DAAD: Heute Literaturwissenschaft: „Das doppelte Lottchen“, Piratentochter und Knorr-Bremsen?!?.

  5. Chauvijäger sagt:

    DA@: So gehts ja nun nicht!...
    DA@: So gehts ja nun nicht! Die Dame sollte zumindest sauber Ikonen-artig
    „kommuniziert“ werden“ , Sie Blogpapst, nicht nur ins halbe Bildabseits gedrängt, schüchtern hervorlugen dürfen. Betreiben Sie doch endlich einmal gender studies.
    Gerade das emanzipatorische Moment des E-books berechtigt zu den grössten Hoffnungen, kein Staubwischen und keine Verletzungsgefahr mehr für das weibl. Geschlecht an und auf den div. Buchregalen und deren Leitern.

    nurmalsozwischendurch@: Frau Diener betreibt momentan, wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen in der Bloggerszene zu erfahren ist, deshalb ein sehr interessantes E-book-Projekt in o. a. Richtung mit Quellenstudium zu „Das Sein und das Gestell“, frei nach M. Heidegger.

  6. Wolff sagt:

    Ich besuche gerade eine Dame...
    Ich besuche gerade eine Dame die eine grosse Buecherei geerbt hat die meine kleine Sammlung in den Schatten stellt. Oh, welche Lust! Sich einen Stapel herauszusuchen, darin herumblaettern, unbekannte und bekannte Dinge zu finden und Teile zu lesen bis man daran haengenbleibt und das ganze Buch verschlingt.
    Wenn da noch Randbemerkungen stehen und man darueber nachdenkt, sich aber nicht wagt selber darin herum zu kritzeln, dann ist es doch perfekt. Ich glaube nicht dass das Buch so schnell verschwindet, nicht zu meiner Zeit.

  7. Ach, Gottchen, ich bin ja...
    Ach, Gottchen, ich bin ja wirklich oft einer Meinung mit dem Don. Aber dieser komische Haß auf die e-Books ist für mich wirklich nicht nachvollziehbar. Ob ich ein billiges Taschenbuch lese oder einen Text auf meinem Sony ist mir so etwas von schnurz. Ich habe wirklich das Gefühl, daß die Leute, die auf e-Books schimpfen, keine wirklichen, das heißt manisch Süchtigen, von Texten Abhängige sind, sondern bloße Gelegenheitsleser. Oder Buchsammler, denen es nicht um den Text, sondern um ihr Bücherregal geht. Ich lese alles, schön gebundene Bücher genauso wie billige französische Paperbacks aus den 20er Jahren. Und ich lese elektronische Bücher, und manchmal wünsche ich mir angesichts der Papier- und Druckqualität besagter französischer Paperbacks, sie wären elektronisch erhältlich. Letztenendes interessiert mich der Text, nicht das Kulturgut Buch.

  8. donalphonso sagt:

    nurmalsozwischendurch,...
    nurmalsozwischendurch, bedaure, ich bin es nur, der dicke Don von den Sützen. ich werde das aber an Frau Diener weitertragen!
    .
    fionn, ich war in FFM , und jetzt bin ich aber wieder da. Glücklicherweise.

  9. donalphonso sagt:

    Sketches Of Spam, nun ja, ein...
    Sketches Of Spam, nun ja, ein Angriffspunkt wird sicher das Schulbuch sein – billiger für den Staat, und kinderversauend für die Zukunft. Und keiner wird ein gesetz dagegen machen.
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    Der Tiger, Fetzen und Ruinen wird es immer geben, und zum Glück muss man ein Buch nicht mehr booten.

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