Überdruck

Überdruck

Die Liebe zum Gedruckten lässt Menschen auf der Frankfurter Buchmesse wahre Torturen ertragen: Lesungen in schlecht belüfteten Räumen, Herumrennen

Was zum Gucken

Sehen und gesehen werden: Auf der Buchmesse hat die Gelehrtenuniform ausgedient. Damen und Herren geben sich bunt und die Messe hat jetzt ein offizielles Modeblog.

Die Buchmesse geht nicht spurlos am Stadtgebilde Frankfurt vorbei. Abgesehen von der Komplettbelegung sämtlicher verfügbarer Gästesofas hinterlässt sie auch ihre Spuren im Straßenbild. Oder besser gesagt: Ihre Besucher! Ihre Aussteller! Ihre Autoren und Pressedamen! Alle so hübsch, so adrett, so nett zurechtgemacht trotz der nächtlichen Exzesse, die im Frankfurter Hof oder sonstwo enden. Die Frisur sitzt, die Krawatte auch. Meistens.

Damit diese Kunstwerke morgendlichen Nächteüberschminkens endlich einmal gewürdigt werden, hat die Buchmesse – jawoll, DIE Buchmesse höchstpersönlich! – ein Blog eingerichtet: Unter lookblogfrankfurt.tumblr.com kann man sich die hippsten Berlinerinnen und verwegensten Verlegerfrisuren anschauen und unter der Adresse glamour@book-fair.com selbst einreichen. (Glamour! Auf der Buchmesse! Die Jungs haben Humor.)

Der Trend ist jedenfalls eindeutig: Tweed ist so was von over. Was vor ein paar Jahren noch daherkam wie eine Armee britischer Grundschullehrerinnen der fünfziger Jahre, hüllt sich nun völlig unernst in bunte Flatterkleidchen (Damen) und auffällig gefärbte Röhrenhosen (Herren). Kein Glencheck, kein Pepita, und die beliebten schlammigen Brauntöne sind auch passé.

Als mich gestern jemand fragte, wie viele Baskenmützen ich auf dieser Messe bereits gezählt habe, musste ich zugeben: keine einzige. Die klassische Denkeruniform aus Batschkapp, Rolli (schwarz) und Cordjackett mit Ellenbogenflicken findet man nur noch an ganz wenigen Fossilien. Günter Grass zum Beispiel, und der ist ja nicht da. Der Denker denkt heute gern unerkannt, er trägt Taschen aus abgelegten Lkw-Planen und Turnschuhe. Und die literaturaffine Dame im Desigual-Fähnchen streicht ihre Hirntätigkeit auch nur noch ungern heraus. Jegliche Blüschensteifheit wich der Lässigkeit von T-Shirt-Stoffen. Was einst rief: Sehr her, ich kann denken! das ruft nun: Ich kann auch ganz anders! Ich bin völlig normal und einer von Euch! Habt keine Angst vor mir. Ich trage Turnschuhe. Und ich, ich bin Hellmuth Karasek, ich trage sogar babyblaue Chucks ohne Schnürsenkel. Weil ich es kann!

„Die Leute nutzen die Buchmesse zur Inszenierung ihrer Bücher und sich selbst“, sagt Frank Krings, der das Lookblog für die Messe eingerichtet hat. „Und ein an Modeblogs angelehntes Tumblr ist das passende Medium, um diese Inszenierung im Web zu zeigen.“ Ja dann machen wir uns doch morgen nochmal extra hübsch.