Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Wie Göthe es doch noch in die Talkshow geschafft hat

| 34 Lesermeinungen

Was wäre der Literat heute ohne die segensreichen Hilfen der Talkshows.Vergessen. Ungelesen, Ein Staubfänger in den Registrierkästen der Verlage. Jeder will zu den Sprechrunden, jeder möchte sein Buch in die Kamera halten, nur einer, der will nicht. Aber der wird hier wollend gemacht.

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Ja, hallo Herr Pilawa, hier Ann-Katherine Gutensohn-Malhomme vom Verlag, ja, also: Herrn Heine haben wir jetzt aufgetrieben. Leider ist er in den Bädern von Lucca, das tut uns schrecklich Leid, und so, wie es aussieht, wird er auch dort bleiben, weil es ihm wirklich schlecht geht nach all der Aufregung… Ja, Herr Pilawa… Sicher, ja ich we… aber… Bitte, Herr Pilawa, schreien Sie doch nicht so… sicher, es ist eng für Ihre Sendung und ich hab… bitte, jetzt warten Sie halt mal ab… also, der Göthe, der würde einspringen.

Na, der Autor von „Faust: Warum wir alle zu Recht zugrunde gehen.“ Erscheint gerade bei uns, aber wir verhandeln auch schon wegen der Filmrechte, für einen Samstags-Schocker. Und Sie wollten doch dem Heine eine von den Kinderschützerinnen gegenübersetzen: Da passt der Göthe auch prima rein, seine Themen sind nämlich schwarze Messen, Pakte mit dem Teufel, halt die ganze Gruftie-Jugendkultur, detailliert und kenntnisreich, und ungeschützten Geschlechtsverkehr gibt es da auch. Explicit lyrics! Ich garantiere Ihnen, da wird es hoch hergehen.

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Ach, Sie haben den Sido schon als Rüpel eingeladen…. ok, gut, aber ich kann den Göthe natürlich auch briefen, dass er mehr die Verführungsgeschichten und ungewollten Schwangerschaften betont. Nein, so telegen wie der Heine ist er nicht ganz, aber sagen wir mal: Markant. Charaktervoll. Natürlich ist er charmant! Er kann auch dichten, zwar keine Gassenhauer wie die Loreley mit Platinstatus, aber er ist auch Lyriker. Würde er in dieser Rolle besser ins Sendungskonzept passen? Ja? Sicher, der Heine wäre besser gewesen, Heine ist ein Gott aber Göthe ist Göthe, aber ich verspreche Ihnen… ja. Ja, Herr Pilawa. Aber sicher. Ja Herr Pilawa. Vielen Dank. Vielen herzlichen Dank. Ich versichere Ihnen, es wird ein Erfolg werden, Ihre Quoten werden stimmen. Wenn Sie noch Wünsche haben, schicken Sie mir eine Mail und ich bringe den Göthe auf Linie. Wir lassen den auch gleich ins Studio bringen, mit Buch.

Ja, Ann-Katherine Gutensohn-Malhomme hier, wer spricht? Frau von Stein? Kann ich mal den Göthe sprechen? Was soll das heißen, verdammt nochmal das ist ein Notfall und wenn er nicht sofort Göthe? Was zum Teufel ist mit Ihnen und der alten… also das ist jetzt egal jetzt hören Sie mal zu: In drei Stunden steigt die nächste Talkshow mit Pilawa und Sie sind mit drinnen. Das ist doch super! Da müssen Sie hin! Was? Keine Widerrede, wenn Ihr Buch was werden soll, führt da kein Weg dran vorbei. Nein, der Heine ist nicht da, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Der ist in Lucca.. Nein, Sie sind eine Alternative zu ihm, kein Ersatz oder zweite Wahl. Also Gö— Göthe! Jetzt reicht es aber! Entweder Sie setzen sich schleunigst nach Berlin in Bewegung oder den zweiten Teil von Faust können Sie bei der Welt unter dem Fernsehprogramm als Fortsetzungs-Schmonzette abdrucken lassen! Haben Sie mich verstanden? Ich habe genug von Ihren Marotten!

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Also, Klartext: Die Rolle des Bühnenrevoluzzers hat schon der Sido. Da fangen Sie nicht mit dem Konkurrieren an! Das schadet nur dem Ruf des Buches. Dann, die alte Schachtel vom Jugendschutz: Denken Sie daran, bald ist Weihnachten, niemand verschenkt Bücher von einem Lustgreis, also machen Sie bei der ungewollten Schwangerschaft ein klares Sowohl-als-auch. Für unsere hochgeistige Zielgruppe, das da nur zufällig reichschaut, können Sie sich ja mit der abgehalfterten TV-C-Prominenz zoffen, aber bitte, immer mit Haltung. Und der Politiker, der Vorratsdatenspeicherung fordert, dem können Sie sagen, dass es früher auch schon ohne Internet hoch herging. Das ist Ihre Chance, das Buch dick in  die Kamera zu halten aber denken Sie daran: Richtig herum! Sie brauchen gar nicht so zu lachen, Sie glauben nicht, was man bei Kochbuchschreibern schon alles gesehen hat.

Also Göthe: Das ist die große Chance, auf die Sie gewartet haben. Lassen Sie bitte Ihre Ansprüche stecken und seien Sie locker und unterhaltsam, das Lächeln nicht vergessen und nicht besserwisserisch wirken. Zigtausende schreiben Bücher, die auf der Buchmesse Regalfüller sind und keiner liest, aber nur wer stetig strebend sich bemüht, darf damit auch ins Fernsehen.

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34 Lesermeinungen

  1. Savall sagt:

    Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr...
    Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdets nicht erjagen, Wern. Ich hab mich über die Göthiade jedenfalls sehr amüsiert. Immerhin wäre es ein faszinierender Gedanke, sich den jungen Goethe aus dem „Goethe!“-Film als Talkshow-Aufmischer vorzustellen. Goethe an Merck bei seinem Amtsantritt in Weimar: „… ob ich gleich mehr als jemals am Platz bin, das durchaus Scheissige dieser zeitlichen Herrlichkeit zu erkennen.“ Im übrigen hatte Goethe ja auch zu Lebzeiten genügend Stress mit der Verlagsbranche. Raubdrucke, nicht genehmigte Kompilationen, lächerliche Honorare. Die Verlagsbranche ist eben, von ein paar löblichen Idealisten abgesehen, ein Unternehmen zum Geldverdienen, nicht zur Verbreitung von Kultur.

  2. Frank Hertel sagt:

    Natürlich wär ich...
    Natürlich wär ich Fernsehstar,
    bin schließlich Goethe, ist doch klar
    ich hätte dem Pilawa ein Palaver nett serviert
    damit die Quote explodiert
    und ich Erfolg beim Schreiben hab´
    denn ohne den ist´s so fad im Grab

  3. donalphonso sagt:

    ?
    Ich war die letzten beiden...

    ?
    Ich war die letzten beiden Tage in FFM, und habe mich dazu inspirieren lassen.

  4. Wern sagt:

    Ich wünsche mir für Sie -...
    Ich wünsche mir für Sie – und uns – eine baldige Besserung der Umgebung für Sie, denn die Schwäche der Werke von auswärts weilenden Autoren erscheint eklatant.
    Nichts für ungut.

  5. Goethe sagt:

    Was haben Sie denn nur?...
    Was haben Sie denn nur? Bleiben Sie locker. Ich schreibe gerade meine Frankfurter Elegien. Dagenen war Rom ein Karthäuserkloster! Diese Verlagsmädgen können ein Kunststück! (Ok, nichts für Kurzbeine oder Dickhälse, aber der Anschluß gelingt leicht bei größerer Beweglichkeit!)

  6. holofernes sagt:

    sehr hübsche reportageversion...
    sehr hübsche reportageversion verglichen mit dem content-management-gebrabbel auf allen radiokanälen, wenn´s um die buchmesse geht. man hat den eindruck, „buch“messe ist demnächst ettikettenschwindel, das buch günstigstenfalls nur noch eine mögliche stufe bei der content-verwertungskaskade. vornehmste aufgabe des content-designers ist heute die marktorientierte optimierung richtung möglichst breiter käuferschichten, sonst hat er beim content-trader eh keine chance.. gehe auch jetzt schon lieber in antiquariate.

  7. JR sagt:

    @fionn: No need for Johnny...
    @fionn: No need for Johnny Depp or Goerge Clooney,
    https://wwws.warnerbros.de/goethe/

  8. Booooster sagt:

    Man kann der F.A.Z. nur...
    Man kann der F.A.Z. nur gratulieren eine Alternative gefunden zu haben zu den Alternativlosen Nabelbeschauern des Literaturinzestbetriebs.
    Chapeau.
    Wunderbare Idee!

  9. Der Tiger sagt:

    Alle schreibern über die...
    Alle schreibern über die Buchmesse, also, hab ich gedacht, muss ich auch was liefern. Frankfurt ist mir die Sache nicht wert, bin ich nach Den Haag gegangen, zum Bücher anschauen, am Donnerstag. Eigentlich gibt es den Antiquitätenmarkt nur im Sommer, aber das Wetter war schön, und die Antiquariatsbesitzer sitzen offensichtlich lieber im Freien als in ihren muffeligen Läden. Dabei fiel mir auf, dass es mehr Männer gab als Frauen. Alle hatten Muße, auch die, die nur während ihrer Mittagspause da waren. Es gab hier ein kleines Schwätzen, da ein anderes. Ein kleines Café war auch offen… alles unter den Augen der niederländischen Regierung. Sollte unser Ministerpräsident Rutte aus seinem Turmfensterchen rausgeguckt haben, ist er sicherlich ein wenig neidig geworden beim Anblick von so viel offen zur Schau gestellter Muße.

  10. Ausnahmsweise mal die Werbung...
    Ausnahmsweise mal die Werbung geklickt (REHAU) und auch das klappt jetzt mit dem Rehlunch der FAZ nicht. Nur das Tracker-Pixl 1*1 Bildpunkt wird aufgerufen.
    Genial, so zielt die FAZ sich ins Knie.
    Ein durchaus gelungener Neuauftritt, aber ob da die Werbewirtschaft mitzieht.
    Vielleicht will man auch nur sehr subtil, bezugnehmend auf göt(he), den Onlineleser auf seine Rolle hinweisen.

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