Gosia heißt die Dame, und sie knetet Besucherrücken. Messebesucher haben nämlich Rücken und Bäuche und Füße, nicht nur Köpfe, wie man meinen könnte. Denn in diesen Zeiten, in denen ja immer alles flauschig ganzheitlich sein soll, ist die Buchmesse die so ziemlich unganzheitlichste Veranstaltung, die man sich denken kann. Man gerät in einen seltsamen Zustand der Entkörperlichung und nimmt alle Signale, die einem von unterhalb des Hirns so zugeleitet werden, nur mit sehr viel Unwillen wahr. Körper, halt den Rand, jetzt kein Hunger, jetzt keine schmerzhafte Verspannung, nimm dir ein Beispiel an den Füßen, die hab ich seit fünf Stunden nicht mehr gespürt.
Was zählt, ist wahlweise das Buch oder das Gegenüber oder das potentielle Gegenüber, das man im Gewimmel sucht, weshalb sich Messebesucher beim Dialog oft nicht in die Augen schauen, es könnte ja sein, jemand Wichtigeres läuft im Hintergrund vorbei und man verpasst ihn. Da stehe man dann, sagt eine Lektorin bei Rowohlt, und denkt: Bitte nimm mich wahr! Und man redet, und der Blick schweift, und man fühlt sich unwichtig.
Genauso ungnädig wie den eigenen Körper registriert man die Körper anderer, die einem selbst zwar weder Schmerzen noch Verspannungen verursachen, die jedoch grundsätzlich ständig im Weg sind. Sie stehen herum oder schlendern mit provozierender Langsamkeit durch einen Gang, den man selbst gern durcheilt hätte. Oder rempeln einen an, wenn man gerade dasteht und das alles entscheidende Gespräch führt. Der ideale Daseinszustand für Buchmessenbesucher wäre eigentlich der in Formaldehyd eingelegte Kopf, wie man ihn aus der schönen Serie „Futurama“ kennt: platzsparend, bei Bewusstsein und ohne lästige Anhängsel. Oder als Kopffüßler, ein großes Hirn mit kräftigen Beinen.
Die latente Körperfeindlichkeit der Messe drückt sich ansonsten in den Details aus: Das Essen ist eine Zumutung für menschliche Verdauungstrakte. Die Luft trocknet Schleimhäute auf Löschpapierniveau herunter. Die Gänge sind eng, die Wege weit, die Rolltreppen nie dort, wo man sie braucht. Und reden wir besser nicht von den Abendveranstaltungen! Die machen einem, obwohl man nur mal kurz vorbeischaut und auch gar nicht viel trinkt – vier, fünf Gläschen vielleicht -, den Kopf schwummrig und damit auch unbrauchbar.
Gosia klopft auf meinen Rücken, fertig. Ich mache die Augen auf, das entfernte Rauschen formt sich wieder zu einer Besuchermasse, bekommt Münder, Füße, Tütenanhängsel. Leider weiß ich jetzt wieder, dass ich einen Rücken habe, was nicht gut ist, denn ich spüre seinen stummen Protest. Und ignoriere ihn. Bis Sonntag habe ich gefälligst keinen Körper zu haben, es reicht, wenn ich denen der anderen ausweichen muss. Ich bin Kopf, nur Kopf, und nicht einmal Gemüt, das ignoriere ich gleich mit.
"Das Leben hat so seine...
„Das Leben hat so seine Momente — auf der Bahn, im Supermarket Gedraenge, und auf dieser und jener Austellung, Messe, Exhibition etc.
Man opfert sich halt, was?“
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Auch das Leid hat sein Nullniveau, d.h. wenn alles bestimmbare Leid subtrahiert wird, dann bleiben immer noch zahlreiche, beklagenswerte Zumutungen übrig, wie ein 3K Mikrowellenhintergrund oder ein Meer an virtuellen Teilchen.
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Wir bringen die notwendige Energie auf um aus dem virtuellen, überall um uns herum existierenden Leid, reales Leid zu schaffen. Es ist unser alltäglicher Mystizismus, die Art wie wir mit dem ganzen Universum verbunden sind. Nehmen wir z.B. den Mangel an Beachtung. Es ist nicht gerade eine Virusinfektion, ein Todesfall in der Familie, ein Autounglück, Mobbing oder ein Einbruch zu Hause, aber ist sie nicht doch furchtbar deprimierend, diese Autonomie der anderen, die nicht so sind wie man will und die einem kaum Beachtung schenken und muss man nicht der ganzen Welt von diesem Übel erzählen, dass einem da wiederfährt? Gelegentlich schon und wir wissen ja, wie unglaublich stark und manifest dieses Leid werden kann, v.a. wenn dessen ganze Energie, konzentriert in einem Amoklauf, wieder an die Umgebung abgegeben wird. Aber auch diese Erzählung kann einem lästig werden und das ist dann wieder ein Übel derselben Art.
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Mitunter stellt sich also die Frage: „warum gibt es nichts und nicht etwas“? und in der Folge wird etwas produziert und man fragt sich gequält „warum gibt es etwas und nicht nichts“? und wünscht sich wieder Ruhe.
Ihr Bericht, werte Andrea...
Ihr Bericht, werte Andrea Diener, versetzte mich in die Vargangenheit wo man oefter Ausstellungen verschiedener Art in verschiedenen Plaetzen besuchte, nur um voll erschoepft nach hause zu kommen — zur Erhohlung.
Manche Industrie Messen, waren mehr alkoholig als andere, aber hatten immer ihr eigenes Cachet. Die Papier Industrie, mit den Holzfaellern die einmal im Jahr aus dem Bush kamen, wussten besonders gut zu zelebrieren.
Das war damals.
Jetzt, „geniesse“ ich die Ambiente meiner Mitbuerger taeglich in dem Gedraenge in der U-Bahn. Dort bleibt ein besonders markanter Eindruck haengen, naemlich die Aroma Emissionen der Mitreisenden.
Da haengt so mancher an der Haengestange und emittiert einen kaum beschreiblichen Duft, der zeigt dass der Gebrauch von Antiperspirant, oder Deoderant immer noch nicht sehr verbreitet ist.
Dazu kommt von Manchen, das einzigartige, unvergessliche Aroma von kaltem Schweiss — koennte ja auch auf Wasser und Seife Mangel zurueckzufuehren sein. Wer weiss?
Kein Wunder so mancher U-Fahrer haelt die Nase hoch, nicht aus Uebermut oder Hochnaesigkeit. Ich sehe das mehr als ein Sympom des Ueberlebenswillen — wenn gefangen unter den Schaaren, den ungewaschenen Massen.
So wie „survival of the fittest.“
Was bleibt uebrig? Keep smiling. Und immr ueber die Schulter des Gegenueber schauen, als ob dort was wichtiges zu sehen sei.
Das Leben hat so seine Momente — auf der Bahn, im Supermarket Gedraenge, und auf dieser und jener Austellung, Messe, Exhibition etc.
Man opfert sich halt, was?
Pax vobiscum
Hat das Komitee in Oslo schon...
Hat das Komitee in Oslo schon wieder dem Kohl den Nobelpreis verweigert!
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Dann können wir das gut gutmachen, in dem wir von der Sowjetunion lernen und Berlin jetzt in „Kohlstadt“, oder einfach in „Kohl“ umbenennen.
Das Erlebnis ist durch keine...
Das Erlebnis ist durch keine Simulation zu ersetzen, Andrea. Die Überfülle ist bedrückend und beglückend. Ich würde es nicht missen wollen, so anstrengend es auch ist. Wenn eine zeitlich negativ gerichtete Reinkarnation möglich wäre, dann würde ich als Jean de Berry wiedergeboren werden wollen. Er war ein ziemlicher Mistkerl, aber was für ein Büchersammler! Das würde auch HansMeier555 gefallen. Im übrigen, HansMeier, ich hatte heute einen Reprint von Audubons „Birds of America“ in der Hand. Im Originalformat. Es gab auch nach dem Feudalismus feine Sachen.
Savall, das ist EXAKT genau...
Savall, das ist EXAKT genau so. Vor allem hat man, wenn man geht, sofort das Gefühl, etwas zu verpassen.
Menschenkörper, pfffzt.
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Und...
Menschenkörper, pfffzt.
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Und dann auch noch Blumenkübel dazwischen.
Nun, jener berüchtigte Herr...
Nun, jener berüchtigte Herr vom Grevenbroicher Tagblatt dürfte in den Messehallen wohl eher nicht anzutreffen sein. Insofern wird es bei den Massagekapazitäten keine Engpässe geben. Obwohl, vielleicht hat er ja ein heimliches Laster und liest unter der Bettdecke im Schein der Taschenlampe Wanderbücher? Davon abgesehen gehören die physischen Unzuträglichkeiten einfach dazu. Das Gedränge dient einerseits zur Ausschüttung von körpereigenen Endorphinen und andererseits dem stolzen Bewußtsein, dabei gewesen zu sein. Immer wenn ich auf so einer Messe bin, dann will ich eigentlich nur wieder raus. Wenn ich dann draußen bin nehme ich mir ganz fest vor, nächstes Jahr wieder hinzugehen.