Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Autoren in Bits und Fetzen

| 43 Lesermeinungen

Lange waren die Blogger als Netzgesindel verschrien, aber 2012 sind sie aller alten Pleiten zum Trotz wieder da. Und weil es so lustig war, bei der ersten Bloggerwelle mit dem blauen Werbeauto vor die Wand zu fahren, und weil der Mensch nur begrenzt lernfähig ist, wird es auch dieses Jahr ein tolles Spektakel für Katastrophentouristen und ein Fest für die Altpapierverwerter.

Bild zu: Autoren in Bits und Fetzen

Sage keiner, das Buchgeschäft sei altehrwürdig, reglementiert und traditionell: In manchen Jahren schwappt eine modische Welle mit Autoren aus dem Netz in den Buchmarkt. 2012 begann es mit Shades of Grey, das Grauen, das aus den schattigen Regionen des Internets kam. Manchmal vielleicht nur zufällig, mitunter aber auch im Gefolge des Erfolgs schafften es auch noch einige deutsche Internetschreiber in die Regale: Viele Schattierungen des geschriebenen Grau aus dem Internet, und gerne auch thematisch um das Internet kreisend. Das Internet hat sie gross oder wenigstens zu Autoren gemacht, das Internet ist irgendwie immer spannend, das Internet also. Oder so. Intern, im Verlag, läuft das auch gern unter „Digitalstrategie“ und „Erschliessung junger Zielgruppen und neuer Käuferschichten„.

Bild zu: Autoren in Bits und Fetzen

Die Ankündigungen lesen sich immer gleich; diese Leute hätten die meistgelesenen Blogs, die wichtigsten Accounts und viele hochmoderne Follower und Fans. Die sind enorm wichtig, denn von denen träumt man im Buchgeschäft, es könnten vielleicht auch mal Käufer werden: „Nichtkunden, die einen Tweet dieser Autorin angeschaut haben, könnten auch ihre gesammelten Papierwerke kaufen.“ Hat einer 10.000 virtuelle Anhänger, kaufen davon 3.000 das Buch, erzählen es auch einige weiter, dann ist das schon ein Erfolg. Der Autor übernimmt dann selbst das Marketing mit seiner Online-Personality. Ein gutes Geschäft, wenn es funktioniert.

Denn das kann naturgemäss nur ein Blogger. Ein Absolvent des deutschen Literaturinstituts hat dagegen nur Oma und die Pressefreunde des Lehrkörpers in Leipzig auf seiner Seite, und diese Gemengelage verkauft nicht zwingend Bücher, wie man all die letzten Jahre immer wieder auf’s Neue erfahren muss. Das ist jetzt anders. Es ist ein Jahr, in dem sich normale Jungautoren aus den üblichen Schreibschulen und Nachwuchwettbewerben fragen, wieso sie in Leipzig das Schreiben übten, in Berlin über psychische Innerlichkeitsdefekte grübelten, und das alles für Klagenfurt zusammenfassten, wenn es auch anders geht. So leicht, so schnell, nur mit etwas Blog oder Twitter, platsch, schon ist die Mail von Rowohlt im Briefkasten, und wieder ist eine Seite in der Vorschau vergeben. Das schmerzt.

Bild zu: Autoren in Bits und Fetzen

Das Tröstliche für diese traditionelle Konkurrenz ist: Das fruchtet nur in Ausnahmefällen, wie eben „Shades of Grey“. Andere können Rekordvorschüsse einstreichen, auffällige Cover oder eine Kolumne bei Spiegel Online haben, sie können mit ihren Büchern in der Bild als „Gier-Piratin“ zum öffentlichen Gespräch werden, oder vollkommen übersehen werden: Der für Onlineautoren alles entscheidende Amazonrang bleibt für die deutschen Netzautoren auch 2012 durch die Bank eher schlecht, die „Erfolge“ stellen sich dagegen oft genug als illegale Downloads ein. Das Geschäft mit den legalen Downloads und eventuellen Zusatzmaterialien, um die Kunden zu locken, ist, höflich gesagt, auch noch nicht voll entwickelt.

Es reicht, das kann man als Erkenntnis festhalten, offensichtlich nicht, im Internet bekannt zu sein, oder wenigstens eine realitätsrosa gefärbte Presseabteilung zu haben, die dergleichen Vorzüge blumig phantasiert. Das alte Problem des ganzen kommerziellen Internets, wie man aus banalen Besuchern und Lesern einer Webseite echte Käufer eines Buches macht, haben auch die Lobos, Haeuslers, Passigs und Schramms dieser Welt noch nicht lösen können. Gemeine Zyniker behaupten, Verkaufserfolg hätte etwas mit dem Schreiben von guten Texten zu tun, aber all die Verlagslektoren, die das Material und die Autoren bundesweit gesucht und gekauft haben, können doch nicht irren: Alle sind immer im Internet, da müsste doch das Internet auch gedruckt verkaufbar sein.

Bild zu: Autoren in Bits und Fetzen

Nächstes Jahr ist das vergessen. Mit etwas Glück stehen dann 2013 wieder tiefschürfende Texte über Schlitzerinnen, gefangen in den elegischen Frontstellungen der jüngeren deutschen Geschichte der Entität „Stille Wasser gründen tief“ an den Plätzen in den Regalen, wo momentan noch gefühlt jeder dritte Bloggerkollege meiner Person zu finden ist. Der Buchmarkt ist auch nicht anders als das Content Management Systems der Blogs, beide sind immer hungrig und brauchen neue Texte, sie sind beide nicht wirklich wählerisch. Und wenn es mit der von der ernsthaften Kritik zerrissenen Stipendiatin nichts wurde, versucht man eben wieder den Kerl, der amerikanische Twittertexte übersetzt, und damit zu Raab darf. Es sind Moden, Zielgruppen und Produkte, die dafür entwickelt wurden. Es ist Platz für alle, auf den Regalen, und in der Makulatur.

Bild zu: Autoren in Bits und Fetzen


43 Lesermeinungen

  1. Savall sagt:

    Kurios, sagte der alte Senator...
    Kurios, sagte der alte Senator Buddenbrook. Ausgerechnet ich als Verfechter es E-Books? War ich so mißverständlich? Also nochmal zum Mitschreiben: das E-Book als Ersatz für das gedruckte Buch ist albern und ein Irrweg, geboren aus der verständlichen Phantasielosigkeit der Besitzstandswahrer. Ich halte ein gut gedrucktes Buch für ein Kunstwerk aus eigenem Recht, aus guter handwerklicher Tradition entstanden und auch heute und in Zukunft lebensfähig.
    https://www.steidl.de/flycms/Books/Grosse-Komplikation-Grande-Complication/4345465356.html
    Aber! Die E-Books haben Vorteile: niedrige Fixkosten, niedrige Distributionskosten und neue Gestaltungsmöglichkeiten. Conclusio: es können Bücher veröffentlicht werden, die sich sonst nicht rechnen, Bücher können unbegrenzt lieferbar gehalten werden und es werden Bücher entstehen, von den wir noch nichts ahnen. Das E-Book ist keine Verarmung, sondern eine Bereicherung. Der E-Book-Reader zerstört keine Bücher, die im Regal stehen. Den Ledereinband können und werden sie nicht ersetzen. Aber es wird in Zukunft wieder mehr Ledereinbände geben, weil die Leute begreifen, daß ein schön gedrucktes Buch einen Wert an sich darstellt. Es wird cool sein, ein schönes Buch zu haben.
    https://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-23994-4
    Und der Fluch der Billigproduktion wird weichen: warum ein Buch in Deutschland für 70 Cent drucken, wenn man es in China für 60 Cent haben kann? Sie halten die Zahlen für erfunden? Welcome to the real world.

  2. perfekt57 sagt:

    dabei braucht es doch...
    dabei braucht es doch eigentlich gar nicht sovel, um einem buch nahe zu kommen, nicht wahr? ein wenig hängematte, ein venig veranda, ein wenig mexico vielleicht.
    .
    https://www.swissinfo.ch/ger/kultur/Bei_Frauen_bin_ich_mir_nie_sicher.html?cid=29804482
    .
    @ gastgeber
    .
    „In seinem ersten Stück Santa Cruz (1944) stellte der gerade verheiratete Frisch die Frage, wie sich Träume und Sehnsüchte des Einzelnen mit dem Blogleben vereinbaren lassen.“
    .
    „Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen minderen Blogger umgebracht: wie erklären Sie sich, dass es nie dazu gekommen ist?“, fragt Frisch in elf Fragebögen im „Tagebuch 1966 bis 1971″. Teilweise provokative Fragen, die bei Leserinnen und Lesern Emotionen hervorrufen.“
    .
    “ Frisch hat für seine Hauptfiguren immer Männer gewählt. Aber die Liebe ist für ihn ein grosses Thema. Frauen sind für Faber zu anstrengend. Wenn sein Rasierapparat kaputt ist, kann er den auseinandernehmen und schauen, wie er funktioniert. Aber eine Frau kann er nicht auseinandernehmen. Deshalb sind sie ihm zu anstrengend…““
    .
    und für die überblogger unter den bloggern, max frisch auf der berliner buchmesse: „Die meisten verwechseln Dabeisein mit Erleben.“ https://uberding.net/2012/01/03/max-frisch-ausstellung-in-berlin/ „vielleicht als kleiner intellektueller Leckerbissen während der Fashion Week?!“
    .
    trotzdem oder so ähnlich.
    .
    und a propos, wovon sprachen wir noch?

  3. Der Tiger sagt:

    @Sehr verehrter Don! – Meine...
    @Sehr verehrter Don! – Meine Logik ist, ich lese Ihren Blog. Da weiss man nie, was als nächstes kommt, und was die diversen Donnen kommentieren werden. Es bleibt immer spannend, umsonst ist es auch noch (Ich fühle mich aber nicht als Schmarotzer, denn ich zahle täglich für die FAZ Print Ausgabe 2.80 Euro und am Wochenende etwas mehr) Und wenn ich will, kann ich sogar mitschreiben. Was brauch ich da noch ein Buch, dass auf der Buchmesse verkündigt wird?

  4. perfekt!57 sagt:

    ein satz fiel auf. welcher?...
    ein satz fiel auf. welcher? „erfolg hätte etwas mit dem Schreiben von guten Texten zu tun“ – auch wenn „erfolg“ relativ ist. als rentner sind wir ja häufig schon froh, wenn uns heute weniger wehtut, als gestern. und das rezept leserlich geschrieben wirkt.

  5. sable sagt:

    heißt das nicht ritzen? bei...
    heißt das nicht ritzen? bei schlitzen denke ich an regnerisch-trübe nächte im norden, lange schatten auf müll und beton im neonlicht, kaltes metall, blut, plastik und eilige schritte, die in der dunkelheit verhallen…

  6. salonsurfer sagt:

    @Savall (11:02)
    Gerade aus...

    @Savall (11:02)
    Gerade aus dem Regal genommen und schon das Inhaltsverzeichnis überblickt: „Silbermann – Ketzereien eines Soziologen“, erschienen 1945 im Econ-Verlag.
    .
    Bei dem Gebrauch eines E-Book-Reader allerdings, „darf“ ich mich beim Download an die AGBs von Amazon und Co binden lassen, darf in zwei Jahren eine neue Hardware kaufen, darf mich mit Kompatibilitätsproblemen rumschlagen und in zwanzig Jahren meine e-Bibliothek runderneuern, mit freundlicher Genehmigung vom Rechte-Anbieter (falls noch existent). Währenddessen flattern mir wohlmeinende Lesetipps auf den Reader und vielleicht auch weitere Botschaften von merkwürdigen Irokesen aus Absurdistan. Und Luzi aus der Leser-Community freut sich über meine Lektüre von „Erfülltes Leben im Legoland“. Geiles Buch, nich!
    .
    Stattdessen lese ich jetzt in dem Kapitel „Musikalische Haßgesänge“ auf leicht vergilbten Papier, und keiner schaut mir dabei über die Schulter.

  7. Plindos sagt:

    Wenn nur nicht dieses Grauen...
    Wenn nur nicht dieses Grauen wäre. In the mind, haptisch, optisch, im Bauch.
    Man müßte groß einen raushängen lassen (können). Den Bringer schlechthin kreieren.
    Sowas geht. Nur nicht auf der Buchmesse. Vernetzt müßte man sein. Dann, ja dann. Voll im Trend liegen. Göthe 21 oder so.

  8. stimmviech sagt:

    Ich vermute, schon 2020 werden...
    Ich vermute, schon 2020 werden die meisten Buchverkäufe ebooks sein. In Form von iphone und Co. ist das ideale Lesegerät schon in jedem Haushalt, wenige Jahre reichen, um die Gewohnheiten der Masse zu ändern.

  9. sic est sagt:

    Aber Savall, ein Buch ist der...
    Aber Savall, ein Buch ist der Text. Meinetwegen noch ein Umschlag, eine schön gestaltete Edition. Das, was Sie – und viele Ebook-Enthisiasten – da immer beschreiben, ist kein Buch mehr, sondern eher so etwas wie die Multimedia-CD-Rom der 90er-Jahre (wir erinnern uns: Das Rororo-Flimlexikon als gemaltes Kino gestaltet, ratternde Filmprojektoren und ein Foyer, durch das man „laufen“ kann, nur leider keine Volltextsuche). Die Multimedia-CD-ROM verhält sich aber zum Buch wie eine interaktive 3D-Videokonferenz mit Sorround-Sound zu einem Hitchcockfilm. Die Kargheit, Schlichtheit und die passive Offenheit des Lesers sind beim Buch geradezu notwendige Voraussetzungen, um seine Magie erst wirken zu lassen. Für Literatur kann ich es mir daher nicht gut vorstellen. Der Vorteil von Ebooks ist wirklich in erster Linie das, was die Verleger an ihnen hassen und unterbinden möchten – die Kopierbarkeit. Vielleicht bringt ja jemand eine günstige kleine Buchdrucker- und Binderei für zuhause heraus, das wiederum könnte ich mir wieder sehr gut vorstellen.

  10. Savall sagt:

    Die Verlage haben das E-Book...
    Die Verlage haben das E-Book noch gar nicht begriffen, Don Alphonso. Der Grund dafür ist, daß sie vom Umsatz und nicht vom Leser her denken. Das gedruckte Buch 1:1 auf eine elektronische Plattform zu bringen ist dumm und nutzlos. Ich habe mal einem nicht buchaffinen Kollegen das Ding mit dem E-Book erklärt: E-Book-Reader kaufen, Adobe auf dem Home-PC installieren, beim E-Book-Händler anmelden, E-Book kaufen, Download-Link runterladen, E-Book runterladen, in Adobe importieren, auf E-Book-Reader kopieren, lesen. Der arme Kerl kriegte Gesichtszuckungen. Es wird in der Zukunft E-Books geben, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können und sie werden den gedruckten Büchern nicht gleichen. Gedrucktes Buch und elektronisches Buch werden nebeneinander existieren. Die gedruckten Bücher werden davon qualitativ sogar profitieren. Allerdings werden es quantitativ weniger werden. Was ja auch kein Schaden sein muß. Für die Schrammsereien wird in Zukunft niemand mehr Papier verschwenden.

Kommentare sind deaktiviert.