Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Bestseller! Warum Goethe ohne Warum nicht veröffentlichen darf

| 51 Lesermeinungen

Oder Warum heute überhaupt jedes Buch einen Untertitel mit Warum haben muss und warum das der Markt so will, selbst wenn vollkommen klar ist, warum so eine Marotte den Leser in seiner Intelligenz beleidigt und warum das ein Zeichen für den Einfluss der Werber in einer Buchbranche ist, die sich nicht mal mehr fragen traut, warum sie diese den Leser verhöhnende Bande nicht rausschmeisst.

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Ah, der Herr Autor. Ja, also, nehmen Sie Platz. Zigarre? Halt nein, nicht für Sie, Sie essen zu wenig, da sollten Sie nicht auch noch Ihre Lunge schädigen. Also. Der Verleger meinte, wir sollten uns mal über den Titel Ihres Buches unterhalten, jetzt, wo die Buchmesse losgeht. Wissen Sie, junger Mann, Faust ist ja nicht schlecht, na, das hat Punch, das passt wie die Faust aufs Auge des Käufers. Bei Faust fühlt man gleich was in der Magengrube, meine Fresse. Aber man sollte schon sagen, wohin die Faust geht. Weil: Faust allein, das sagt erst mal gar nichts.

OK, ich habe da reingeschaut und, sicher, die Themen, die knallen schon, Kindsmord, Pakt mit dem Teufel, prima, das Gewese mit der Uni müssen Sie noch etwas kürzen, eine Sexszene mehr auf dem Blocksberg wäre auch nicht schlecht, und zwar richtig hart wie diese, äh, na Sie wissen schon diese billige Tante da aus der Analphabten-Glotze mit ihrem Schmuddelkrams, aber das muss dann auch mit auf den Titel. Damit der Leser sofort weiss, was er da kauft. Wer nur den Klappentext hat, hat schon verloren. Der Käufer muss zugreifen! Immer feste druff! Aber bitte nicht einfach so „Hexen, Teufel, Sex, Mord“, das hat heute eh jeder. Wir müssen dem Leser nicht nur sagen, was er liest, wir müssen ihm auch sagen, warum er das lesen muss: Weil ihm nämlich sonst etwas fehlt, weil er sonst dumm bleibt, weil er seine Neugier befriedigen muss. So ein Leser, wenn ich mir Ihre Sprache anschaue, der ist ja schon gehoben, also kein Glotzendepp, sondern ein Inted.. Intilu… ha, Ha, HATSCHIntellektuellaPhuha, ahem, also jemand mit Bildung, und da müssen wir ihm am A… äh also packen. Sonst wird das nix mit dem Bestseller.

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Also, ich habe mit den Vertretern telefoniert, und als Vorschlag – Sie können natürlich Ihre Gegenvorschläge bringen, regen Sie sich doch nicht so auf – als Vorschlag kam heraus: „Der Pakt mit dem Teufel: Warum man dem Beelzebub nicht trauen darf.“ Na? Das zieht. Klarer Kauf. Nicht?

Na also bitte, Sie sind ja auch nicht der Kunde, und Sie wissen sicher, warum Sie die Orgien reingeschrieben haben, und nicht nur Theologie. Also, Wir müssen an den Käufer ran. Wir hatten uns auch überlegt: „Warum des Pudels Kern ein wichtiges Asset für ihre Karriereplanung ist“, weil wir damit auch ganz gross an die Bahnhöfe und Flughäfen gehen wollen, aber dafür müsste in Ihren Auerbachs Keller… könnte man da nicht ein Bad in Budapest draus machen? Mit ein paar Frauen? Nein? Ach kommen Sie… na gut, aber dann denken Sie bitte daran, wenn Sie eine Fortsetzung von Faust schreiben: Der Faust sollte schon eine fetzige Karriere machen, bei einem König oder so, gell. Mit Burnout und Rettung. Und dann schreiben wir drunter: „Warum wir den, der sich stetig strebend bemüht, erlösen können“.

Haben Sie das notiert? Mensch Jöthe, warum glauben Sie sag ich Ihnen das?

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Also, wir haben immer noch das Problem mit dem Cover. Sie sind doch Schriftsteller. Fällt Ihnen da nichts ein? Kommen Sie: Warum… und dann? Na? Ich verstehe ja, es ist nicht leicht, weil die Handlung verworren ist, ich habe das ehrlich gesagt gar nicht kapiert, was der Faust eigentlich mit der Langweilerin will, aber egal, also. Worauf legen wir den Schwerpunkt? Auf den Teufel und die Gesellschaftskritik? „Warum der Teufel Deutschlands Moral abschafft.“ Oder auf die Sausen? „Warum es nicht immer Malle sein muss. Deutschland rockt mit dem Teufel.“ Oder auf die Frau? „Warum die Teufel der 68er am Untergang der Familie schuld ist“, damit würden wir die Leser der WELT ansprechen. „Warum Männerbünde Fauen ruinieren“, das wäre dann eher was für Feministinnen. Was? Passt nicht zum Buch? Ja was glauben Sie denn, was Sie sind? Ein Klassiker oder was? Dann schlagen Sie halt was vor, junger Mann, seien Sie kein verneinender Geist. Was heist hier „Zu Recht“, Mann? Wollen Sie zu Recht zugrunde gehen?

Moment. Hey – das ist es! Tschakka! „Warum wir zurecht zugrunde gehen.“ Da ist alles dabei, das packt das ganz Buch und die veerquaste Handlung in eine punchige Zeile. Das knallt. Faust: Warum wir zurecht zugrunde gehen. Damit kommen wir auch zu Pilawa und den ganzen Indelackduel ach Sie wissen schon. Das wird ein Renner. Da gehen wir gleich mal mit der Startauflage hoch. Morgen haben Sie dann übrigens noch einen Termin mit den Waschweibern von der Klappentexterei.

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51 Lesermeinungen

  1. HansMeier555 sagt:

    Im Provinzstädtchen meiner...
    Im Provinzstädtchen meiner Eltern gab es früher VHS-Literaturkurse, wo die Bauern-Handwerker- und Zahnarztfrauen klassische Romane lasen und darüber sprachen. Meine Mutter sagt, da seien mitunter erstaunlich kluge Einsichten geäußert worden.

  2. HansMeier555 sagt:

    In der Zeit lieber selber mal...
    In der Zeit lieber selber mal wieder ein Buch schreiben.

  3. HansMeier555 sagt:

    Das war schon immer eine...
    Das war schon immer eine kommerzielle Buchhändlermesse, und noch nie ein Literaturliebhaberkränzchen. Auch schon vor 50 Jahren. Wer was anderes will als mit Rechtehandel Geld zu verdienen, ist dort definitiv fehl am Platz.
    .
    Man sollte auf das Ding genauso reagieren wie auf die Olympiaden und Fußball-WMs, nämlich gar nicht. Und wenn jemand davon zu reden anfängt, dann stöhne man vernehmlich, erteile dem betreffenden im Geiste eine Kopfnuß und wechsle krampfhaft „unauffällig“ das Thema.

  4. HansMeier555 sagt:

    Ulkiges Ritual, ich kenn es...
    Ulkiges Ritual, ich kenn es nicht anders seit meiner Kindheit: Alle Jahre wieder ätzen alle über den Rummel der Frankfurter Buchmesse, den man sich wirkich nicht antun müsse.
    Tu ich ja auch nicht.
    Und ohne die notorischen Buchmessenverächter hätte ich längst vergessen, dass es diese Veranstaltung überhaupt gibt.
    .
    (P.S. Nein, ich weiß nicht wie dieser Beckmann-Kerner aussieht und würde ihn auf der Strasse nicht erkennen und bin mir nicht mal sicher, wie er mit Vornamen heißt.)

  5. Der Tiger sagt:

    Buddhastatuen! Die...
    Buddhastatuen! Die Gartenzenter hier sind voll davon. Gestern sah ich sogar einen in meinem kleinen lokalen Blumenladen neben der alten Dorfkirche. Ich bleibe bei meinem Drachen, die Kopie eines echten Wasserspeier einer mittelalterlichen Kirche. Und der mag keine Buddhas neben sich.

  6. donalphonso sagt:

    JR, na wenigstens kann man...
    JR, na wenigstens kann man heute klar sagen, dass die Bibel doch nicht recht hatte. Dafür gibt es heute Buddhastatuen und Räucherstäbchen und Feng-Shui.

  7. donalphonso sagt:

    Ich will weiter nichts als...
    Ich will weiter nichts als Papier, vor dem Bildschirm sitze ich ohnehin zu lange.

  8. JR sagt:

    @auch-einer:
    Danke für den...

    @auch-einer:
    Danke für den Vischer-Link – dieser Faust III ist ja starker Zauber:
    „Chorus mysticus:
    Das Abgeschmackteste,
    Hier ward es geschmeckt,
    Das Allervertrackteste,
    Hier war es bezweckt;
    Das Unverzeihliche,
    Hier sei es verziehn;
    Das ewig Langweilige
    Zieht uns dahin!“

  9. HansMeier555 sagt:

    Das Elektrobuch steht vor dem...
    Das Elektrobuch steht vor dem Durchbruch, heißt es.

  10. JR sagt:

    @perfekt!57...
    @perfekt!57 Ceram/Marek-Fans:
    Nach den tausend Jahren und dem zweiten Weltkrieg stand den frisch geläuterten Bundesdeutschen der Sinn entweder nach weiter zurückliegender Historie (sic!) oder fernen Ländern (speziell Südamerika war unverfänglich). „Und die Bibel hat doch Recht“, „Kontiki“, Heinrich Harrer usw. . Das brachte den Bürger auf andere Gedanken. Und wer in dieser Epoche geprägt wurde, erinnert sich an die Buch-Ikonen seiner Kindheit.

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