Gestern hatte ich dann diesen Harry-Lime-Moment. Ich stehe hoch über Halle 4.0 und schaue hinunter auf das Gewusel, wie man vom Riesenrad hinab auf das Gewimmel im Wiener Prater schaut, und frage mich, als wäre es Anno 1949: Würde es mich wirklich stören, wenn es das Buch und den Verlag von diesem Ex-Tennisspieler nicht gäbe? DadaDa-daDa.daDAA, summe ich vor mich hin, eine Zither wäre jetzt schön, denn was würde es mich stören, würde ganz unten, tiefer noch als die schmutzigen U-Bahn-Röhren mit ihren Messetakten für allszu Gierige, ein etwas zu gewiefter Onlineverlagsabzocker und Contentstrecker in den Kloaken unter Frankfurt die Ratten nähren? Ist das, was viele hier anbieten, wirklich Medizin für den Geist oder nicht einfach nur gedrucktes Glotzengift? Wäre da unten die halbe Halle leer, hätte ich etwas versäumt, würde ich etwas vermissen, wäre die Welt deshalb schlechter?
In meiner Heimatstadt steht dieses absurd protzig gestaltete Buchzentrum von Thalia auf der Kippe und ich bin nicht sehr traurig, wenn es endlich weg ist – es war eine strategische Entscheidung einer Kette, einen Standort zu besetzen, und keine Liebe zum Leser, die es hierher brachte. Ich glaube, echte Leser merken das. Gute, engagierte Buchhandlungen, wie ich sie brauche, und wie sie Reisen zur Buchmesse anbieten, gibt es hier genau eine, und das reicht mir. Es gibt einen riesigen Weltbildladen, der mit seinen nicht wirklich bibliophilen Produkten die Räume einer alten Jesuitenbibliothek verhöhnt. Es mag individuell für die Verkäuferin traurig sein, wenn Bestsellertafeln, nachgemachte offene Kamine und Plastikkronleuchter verschwinden, aber ich kann eine kleine Erleichterung nicht unterdrücken.
Es ist oft wie auch in der Medikamentenbranche und der Religion, das Kulturgut scheint heilig und unverzichtbar zu sein und deshalb zieht es auch so viele unheilige Gestalten an, die so gar nichts mehr mit Heilung und Erlösung zu tun haben, sondern nur noch mit ihrem eigenen Vorteile. Grossverlage haben Autoren, Handlungen und Ideen austauschbar gemacht, sie werden als Versatzstücke einer breit aufgestellten Contentstrategie für alle Marktnischen eingesetzt, und gestern erzählte mir der Compagnon eines sich langsam unter den Tisch trinkenden Serienpleitiers, man bräuchte auch die Zeitung als Lead für ihre Verlagsstrategie. DadaDa-daDa.daDAA, spielte dazu die Zither in meinem Kopf und ein Gedanke fragte, wie oft denn wohl da noch nachgeschenkt werden muss, bis ich das an alkoholischen Folgen zu sehen bekomme, was Zola in seiner unnachahmlichen Art darzustellen wusste.
Es ist ja nicht so, dass man früher solche Gestalten irgendwie vermisst hätte; sieht man schwarzweisse Bilder früherer Jahre, hat man sie entweder freundlicherweise nicht gezeigt, oder es gab sie einfach nicht. Und oben, wo sich die Reihen der Faksimilehersteller und Buchkunstfreunde finden, bekommt man auch noch ein Gefühl dafür, was mit diesem wunderbaren Medium alles möglich war, als es die Möglichkeiten der Moderne nicht gab. Sicher sitzen irgendwo Leute, die wissenschaftlich berechnen, wann eine Billigklebung eines Buches den Geist aufgibt und wie oft der Kunde diese frustrierende Erfahrung machen muss, um sich doch zum Sklaven eines Lesegeräts zu wandeln. Würde sich die Erde auftun und ein Schock solcher Experten verschlucken, dann wäre es eben so. Eventuell würde ich sogar einen Mimosenkranz hinterher werfen. Oder eine Ladung Schnellbeton. Und eine Betamax-Kassette mit „Der dritte Mann“.
Ich meine das natürlich nicht persönlich; so wenig persönlich, wie es Thalia persönlich meinte, wenn sie kleine Buchhändler verdrängt haben, oder wie Grossverlage es persönlich meinen, wenn sie gegen gute Autoren lieber skandalträchtige talentlose Berliner Gören beim Feuilleton oder in den Buchläden durchdrücken. Auch die Zuschussverlage sind keine Raubgesellen, sondern nur eine Art persönliche Erlösung von irdischer Not. Internetexperten meinen es natürlich auch nicht persönlich, wenn sie sich den Tod der elitären Buchfreunde wünschen, und ohne einen Blick auf einen Psalter der Gotik vorbei eilen, um auf ihrem Mobilgerät die Welt wissen zu lassen, welche Heilsversprechen sie bieten. Überhaupt meint niemand jemals irgendwas persönlich, wir alle schauen hinunter und dürfen uns überlegen, wen aus diesem Gewimmel wir nächstes Jahr wieder begrüssen wollen, und welcher Dritte Mann auf der Strecke nach Hause dort auch bitte bleiben soll. Die Buchmesse ist ohnehin zu gross geworden. Kleiner, hochwertiger, besser würde ich mir wünschen, das meine ich natürlich auch nur zu unserem Besten und nicht persönlich. Ich wünsche keinem etwas Schlechtes, nur mehr sinnstiftende Alternativen für seine Lebensgestaltung und Business Opportunities in jenen Oktobertagen, wenn ich wieder dieses Blog befülle.
Wir sehen uns 2014. Vielleicht bringe ich dann auch, DadaDa-daDa.daDAA, eine Zither mit, und spiele den Lebenden nochmal auf.
Als ich noch Gymnasiast im Bayern-Appendix Oberfranken war...
… hat meine Schulleitung mich 2 mal in einer 50-Mann-Limousine nach Hessen chauffieren lassen: 1 mal zur Dokumenta nach Kassel, 1 mal zur Buchmesse nach Frankfurt. An einige Details von der Dokumenta kann ich mich immer noch recht gut erinnern. Bezueglich der Fahrt zur Buchmesse hingegen weiss ich nur noch, dass der Deutschlehrer im Reisebus irgendwas ins Mikrofon gesagt hat – was auch immer das gewesen sein mag.
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‚In what way could a major Scottish river, a senior barrister, an area of well-trimmed grass, and Birkin’s lover, be of material interest to a Nottingham smith?‘
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vielleicht verwandtes, wurde gestern auch bei bbc four erwähnt. https://en.wikipedia.org/wiki/Funeral_in_Berlin_%28film%29 (lw 198 khz)
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alles manchmal auch eine frage der himmelsrichtung in die unsere sinne blicken.
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die bahnhofsreklame kam den werbetreibenden schon immer zu billig. daher wird auch dort jetzt keine thalia-reklame abgehängt. um ein nichts zu hinterlassen. oder evtl. „brauhaus 1516 frankfurt“ stattdessen. nur was billig ist hat derzeit tradition.
Gedrucktes Glotzengift
„gedrucktes Glotzengift“ passt schon. Aber noch eher: Dung. Und wie in der Natur, ist solch stinkender Dung wohl auch hier nötig, damit der Mainstream und darüber hinaus ein paar Spitzenbücher entstehen können. Hoffentlich weiterhin… Über das gedruckte Glotzengift kann man ja wunderbar & zu Recht lästern ohne es kaufen oder gar lesen zu müssen.
Was ist denn hier los ???
1000 Zeichen sind erlaubt. Zufall oder Versehen? Oder will man die Stützen jetzt auf das übliche Analphabetentum durchschnittlicher FAZ Leser zurecht stutzen? Kein WordPress?
Na denn ein anderes Thema, bei dem die 1000 Zeichen ausreichen: Sehr unterhaltsam dieser auch heute zum dritten Male wieder angepriesene literarische Höhepunkt des absurden Denkens:
„Agrarrohstoffe, Spekulation auf den Hunger der Welt “
…in dem der Autor des tatsächlich so genannten Ressorts „Geld & Mehr“(sic!) zu dem für dieses Blatt keineswegs überraschendem Schluss kommt: „Das starke Auftreten der Investoren auf den Agrarmärkten ist kein Übel, sondern ein Segen.“ Ein Artikel mit wie üblich sorgfältigst gesäuberter Kommentar Abteilung…
Ja, auch manche Wirtschaftsexperten dürften gerne mal länger daheim bleiben.
Die Stützen haben ein Speziallayout, das hier ist teilweise noch in dem wenig erbaulichen Zustand, in dem die restliche FAZ gehalten ist.
"Geld & Mehr"
Über den Ressort-Namen „Geld und Mehr“ habe ich mich schon oft gewundert. Er passt nicht. Wenn man das durchgelesen hat, erkennt man sofort: Korrekt muss es heißen „Mehr Geld“.