“Unprofessionelles Verhalten kann ich nicht ausstehen,” teilt mir eine Kollegin mehrere Male pro Woche mit, und obwohl man ja kaum umhin kann, diesem Satz beizustimmen, weiß ich nur selten, was für ein Verhalten sie von Fall zu Fall meint. Zur Redeweise ist der Satz erst in den letzten paar Jahren geworden, und angesichts deutlich steigender Beliebtheit scheint in ihm das Versprechen einer Fährte hin zu verdeckten Bewegungen in der Alltagskultur unserer Gegenwart zu liegen. Dies umso mehr, als der Trend nicht auf die deutsche Sprache begrenzt ist. Vielleicht wirkt die Tonlage des “Professionellen” im Deutschen allerdings besonders gehoben, was damit zu tun haben mag, dass dort “beruflich” als ein synonymes Adjektiv neben “professionell” zur Verfügung steht. Über “unberufliches” Verhalten habe ich aber noch nie jemanden klagen hören, und dies spricht dafür, dass sich das Urteil des “Unprofessionellen” — vorbewusst — einer “gehobenen” Ebene zuordnet, einer Ebene von “Professionalität” eben (anders und tautologisch gesagt: wer “unprofessionelles Verhalten” bei anderen kritisiert, nimmt für sich selbst ganz unvermeidlich “Professionalität” in Anspruch).
Mein Problem mit dem Gebrauch von “professionell” / “unprofessionell” hat mit einer wirklich ungeheuren Abstraktionshöhe zu tun. Man kann gewiss davon ausgehen, dass Leistungen in verschiedenen Berufen auch nach verschiedenen, nicht selten einander widersprechenden Kriterien eingeschätzt werden: der Chirurg soll eine ruhige Hand, gute Nerven und differenziertes anatomisches Wissen haben; von einer Schauspielerin hingegen wünschen sich ihre Zuschauer Erregbarkeit, während ihre Spezialkenntnisse über die Welt Shakespeares und ihr Muskeltonus von untergeordneter Bedeutung sind; denken Sie an einen Metzger, eine Professorin fuer Rechtswissenschaft, an den Taxifahrer, der Sie heute morgen zur Arbeit gebracht hat, und an die Bundeskanzlerin. Es ist nicht einfach und wahrscheinlich sogar unmöglich, Eigenschaften zu benennen, an die wir in all diesen Fällen denken, wenn wir das Wort “professionell” in den Mund nehmen. So kommt als erster Verdacht die Vermutung auf, dass wir ein Verhalten als “unprofessionell” abwerten, wenn wir einfach nur unzufrieden sind, ohne den spezifischen Grund dieser Unzufriedenheit angeben zu können. Die Konnotation des gehobenen Anspruchs, den das Wort im Deutschen abstrahlt, könnte dann als Schutz gegen Verunsicherungen von außen wirken. Denn wer wird sich schon — angesichts des Abstraktionsniveaus — zu fragen trauen, wie man das Wort verstehen soll?
Wichtiger — und viel komplexer — ist ein anderer Aspekt. Leistungen als “unprofessionell” zu bewerten, heißt Position auf zwei Meta-Ebenen beziehen, die sich zu einem Totalitätsanspruch ergänzen. Zuerst auf einer Ebene, welche die Interessen und Erwartungen aller Kunden, das heißt: aller Empfänger jeglicher Serviceleistungen vertritt; zweitens und zugleich auf einer Ebene, welche umgekehrt alle existierenden Berufe überblicken und in ihren Qualitätsansprüchen vertreten müsste. Die damit vollzogene Anmaßung ist durch nichts zu überbieten. Denn selbst wer sich für einen Gott hielte, wirkte noch vergleichsweise bescheiden, da sich polytheistische Götter ohnehin und selbst manche monotheistischen Götter (wie zum Beispiel der Gott des Alten Testaments) durchaus ihre idiosynkratischen Werte und Verhaltensweisen herausnehmen, während derjenige, der andere als “unprofessionell” abkanzelt, das denkbar größte Ganze und Allgemeinste in Anspruch nimmt, indem er stellvertretend für die “ganze” Gesellschaft an sich” spricht.
Es gibt in meiner eigenen – notwendig viel begrenzteren – Berufswelt, es gibt in der Welt der Geisteswissenschaften, eine vergleichbar absolutistische Redeweise, und dies ist ein bestimmter Gebrauch der Worte “wissenschaftlich” und “unwissenschaftlich.” Er nun kann (mit Abstrichen) als spezifisch deutsch gelten, weil allein in der deutschen akademischen Einflussphäre die einschlägigen Fächer den Begriff “Wissenschaft” – als Universitäts-umspannend gemeinten – auf sich anwenden. Inzwischen ist es zu einer gängigen Strategie des akademischen Psycho-Terrors geworden, Positionen und Ergebnisse, die von den eigenen abweichen, als “unwissenschaftlich” zu stigmatisieren — und zu eliminieren. Wie bei den Adjektiven “professionell” und “unprofessionell” bleiben typischerweise Rückfragen nach der unterstellten Wortbedeutung aus, da solche Fragen mit dem Risiko verbunden sind, als Zeichen von Unsicherheit im Hinblick auf fundamentale Qualitätskriterien denunziert zu werden. Wer trotzdem nachzufragen – und nachzuhaken – wagt, der wird mit ebenso unverbindlichen wie ungenauen Begriffen bedient (nicht selten in quasi-priesterlichem Ton). Auf einen – unspezifiziert belassenen – “Stand des Wissens” zum Beispiel beziehen sich die Vertreter der Wissenschaftlichkeit gerne, auf (ähnlich ungenaue) Ansprüche des “Reflexionsniveaus,” der “Methoden,” des Argumentationsstils, der Transparenz — und schlimmstenfalls auf Konventionen der Fußnotenherstellung.
An amerikanischen Universitäten, wo die – in Deutschland so genannten – Geisteswissenschaften “Humanities and Arts” heißen, sind junge Stellenbewerberinnen und Stellenbewerber bis zur Neurose um solche Standards besorgt, und es ist bezeichnend, dass sie sich mit dem Wort “professional” auf das – nie definitive – Gefühl beziehen, diese zu erfüllen. Enorme Investitionen von Geld und Zeit werden der Norm gewidmet, “professional” zu wirken – und, wenn irgend möglich, “professional” zu sein. Man reist zu intellektuell nicht der Rede werten Kolloquien in ferne Länder, bemüht sich um die Publikation von Aufsätzen in Archivzeitschriften und Sammelbänden ungewisser Verbreitung (fünf Leser pro Text als Normalfall in den Geisteswissenschaften, einem subversiven Gerücht zufolge) und verbringt nicht selten – schwöre ich! — mehrere Wochen mit der Abfassung eines dreiseitigen Bewerbungsschreibens, um als “professional” zu gelten. Als gelungen – eben “professional” – gelten solche Briefe dann, wenn sie endlich (wie ein Ei) allen anderen (Eiern) ähneln, wenn also jede Spur von Individualität nivelliert und neutralisiert ist.
Die Gesamtwirkung dieser spezifischen “Professionalität” ist kontraproduktiv – und niederschmetternd. Denn die Möglichkeit wirklich bedeutender Leistungen und Innovationen (nicht allein in der Welt der Wissenschaft) hängt doch gerade Denken ab – und eben nicht von jenem Terror der Nachahmung (der “Mimesis”), als dessen Ergebnis René Girard einmal lange Reihen grauer Gestalten beschrieben hat, die von wechselseitiger Eifersucht aufgezehrt werden. Unversehends sind wir hier – über den Umweg der jungen amerikanischen Geisteswissenschaftler und ihrer genormten Bewerbungsschreiben – bei einer These zum möglichen Symptomwert der so beliebt gewordenen Rede vom “(un)professionellen Verhalten” angekommen. Könnte sie das anmassendste – weil selbstgewisseste – Folterinstrument der modernen Sorge um Gleichheit sein, ein Instrument der absolut gesetzten Gleichheitskontrolle? Ihr – uneinlösbarer, von allen operationalisierbaren Kriterien abgehobener – Abstraktionsanspruch zeigte dann an, was auf dem Spiel steht und durchgesetzt wird: die Beschneidung und Lähmung aller Mitglieder einer Gesellschaft, welche das, was in ihr der Fall ist, gleich setzt mit dem Horizont des Moeglichen; einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder zu Agenten einer Verabsolutierung des Bestehenden macht. Gut denkbar, dass dieser Effekt in niemandes persönlichem Interesse liegt, aber das schließt beileibe nicht aus, dass er sich einstellen kann.
Dies (wenigstens in Ansätzen) zu verstehen, muss auch nicht dazu führen, seinen Ärger über einen schusseligen Kellner oder einen inkompetenten Minister zu unterdrücken. Im Gegenteil, es bedeutet (im Bezug auf Deutschland etwa), die Unfreundlichkeit, Dienst nach Vorschrifts-Mentalität und Gelassenheit des Bahnpersonals angesichts dauernd verspäteter Züge gerade nicht mit “Professionalität” zu verwechseln – und als das Tatsächliche zu akzeptieren.