Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Das grosse Seufzen

| 18 Lesermeinungen

Zu früh, zu laut, zu schlechter Kuchen und wenn dann doch bitte an einem anderen Ort: Die Buchmesse in Frankfurt passt wegen des Klimawandels und der veränderten Lebensweise überhaupt nicht mehr in eine wunderbare Bergwanderzeit.

Bild zu: Das grosse Seufzen

Der Buchmann und ich, wir sassen im August auf der Dachterrasse, und blickten in den Sternenhimmel. Wir sehen uns in Frankfurt, sagte ich und seufzte. Ja, in Frankfurt, sagte er und seufzte auch. Es war die Art Seufzen, mit der man ein Bad im Reaktorkessel von Fukushima antreten würde, das Seufzen von gequälten Seelen. Wir sassen da so nett und haben uns über Bücher unterhalten, kein schöneres Thema kann es geben. An diesem Ort. Die Luft war warm und roch nach Mandelplätzchen.

Am Wochenende roch sie nach herbstlichen Bergwäldern im Sonnenschein, und ich seufzte. Vor mir dampfte in Rahmsosse ein Semmelknödel, und über mir ergossen sich Geranien von einem Holzbalkon. Hier oben, in einem Tal am Rande des Tegernsees fand Ludwig Ganghofer seine Seelenruhe, und Thomas Mann führte seinen Hund aus. Ich seufzte, denn meine Begleiterin hatte gefragt, wann genau ich nach Frankfurt muss. Sie sagte nicht „darf“ oder „kann“, sie sagte „muss“. Die Sonne flammte, auf der Haut prickelnd wie Champagner, vom wolkenlosen Himmel. Da hinten, entlang der weissen Valepp, hätte man im delikaten Licht nach Österreich wandern können. Aber… ich seufzte.

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1949 wäre ich vielleicht froh um Frankfurt gewesen, denn damals waren die Winter noch richtig kalt, und das Heizmaterial selten. In meiner Vorstellung hat man den Eintritt mit einem Brikett bezahlt, und ich hätte einen Brocken Bergfichte mitgeschleppt. So eine Buchmesse in der warmen Rhein-Main-Region war damals sicher eine heimelige Veranstaltung, mit dicht gedrängten Menschen in dampfigen Räumen, während draussen erste Vorboten des Winters die Menschen seufzen liessen. Da war die Buchmesse der Zugang zu einer anderen Welt, zur vom Nazischund befreiten Unterhaltung an langen Leseabenden, während im ausgebombten Niemandsland der Schnee die mit Pappdeckel vernagelten Fenster abdichtete, und die Ruinen überzuckerte, als wären sie Birnenkuchen mit Baiser.

Das Papier war schlecht, aber die Texte waren oft recht gut. Endlich Hemingway, Remarque und Kästner. Ein wenig muss das wie ein vorgezogenes Weihnachten der Bücher gewesen sein. Lichterglanz, mit Glühbirnen und Strom. Staunen. Geschenke. Offene Gespräche ohne Angst vor dem Nazispitzel. Und gar keine Debatten über E-Books und Vermarktungsstrategien und das neueste Gestammel einer zu teuer eingekauften, dann doch nicht zur Bestsellerautorin gewordenen Politikdarstellerin. Aber selbst das liesse sich ertragen, wäre es draussen scheusslich und drinnen angenehm, und in den Bergen läge schon der erste Schnee.

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Allein, es ist hier so wie in einem Heimatroman von Ganghofer. Kitschig, schön, die Sonne glitzert auf den Wogen des Sees, es plätschern die Boote dahin, es knallt das Bunt in den Blättern, wie früher einmal Schriftsteller ihrem Land eine geknallt haben, und kein Teufel würde an einen herantreten und verführerisch sagen: Siehe, dort hinten unter den Abgasen liegt Frankfurt, und wenn Du mir dorthin folgst und Dir 5 Tage von Pressedamen unerfahrene Jungautoren mit schlechten Manieren aus Berlin zuführen lässt, staubtrockene Luft aus Eisenrohren atmest und bessere Schuhe brauchst, als für den Weg hoch zur Erzherzog-Johann-Klause, dann bekommst Du auch eine kostenlose Eintrittskarte und diese vertrockneten Kuchenbrösel für vier Euro und genauso wenig kostenloses Internet wie ganz oben auf dem Hirschberg, also, wie wär’s, ist das ein Geschäft? Das würde angesichts des schönen Wetters hier sehr, sehr wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Man wird nicht beneidet, man fährt dorthin wie zur Jahrestagung der Callcenterbetreiber oder zum Kongress für angewandte Frühdiagnostik wenig erbaulicher Krankheiten. Nicht, weil man Bücher nicht mag, sondern gerade weil man Bücher gern hat. Hier, auf einer Bank oder einem Liegestuhl, in der leichten Luft und sonnenbeschienen. Das geht dank Klimawandel auch noch jetzt, im Oktober, und vielleicht auch im November. Früher Dezember, dann könnte man eventuell nochmal darüber reden, über Hallen mit Nummern und volle Gänge, wenn alle Bäume kahle Gerippe sind.

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Die Buchmesse hat sich seit 1949 deutlich gewandelt. Unser Leseverhalten hat sich gewandelt. Und das Klima hat sich gewandelt. Und in diesen Tagen seufzen viele Menschen, wenn sie an Frankfurt denken, und das, was sie dort erwartet: Arbeit mit der Vermarktung von Druckerzeugnissen auf gemordeten Bäumen. Man fährt durch sonnige Zauberwälder zurück in den Norden, und wünscht sich, dass es schneien und regnen möchte, von Aschaffenburg bis nach Meran. Und dass man sich ab und zu der Illusion hingeben kann, das Rauschen in den Hallen wäre der Bergwald, und die zu Papier verarbeiteten Leichen der Bäume würden beschrieben, um die Welt ein klein wenig schöner und vergnüglicher zu machen.

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18 Lesermeinungen

  1. HansMeier555 sagt:

    Fräulein Annette Karla...
    Fräulein Annette Karla Theodora Freiin von und zu Schavan.
    .
    Das PDF von „Schavanplag“ ist online und als jemand, der selber mit so Texten arbeitet, kann ich schon nach kurzem Einblick sagen: Ja, sie hat geschummelt und plagiiert.
    Nicht so viel und nicht so schamlos wie Schnucki, aber doch ganz eindeutig.
    .
    Vielleicht kann man es so erklären: Wo Athlet Schnucki gleich die ganze Marathonstrecke komplett im Taxi zurücklegte, hat Schnecki zwischendurch halt mal einen Tretroller benutzt. Für so was würde man bei Olympia auch niemanden disqualifizieren.

  2. Jeeves sagt:

    "Endlich Hemingway, Remarque...
    „Endlich Hemingway, Remarque und Kästner. “
    Der erstgenannte in einer scheußlichen Übersetzung bei Rowohlt, leider. Und noch immer. Ich sage nur: „Freudenspender“:
    Well“, I said. „A plane is sort of like a tricycle. The Joystick works the same way.“ („Fiesta“ – „The Sun Also Rises“ von Ernest Hemingway.)
    „Na“, sagte ich, „ein Flugzeug ist wie eine Art Dreirad. Und der Freudenspender ebenfalls.“ („Fiesta“ in der einzig autorisierten deutschen Übertragung.)
    (etc.)

  3. HansMeier555 sagt:

    Kein Mensch muss...
    Kein Mensch muss müssen.
    .
    Die Buchmesse als „Gruppe 49“?

  4. EgonOne sagt:

    Mit Nostalgie gelesen.
    Auch...

    Mit Nostalgie gelesen.
    Auch mit Freude, Seufzen. und Heimweh fuer die Heimat, die Vergangenheit und Freunde, wie „Buchmann“ et al.
    Danke fuer ein schoenes Essay, werter Don Alphonso.
    Pax vobiscum

  5. sable sagt:

    jaaaa das ist es! da begibt...
    jaaaa das ist es! da begibt man sich doch gerne und mitfühlend mit dem leidenden helden nach norden und harrt der prüfungen, die ihm in den staubig raschelnden hallen erwarten mögen!

  6. Noch bevor man fragt .. ...
    Noch bevor man fragt .. Tolles Foto !

  7. mea_culpa sagt:

    FFM und Inhalte? Nur...
    FFM und Inhalte? Nur Wortanreihungen.

  8. donalphonso sagt:

    Falls jemand das mittlere Bild...
    Falls jemand das mittlere Bild in gross haben möchte:
    .
    https://rebellmarkt.blogger.de/static/antville/rebellmarkt/images/10okb1g.jpg

  9. donalphonso sagt:

    Das ist fraglos richtig, nur...
    Das ist fraglos richtig, nur gibt es in FFM keine Bücher sondern Vermarktung von Inhalten.

  10. "The true University of these...
    „The true University of these days is a collection of books.“ Thomas Carlyle, 1841

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